Videoanalysen in der Unterrichtsforschung: Momentaufnahme oder typischer Schulalltag? - Eine Betrachtung der DESI-Videostudie

von: Christian Marquardt

Diplomica Verlag GmbH, 2011

ISBN: 9783842813519 , 163 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 34,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Videoanalysen in der Unterrichtsforschung: Momentaufnahme oder typischer Schulalltag? - Eine Betrachtung der DESI-Videostudie


 

Textprobe: Kapitel 2.2.4, Potenziale und Grenzen von Unterrichtsvideografien: Die bisherigen Kapitel haben Videografien sowohl von theoretischer (Aufbau und Durchführung) als auch von praktischer (Vorstellung der Studien) Seite gezeigt. Abschließend soll eine methodologische Diskussion das Bild abrunden. Die Auseinandersetzung soll klären, inwieweit die Methode dem Vergleich mit konventionellen Erhebungsmethoden standhält und wo sich Probleme und Grenzen auftun. Begonnen sei mit dem Hinweis, dass es zumindest eines geringen Maßes an technischer Intelligenz bedarf, die Methode der Videografie zu nutzen. Die technischen Gerätschaften aufzubauen, den Klassensaal entsprechend zu präparieren und nicht zuletzt auch das korrekte Führen der Kamera, stellen sicherlich einen höheren Aufwand dar, als dies bei anderen Methoden der Fall ist. Sind die Räumlichkeiten vorbereitet und ist das Personal geschult, können dennoch technische Probleme, wie z.B. eine eingeschränkte Perspektive bei ungünstigen Räumlichkeiten, Schwierigkeiten bereiten. Hier bewährt sich der Einsatz von Weitwinkelobjektiven oder mehreren Kameras. Nicht zu unterschätzen sind auch Schwierigkeiten mit der Tonqualität der Aufnahmen, welche im Gegensatz zur Bildqualität ein zentraler Problempunkt der Methode sein kann. Sind die genannten Vorkehrungen getroffen, steht den Einschränkungen eine ungleiche Menge an Möglichkeiten gegenüber. Im Gegensatz zur reinen Beobachtung mit Rating-Bögen, ist bei Videografien die Phase der Datenerfassung von der Phase der Auswertung getrennt, d.h, die als Videos vorliegenden Daten können erst gesammelt und aufbereitet werden, bevor sie im Hinblick auf eine oder mehrere bestimmte Fragestellung(en) analysiert werden. Somit kann auch auf Vorentscheidungen, die die Untersuchung in eine bestimmte Richtung lenkten und sich zwangsweise durch die Erstellung einer entsprechenden Beurteilungsskala ergäben, verzichtet werden. Diese Unvoreingenommenheit überwindet eine der bekanntesten Schwächen herkömmlicher Unterrichtsforschung, nämlich einen zu engen Blickwinkel auf einzelne Unterrichtsaspekte. Einer der größten Vorteile, den Videografien zudem bieten, kann mit Dauerhaftigkeit überschrieben werden. Die Komplexität der Lehr-Lern-Prozesse im Unterricht erfordert zum einen viel Zeit zur Beurteilung, zum anderen aber auch eine hohe Übereinstimmungsquote der verschiedenen Rater. Die Videos können hier als Diskussionsbasis fungieren. 'Subjektive' Wahrnehmungen eines 'Live'-Beobachters kommen somit erst gar nicht zustande. Ferner können die Videos als Ausgangsbasis für mehrfache Analysen herangezogen werden. Damit meinen Helmke und Mitarbeiter die Analyse aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein und derselbe Unterricht kann aus pädagogisch-psychologischer Sicht ebenso analysiert werden wie aus fachdidaktischer, erziehungswissenschaftlicher, sozialpsychologischer Perspektive oder im Bezug auf eine spezielle Fragestellung, wie etwa (z.B. bei DESI) die Fehlerkultur im Unterricht. Ferner tragen Unterrichtsvideos nicht nur zur Integration verschiedener fachlicher Perspektiven, sondern ebenso zur Vernetzung von Theorie und Praxis bei, indem sich an ihnen die theoretische Kommunikation über Unterricht festmachen lässt. Sie erleichtern die 'Übersetzung und Situierung von Theorien und Konzepten des Lernens und Lehrens in Sichtstrukturen des unterrichtlichen Handelns'. Auch der Faktor Zeitmanagement ist hier anzuführen. Die aufbereiteten Videos können nicht nur aus verschiedenen Blickwinkeln, sondern auch zu verschiedenen Zeitpunkten analysiert werden, was als Vorteil für die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Institute zu werten ist. Gegenüber reinen Audioaufzeichnungen haben Videos den Vorteil, auch nonverbale Kommunikation (Gestik und Mimik) zu erfassen. Außerdem umgeht man so die Problematik der Sprecheridentifizierung, die bei Audioaufzeichnungen immer wieder auftritt. An diesem Punkt muss allerdings auch auf die Problematik des Datenschutzes hingewiesen werden. Sobald Audio- oder Videoaufnahmen geplant sind, muss die Einverständniserklärung der Beteiligten (bzw. der Erziehungsberechtigten) eingeholt werden. Dies stellte jedoch nur einen geringen Mehraufwand bei den Vorbereitungen dar. Verweigert ein Schüler oder eine Schülerin die Teilnahme zur Videostudie, so kann ein Problem entstehen, wenn der- oder diejenige darauf besteht, bei der Videoaufzeichnung im Klassenraum zu verbleiben. In diesem Fall muss es dem Kameramann gelingen, die Klasse trotzdem nach den standardisierten Richtlinien zu videografieren und dabei den bzw. die betreffende(n) Schüler(in) so zu positionieren, dass weder Ton, noch Bildaufnahmen von ihm oder ihr entstehen.