Vom Umgang mit schwierigen Menschen - 12 Experten schildern ihre heikelsten Fälle und deren Lösungen

von: Winfried Prost

Gabler Verlag, 2009

ISBN: 9783834994431 , 176 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 46,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Vom Umgang mit schwierigen Menschen - 12 Experten schildern ihre heikelsten Fälle und deren Lösungen


 

Ulrike Petschuch und Alexander Sladek (S. 115-116)

Vom kommunikativen Umgang mit Patienten – Arzt, Patient und Multiple Sklerose

Der junge Assistenzarzt H. war sympathisch. Er schien souverän und bereits fest verwurzelt in seinem Beruf zu sein. Doch irgendetwas nagte an ihm. Bei der Aufforderung, eigene Fälle in das nächste Rollenspiel einzubringen, fing er zögernd an „Ich habe da so eine Patientin auf meiner Station …". Unter Nachfragen führte er seine Erzählung weiter aus. Seine Patientin M. war seit einigen Jahren an Multipler Sklerose erkrankt. Nach einem besonders schweren Krankheitsschub kam sie wieder in die Klinik, in der er als Assistenzarzt arbeitete. Tragisch war, dass dieser Schub nach einer langen stabilen Phase aufgetreten war, in der es der Frau M. sehr gut ergangen war. „Wahrscheinlich war das ein besonders schwerer Schock für sie, so deutlich wieder mit der Erkrankung konfrontiert zu werden.

Doch was mich fast an den Rand der Verzweiflung bringt, ist ihre Einstellung. Komplett negativ. Bei jeder Visite rechnet sie nur mit dem Schlimmsten." Frau M. klagte nach Aussage des Arztes ständig und malte sich alles, was noch auf sie zukommen würde, in düsteren Farben aus. Im Kollegenkreis der Klinik war sie schon als schwierig und schwer „handelbar" verschrien und manche Kollegen machten bereits einen großen Bogen um ihr Behandlungszimmer. „Doch sie ist meine Patientin! Ich muss mich um sie kümmern. Was soll ich bloß tun?" Wir stellten die Situation im Rollenspiel nach.

Der junge Assistenzarzt H. spielte seine eigene Patientin. Eine andere Teilnehmerin übernahm die Rolle des jungen Arztes. Nach einem formvollendeten Gesprächseinstieg informierte sie die gespielte Frau M. sachlich über das weitere Vorgehen in der Klinik. Als Antwort ernte sie nur weiteres Gejammer. Umso mehr er sich anstrengte, die Behandlungsmaßnahmen und die positive Zukunftsperspektive der Patientin näherzubringen, desto mehr manövrierte sich Herr H. in der Rolle der Patientin M. in ein schwarzes Loch. Wir brachen das Rollenspiel ab. Die Analyse der Videoaufzeichnung zeigte die verfahrene Situation in aller Deutlichkeit. „Puh, jetzt habe ich am eigenen Leibe gespürt, wie es Frau M. wohl ergeht, und ich glaube, ich habe sie zum ersten Mal richtig verstanden.

Sie hat einfach nur schreckliche Angst", platzte es aus Herrn H. heraus. Durch das Rollenspiel wurde dem Arzt schlagartig klar, dass er etwas Entscheidendes ändern musste. „Die Emotionen der Patientin aufnehmen und spiegeln, nachfragen, sich selbst zurücknehmen." Das waren die wichtigsten Erkenntnisse für ihn. Dies wollte er beim nächsten Mal berücksichtigen. Er hatte sich für das nach dem Training anstehende Entlassungsgespräch vorgenommen, auf diese Weise zu der Patientin durchzudringen. „Ich möchte, dass sie mir zuhört und dass wir die weiteren Behandlungsschritte in Ruhe besprechen können."

Am Montag nach dem Training mit uns trat Herr H. motiviert und angefüllt mit neuen Erkenntnissen den Dienst an. Der Gang in das Zimmer seiner „schwierigen" Patientin war plötzlich ganz leicht. Zuerst ermutigte er Frau M., über ihre Befürchtungen zu sprechen. Nach einigem Klagen hatte sie sich zumindest so weit beruhigt, dass er beginnen konnte, die weitere Behandlung zu erklären. Trotzdem wurde die Patientin zunehmend unruhiger und wirkte wie ein gehetztes Tier, ständig auf dem Sprung. Herr H. hielt inne und sprach sie direkt darauf an: „Frau M., ich sehe, dass Sie immer noch ganz unruhig sind, was macht Ihnen solche Angst?" Da brach es buchstäblich aus ihr heraus.