Führungshandbuch für Ärztinnen - Gesunde Führung in der Medizin

von: Ulrike Ley, Gabriele Kaczmarczyk

Springer-Verlag, 2010

ISBN: 9783642039768 , 227 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 29,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Führungshandbuch für Ärztinnen - Gesunde Führung in der Medizin


 

2.1 Das System männerzentrierte Medizin

Gabriele Kaczmarczyk

Der Weg in Führungspositionen wird von Frauen zunehmend beschritten: Der Anteil von Frauen in Großkonzernvorständen steigt. Jedoch in der Medizin, wo seit einigen Jahren ein ständiger Anstieg an weiblichen Studierenden zu verzeichnen ist (der Anteil von Frauen lag 2008 bei 71%, der Anteil von Promotionen von Frauen bei über 50%) geht es kaum vorwärts. Das zeigt eine aktuelle Erhebung mit Angaben von 80% der medizinischen Fakultäten Deutschlands. Erstmals promovierten auch mehr Frauen als Männer in der Medizin. Was hätte der Züricher Gynäkologe Professor Ludimar Herrmann wohl dazu gesagt? Er skizzierte 1872 menetekelhaft eine Horrorvision:

»Es könnte grenzenloses Unglück entstehen, welches die Universität vernichten würde, dass nämlich die Zahl der Medizinstudentinnen größer würde als die der Studenten.« Diese Vision ist zwar jetzt Wirklichkeit geworden, allerdings ohne dass die Universität vernichtet worden ist. Der Vergleich zwischen 2001 und 2006 offenbart jedoch, dass der Anteil von Frauen in den entscheidenden Führungspositionen der medizinischen Universitätseinrichtungen während der letzten Jahre praktisch unverändert geblieben ist (. Abb. 2.5 u. 2.6).

Da die interessierte Öffentlichkeit – Männer und Frauen – die »meinungsbildenden Persönlichkeiten « der Medizin in erster Linie in den Universitäten mit Lehr- und Forschungsaufgaben verortet, muss von einem gravierenden und folgenschweren Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern ausgegangen werden. Darüber hinaus fehlen im deutschen Schrifttum – im Gegensatz zum amerikanischen (Carnes 2008) – gänzlich Betrachtungen über einen möglichen Zusammenhang zwischen Defiziten in der gesundheitlichen Versorgung von Frauen und mangelnder Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen der Medizin.

Gender-Medizin und die Geschichte weiblicher Ärzte

Was die Defizite in der gesundheitlichen Versorgung von Frauen angeht, wenn man die Fächer Frauenheilkunde/Geburtsmedizin außer Acht lässt, so ist es sicher kein Zufall, dass sich in mehreren europäischen Universitäten vor allem Professorinnen für das Thema »Geschlechtergerechte Medizin: Längst überfällig« stark machen. Eine männliche Führungskultur hat es bisher weitgehend versäumt, sich dieses Themas in Forschung, Ausbildung, Weiterbildung, Diagnostik und Therapie anzunehmen. Geschlechtsblinde Stereotypen beherrschen noch weitgehend den studentischen Unterricht und das zur Verfügung stehende Unterrichtsmaterial, ebenso die Arzneimittelreklame und die Titel von Fachzeitschriften (auch von denen, die in diesem Verlag erscheinen). Es ist anzunehmen, dass mit mehr weiblichem Führungspersonal der Blick auf die Medizin ein anderer wird und sowohl der biologische Unterschied zwischen Männern und Frauen als auch der Genderaspekt mit seinen weitreichenden psychosozialen Faktoren den richtigen Stellenwert bekommen, um Krankheiten zu behandeln, besser noch: zu verhindern.

Man kann die Ursache der – übrigens auch öffentlich kaum thematisierten – mangelnden Repräsentanz von Medizinerinnen in Führungspositionen sowohl im universitären als auch im außeruniversitären Bereich nicht verstehen, wenn man nicht etwas über die Geschichte der »weiblichen Ärzte«, die von Brinkschulte 1994 herausgegeben wurde, weiß. Aus diesem Grund soll hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten aus der Vergangenheit gegeben werden.

Es überrascht nicht, dass die wenigen Pionierinnen der Medizin von den heutigen Medizinerinnen kaum gekannt werden, wurden sie doch meist totgeschwiegen – außer Hildegard von Bingen, die nun wirklich keine Bedrohung der männlichen Hegemonie mehr darstellen kann. Es ist klar, dass somit auch Leitbilder weiblichen Geschlechts fehlten und auch noch in den folgenden Jahrzehnten fehlen werden, wenn keine Änderung eintritt. Die Auffassung von der Bestimmung der Frau und ihrer Aufgaben zur Zeit des Nationalsozialismus (siehe unten) bedeutete zudem eine starke Verzögerung des Vorankommens von Frauen in der Medizin, wurde doch die Aufnahme eines Medizinstudiums in dieser Zeit für Frauen erschwert oder unmöglich gemacht. Die Folgen dieser Restriktionen, die sich in den Köpfen und den Strukturen festgesetzt hatten, reichten weit in die nachfolgenden Jahre. So gab es auch zum Beispiel in der Universität Freiburg in den Jahren 1960 bis etwa 1965 keine einzige Vorlesung im Fach Medizin, die von einer Professorin angeboten wurde (eigene Wahrnehmung), sondern nur von Professoren, von denen einige ein paar Jahre später als ehemals stramme Nationalsozialisten identifiziert wurden. Die erste Frau, die sich bekanntlich dafür einsetzte, dass Frauen eine medizinische Ausbildung absolvieren konnten, war Dorothea Christiane Erxleben, geb. Leporin, die von 1715 bis 1762 lebte. Sie promovierte als 39-Jährige und wurde durch die Unterstützung von Friedrich dem Großen zur ersten Doktorin der Medizin in Deutschland. Sie blieb die nächsten 150 Jahre die einzige.

Eva Brinkschulte charakterisiert sie so: Dorothea Christiane Erxleben (geb. Leporin), die im Jahre 1754 an der Universität Halle als erste Frau promovierte, wurde 1715 als Tochter eines Arztes in Quedlinburg geboren. Ihr Vater, Christian Polycarpus Leporin, unterrichtete Dorothea in Latein und Heilkunde. 1738 – im Alter von 23 Jahren – schrieb sie ihr erstes wissenschaftliches Werk: »Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten«. In dieser Abhandlung thematisierte sie die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen ebenso wie die moralischen Normen, die das Studium der Frauen behinderten. Sie kritisierte aber auch die mangelnde Bereitschaft der Frauen selbst.

1741 wurde sie mit besonderer Bewilligung Friedrichs des Großen an der Universität Halle zur Promotion in der Medizin zugelassen. Doch es kam anders: Sie heiratete den Geistlichen Johann Christian Erxleben, dessen Frau, Dorothea Leporins »beste Freundin und Kusine«, nach der Geburt des fünften Kindes im Wochenbett gestorben war. Im Laufe der nächsten Jahre bekam Dorothea noch vier eigene Kinder, aber ihre Neigung zur Medizin blieb lebendig. Sie machte die Erfahrung, »dass der Ehestand das Studieren des Frauenzimmers nicht aufhebe, sondern dass es sich in Gesellschaft eines vernünftigen Ehegatten noch vergnügter studieren lasse«.

Zehn Jahre später nahm sie ihre Promotionspläne wieder auf. In einer Anzeige der ortsansässigen Ärzte, denen ihr Praktizieren ohne die ärztliche Approbation ein Dorn im Auge war, wurde ihr »Kurpfuscherei« vorgeworfen und behauptet, dass sie sich »ohne Scheu Frau Doctorin« grüßen lasse. Die Promotionsbewilligung Friedrichs des Großen wurde erneuert. Sie bekam die Auflage, ihr Examen innerhalb von drei Monaten abzulegen, andernfalls dürfe sie nicht mehr praktizieren. 1754 promovierte sie im Alter von 39 Jahren und wurde damit die erste Doktorin der Medizin. Ihre Dissertation »Quod nimis cito ac jucunde curare saepius fiat causa minus tutae curationis« wurde später in erweiterter, deutscher Fassung als Abhandlung von der gar geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsicheren Heilung der Krankheiten 1755 in Halle publiziert. Nach 12-jähriger erfolgreicher Praxistätigkeit starb sie 1762 – im Alter von 47 Jahren – an einer Brusterkrankung.