Alles auf Anfang - Warum der Euro scheitert - und wie ein Neustart gelingt

von: Nicolaus Heinen, Jan Mallien, Florian Toncar

Campus Verlag, 2017

ISBN: 9783593436890 , 235 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 20,99 EUR

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Alles auf Anfang - Warum der Euro scheitert - und wie ein Neustart gelingt


 

DER TAG DER ENTSCHEIDUNG Wie lange wird das noch gut gehen? Wer in diesen Tagen auf die Europäische Union (EU) und die Eurozone blickt, stellt sich unweigerlich diese Frage. Wir schauen auf eine Staatengemeinschaft, die über Verteilungsfragen streitet und kaum mehr zustande bringt als den kleinsten gemeinsamen Nenner. Statt Wohlstand zu schaffen, facht der Euro immer neue Konflikte an. Wir beobachten Volkswirtschaften, die seit Jahren unter Niedrigwachstum ächzen und trotzdem wichtige Reformen verschleppen. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Euroländern wachsen und sind kaum noch korrigierbar. Wir sehen Gesellschaften, die sich radikalisieren, weil sie den haltlosen Versprechen selbst ernannter Heilsbringer glauben. So ist im Jahr 2016 passiert, was niemand für möglich hielt: Die Briten stimmten für den Austritt aus der EU. Und jenseits des Atlantik wählten die Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Beide Ereignisse stehen für eine Zeitenwende: die Abkehr von der vertrauten Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf internationaler Zusammenarbeit durch freien Handel und Kooperation auf Augenhöhe zum Nutzen aller Beteiligten beruhte. Diesen Multilateralismus stellen Populisten infrage. In vielen europäischen Ländern drängen sie an die Macht. Selbst in Frankreich, wo sich mit Emmanuel Macron bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 ein gemäßigter Kandidat durchsetzen konnte, haben über 40 Prozent der Wähler Populisten am linken und rechten Rand gewählt. Man kann über die Ursachen streiten, doch die Diagnose ist eindeutig: Europa steckt in seiner größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Einer der Hauptakteure dieser Krise ist die Europäische Zentralbank (EZB) als oberste Währungshüterin. Bislang konnte sie jede noch so schwierige Lage mit immer neuen geldpolitischen Kunstgriffen ausbügeln. Immer wenn im Euroraum Fliehkräfte auftraten, sprang sie mit ihrer unkonventionellen Geldpolitik ein. Anders als die Regierungen in Berlin, Paris oder Rom konnten die Technokraten der EZB schnell und ohne Rücksicht auf Wähler reagieren. Doch für die Rolle des Euroretters wurde die EZB weder geschaffen noch legitimiert. Und spätestens an diesem Punkt wird es gefährlich: Je mehr Aufgaben die EZB übernimmt und je bedeutender ihre Rolle wird, desto stärker überfordert sie sich. Wenn sie die Erwartungen, die sie schürt, jedoch nicht mehr erfüllen kann, verlieren die Menschen das Vertrauen in sie und ihre Geldpolitik. Für die Eurozone wäre dies das sichere Todesurteil. Dass diese Politik des geldpolitischen Ausnahmezustands auf Dauer nicht gut gehen kann, hat uns bewogen, dieses Buch zu schreiben. Wir sind überzeugt, dass der Euro in seiner heutigen Form als gemeinsame Währung Europas nicht überleben wird. Wir halten die wirtschaftliche, politische und institutionelle Lage Europas für so verfahren, dass wir nicht mehr mit einem guten Ausgang der Eurokrise rechnen. Diese Einsicht war für uns alles andere als leicht, denn wir sind befangen. Wir gehören zu der Generation, die mit Europa und dem Euro wie selbstverständlich aufgewachsen ist und ihn in gewisser Weise auch lieb gewonnen hat. Wir, Jahrgang 1979, 1980 und 1982, haben Europa in unseren Jugendjahren nur von seiner besten und von seiner erfolgreichsten Seite kennengelernt: In unserer Kindheit fällt der Eiserne Vorhang. Die Grenzen zwischen Ost und West öffnen sich. Über Nacht kommen neue Mitschüler in unsere Klassen, und der Horizont endet nicht mehr hinter dem Grenzübergang Helmstedt. Zehn Jahre später führen zunächst elf EU-Länder den Euro als gemeinsame Währung ein: eine der ersten großen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, über die wir als Schüler diskutieren. Der Moment, als wir bei der Bank 20 D-Mark gegen das Starterkit mit neuen Euromünzen tauschen, ist uns noch in guter Erinnerung. Zum ersten Mal halten wir europäisches Geld in den Händen. Dann die EU-Osterweiterung: Erst acht, dann zehn weitere Länder treten der Gemeinschaft bei. Die Europäische Union ist damals ein Erfolgsprojekt, vor dem Länder Schlange stehen. Auch privat haben wir Europa zu schätzen gelernt: Reisefreiheit in jede Ecke unseres Kontinents. Schüleraustausche in Länder, die vor wenigen Jahrzehnten Kriegsfeinde waren. Und feuchtfröhlich vollzogene europäische Einigung in den Auslandssemestern unserer Studienzeit. Auch unsere beruflichen Lebenswege sind eng mit Europas Schicksal verwoben. Wer erkennt, dass die Sache, für die er brennt, in Gefahr ist, diskutiert darüber mit seinen Freunden und Kollegen. So war das auch bei uns. Wir haben dabei festgestellt, dass die Menschen auf die Eurokrise unterschiedlich reagieren. In unserer Generation gehen die Meinungen besonders weit auseinander. Da sind die Gleichgültigen: Die Dauerkrise ödet sie an. Vielleicht haben sie sich auch an sie gewöhnt. Dies ist kein Wunder, denn die Krise mutet in all ihren Facetten doch recht technisch und abstrakt an. Und in den Medien ist sie so allgegenwärtig, dass viele Schlagzeilen kaum noch Neuigkeitswert haben. Dann gibt es die Optimisten: Sie glauben, die Institutionen und der politische Wille Europas seien stark genug, die Krise zu öberwinden, sodass am Ende alles nicht so schlimm kommt. Und dann sind da die Empörten. Sie kennen und benennen die Missstände klar und deutlich. Mitunter vereinfachen sie allerdings und neigen zum Denken in Freund-Feind-Kategorien. Sie stützen sich selten auf konstruktive Argumente und geben sich manchmal fast schon auf triumphierende Weise Ressentiments und Untergangsszenarien hin. Haben wir damit das gesamte Meinungsspektrum abgedeckt? Keinesfalls. Denn zu den drei durchaus präsenten Gruppen kommt noch mindestens eine weitere Fraktion, die in der heutigen Meinungslandschaft jedoch kaum wahrzunehmen ist: die Ängstlichen. Es sind Menschen, die unsere Erkenntnis teilen, sich jedoch nicht trauen, sie laut auszusprechen. Die Ängstlichen halten sich in diesen Tagen besonders zurück, weil sie befürchten, mit Populisten und Panikmachern in einen Topf geworfen zu werden, etwa, weil sie berufliche oder persönliche Nachteile sehen. All dies zeigt vor allem eines: Die Debatte über den Euro ist hoffnungslos polarisiert. Der Euro wird immer mehr zur Glaubensfrage, und schnell wird man gefragt: Bist du noch auf der richtigen Seite? Die Fronten sind verhärtet. Für eine nüchterne, faktenbasierte Analyse ist kaum noch Platz. Die Folgen dessen reichen weit über die politische Diskussionskultur hinaus. Da nämlich nicht ergebnisoffen debattiert wird, können sich keine Ideen entfalten, wie sich die Dinge in der Eurozone zum Guten wenden lassen. Dadurch verschärft sich die Krise fast zwangsläufig. Und das gibt den Empörten immer neue Nahrung. Dazu passt, dass derzeit nur jene Stimmen das Ende der Eurozone offen thematisieren, die aus der Angst der Menschen politisches Kapital zu schlagen versuchen: Sie wollen den Euro abschaffen, statt Lösungen für seine Defizite zu finden. Sie haben kein Interesse daran und keine Vorstellung davon, wie man die Lage fundamental verbessern könnte. Hinzu kommen selbst ernannte Krisenpropheten, die als medial inszenierte Experten Pseudolösungen präsentieren und mit gut gemeinten Ratschlägen bis hin zu unseriöser Panikmache die Unsicherheit noch vergrößern. In einem Punkt haben die Endzeitpropheten aber durchaus Recht: In der aktuellen Schieflage wird eine schrittweise Korrektur des Euro nicht mehr möglich sein. Die nötigen Reformen für einen langfristigen Fortbestand der Eurozone sind so tief greifend und unbequem, dass die Politik sie immer weiter hinausschiebt. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Kosten einer weiteren Verzögerung des Wandels unerträglich werden und das Ende des Euro wie das kleinere Übel erscheint. Dann kommt eine Eigendynamik aus Politikversagen, Finanzmarktpanik und nationalen Egoismen in Gang, die kaum zu stoppen ist. Einmal war es schon fast so weit. Im Sommer 2012 wetten die Finanzmärkte auf den Zerfall der Eurozone. Die Kurse für Staatsanleihen fallen deutlich. Die Politik sieht geschockt zu und ergeht sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Also springt EZB-Präsident Mario Draghi ein und verspricht, 'alles zu tun, um den Euro zu retten'. Mit seinen Worten kann er die Märkte zunächst beruhigen. Doch ein zweites Mal wird Europa nicht so leicht davonkommen. Die Kräfte der EZB sind nämlich begrenzt und werden inzwischen Monat für Monat auf die Probe gestellt. Europa hangelt sich von Krise zu Krise. Mittlerweile ist die Erleichterung bereits dann groß, wenn bei Wahlen wie in den Niederlanden und Frankreich die Rechtsextremen nur zweitstärkste Kraft werden oder eine Anschlussfinanzierung für Griechenland noch in letzter Sekunde gelingt. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa dabei stets nur knapp an einer Katastrophe vorbeischlittert. Solange sich solche Ereignisse regelmäßig wiederholen, ohne dass sich die Dinge fundamental verbessern, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer Zäsur kommt. Es ist gut möglich, dass es der EZB auch in den kommenden Monaten und Jahren gelingt, mit immer mehr Geld die fundamentalen Schwächen des Währungsraums zu kaschieren. Doch sie kann die Probleme nicht auf Dauer lösen, sondern das Leiden nur verlängern. Früher oder später wird sie die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreichen. Die Zeit spielt gegen sie. Ohne drastische Reformen nähert sich die Eurozone mit mathematischer Gewissheit ihrem Ende. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wann es passiert. Doch eines ist sicher: Der Tag wird kommen, an dem Europa sich entscheiden muss, ob es eine Rückkehr zu nationalen Währungen will. Oder einen systemischen Neustart, der es ermöglicht, noch einmal von vorn zu beginnen. Die Gefahr ist groß, dass in einer solchen Krisenlage, zumal unter dem dann herrschenden Zeitdruck, die Wahl auf eine Rückkehr zu nationalen Währungen fällt. Wir halten eine solche Wahl für falsch. Die wirtschaftlichen und politischen Kosten wären viel zu groß. Es geht nicht nur um die kurzfristigen finanziellen Folgen für Banken, die Altersvorsorge von Millionen Menschen oder die Exportindustrie, die unter einer stark aufwertenden neuen Währung leiden würde. Noch schwerer wiegt der langfristige politische Schaden. Die Europäische Union, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Kontinent geeint hat, würde gesprengt. Und durch Europa gingen wieder tiefe Risse. Der Euro in seiner heutigen Verfassung ist nicht alternativlos. In diesem Buch fordern wir gerade keinen Zusammenbruch unseres Währungssystems, auch wenn wir davon ausgehen, dass sich zumindest eine tiefe Zäsur nicht mehr vermeiden lässt. Wir halten es für eine elementare Aufgabe Europas, es im zweiten Anlauf besser zu machen: noch einmal neu zu beginnen. Alles auf Anfang zu stellen. Alles andere wäre in unserer globalisierten Welt ein Rückschritt. Europa sollte die aktuelle Lage zum Anlass nehmen, Maßnahmen für den Tag der Entscheidung zu entwickeln, damit in der Stunde null die Weichen richtig gestellt werden. Einfach wird das nicht. Denn sobald der Euro scheitert, müssen wichtige Entscheidungen binnen kürzester Zeit getroffen werden, die Europa auf Jahre prägen. Nur unter dem Eindruck des Zusammenbruchs dürften die 19 Regierungen der Euroländer zu umfassenden Reformen bereit sein, die sich vom heutigen Stückwerk unterscheiden. Die richtigen Entscheidungen zu fällen wird dann umso schwerer fallen, da die ganze Debatte hochemotional ist. Schon jetzt erschweren Verlustängste und nationale Egoismen eine rationale Abwägung der Argumente. Wir sind deshalb überzeugt, dass wir dringend eine offene Debatte brauchen, wie der Euro zukunftsfest wird. Für den Moment des Neuanfangs, den Tag der Entscheidung, sollten wir uns schon heute die richtigen Schritte überlegen und nichts dem Zufall überlassen. Dieses Buch ist ein Gedankenspiel für den Fall, dass der Euro scheitert. Wir skizzieren einen währungspolitischen Neuanfang, der mit stabileren Institutionen und besseren Anreizen einen krisenfesten Währungsraum schafft und das Vertrauen in die gemeinsame Währung sichert. Der Neubeginn wäre alle Mühe wert. Die gemeinsame Währung wurde in guten Zeiten gegründet und darum auf schlechte Zeiten nicht vorbereitet. Ein Neustart würde es erlauben, aus der Krise heraus eine neue Währungsordnung für Europa zu definieren, die auch in schlechten Zeiten stark ist und standhält. Ein Scheitern des Euro, wie wir ihn kennen, böte deshalb wenigstens die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und einen Euro zu schaffen, der die Vorteile der gemeinsamen Währung erhält, aber die bisherigen Konstruktionsfehler überwindet. Alle unsere Vorschläge zielen darauf ab, die EZB zu entlasten. Kapitel 1 und 2 zeichnen nach, wie der Euro in die Krise und die EZB in die Rolle seines Retters geraten ist. Kapitel 3 und 4 legen dar, warum das Scheitern des Euro nur noch eine Frage der Zeit ist und weshalb es sich trotzdem lohnt, einen neuen Anlauf für eine gemeinsame Währungsunion zu wagen. Die Folgekapitel skizzieren eine Nachkrisenwährungsunion, die aus drei Bausteinen bestehen soll: einer transparenteren EZB mit professionelleren Strukturen, einer Rückkehr zur Haftung jedes Eurolands für seine eigenen Schulden und einer wirksameren Risikokontrolle im Finanzsystem. 1 DER EURO: EIN DRAMA IN FÜNF AKTEN Wer der Eurokrise etwas Positives abgewinnen möchte, der kann sich zumindest darüber freuen, dass sich die Deutschen für griechische Innenpolitik interessieren und umgekehrt. Zumindest in dieser Hinsicht hat der Euro ein echtes Stück Integrationsarbeit geleistet. Die Vorzeichen dieser Leistung sind allerdings keine guten: Die Eurostory bestimmt nicht als Erfolgsgeschichte, sondern als Angst- und Sorgenthema die Wirtschaftsteile und Titelseiten vieler Gazetten. Die Bedeutung der Eurokrise geht jedoch weit über die teils reißerische Berichterstattung über die wirtschaftlichen und politischen Probleme im Euroraum hinaus. Jenseits aller tagesaktuellen Entwicklungen ist die Eurokrise mittlerweile ein Stück Zeitgeschichte geworden. In den Geschichtsbüchern von morgen wird sie in einer Reihe mit Kriegen, politischen Epochen und Friedensperioden erwähnt und eingeordnet werden. Wie wird das Urteil der Historiker über diese turbulenten Jahre lauten? Die langen Linien der Eurokrise in den vergangenen Jahren haben die Zöge eines klassischen Dramas in fünf Akten angenommen. Wer die aktuelle Lage der Eurozone verstehen möchte, kommt um eine Betrachtung dieser Geschichte nicht herum. Auf einen hoffnungsvollen Anfang folgte eine überschwängliche Steigerung, die in eine dramatische Schicksalswende mündete, deren Verzögerung die EZB mit ihrer unkonventionellen Geldpolitik bewirkt hat. Doch viel spricht dafür, dass die Entwicklungen in den nächsten Jahren im fünften Akt, der Katastrophe, enden werden. ERSTER AKT: HOFFNUNG. EIN JAHRHUNDERTPROJEKT FÜR EUROPA Aufbruch, Optimismus, Neuanfang. Diese Begriffe kennzeichnen die politische und gesellschaftliche Stimmung in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der deutschen Wiedervereinigung Anfang der neunziger Jahre am besten. Das Ende der Planwirtschaften Osteuropas hat die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems bewiesen und Europa fühlt sich stark für neue Ziele. Nach der politischen Einigung wollen die damals zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft den Kontinent nun auch wirtschaftlich eng zusammenschmieden. Die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts - der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital über Ländergrenzen hinweg - sollen um eine gemeinsame Währung ergänzt werden: den Euro. Neu ist die Idee einer gemeinsamen Währung für Europa damals freilich nicht. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hatte es Versuche internationaler Währungsintegration in Europa gegeben. Doch sowohl die Lateinische Münzunion im Süden Europas als auch die Skandinavische Münzunion im Norden waren als historische Eurovorläufer nach jeweils kurzen Blütezeiten gescheitert. Den Mitgliedstaaten mangelte es an Haushaltsdisziplin und am Willen zur Zusammenarbeit in Krisenzeiten. Auch das Europäische Währungssystem (EWS) ist als Versuch, die Wechselkurse europäischer Staaten nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems in den siebziger Jahren eng aneinander zu binden, nicht sonderlich erfolgreich. Ende 1992 spekulieren der Großinvestor George Soros und andere gegen das britische Pfund, das sie für überbewertet halten. Trotz massiver Interventionen gelingt es der Bank of England nicht, den Wechselkurs des britischen Pfunds zu stabilisieren. Großbritannien muss seine Währung abwerten und das EWS verlassen. Die massiven Turbulenzen an den Devisenmärkten zeigen schon damals, wie schwierig es ist, in einem so heterogenen Wirtschaftsraum wie Europa eine einheitliche Geldpolitik durchzuführen und die Wechselkurse zu koordinieren. Diese Erfahrungen will man nun beim Projekt Euro nutzen und ähnliche Fehler vermeiden. Viele Ökonomen warnen damals, dass das nicht einfach sein wird: Denn eine Währungsunion sorgt faktisch für feste Wechselkurse zwischen den teilnehmenden Staaten. Wenn ein Land seinen Wechselkurs fixiert und nicht mehr frei schwanken lässt, verliert es damit ein wichtiges Ausgleichsventil, um das Auf und Ab der Konjunktur abzufedern. Und auch Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Ländern und Wirtschaftsräumen können ohne flexible Wechselkurse nur noch schwer ausgeglichen werden. Der Wechselkurs ergibt sich in der Regel aus Angebot und Nachfrage der jeweiligen Währung auf freien Devisenmärkten. Ist ein Land beispielsweise nicht besonders wettbewerbsfähig - etwa, weil seine Produkte in der Herstellung zu teuer oder nicht innovativ genug sind -, dann lässt die Nachfrage nach diesen Produkten auf den Weltmärkten nach. Deshalb sinkt normalerweise die Nachfrage nach der Landeswährung und damit auch ihr Wechselkurs. Das Land kann seine Güter und Dienstleistungen billiger absetzen und die Wirtschaft kommt wieder in Gang. Zudem kann die jeweilige Zentralbank mit ihrer Geldpolitik nachhelfen und über Zinsen und Devisenmarktinterventionen den Wechselkurs stützen oder künstlich abwerten. Italien ist dafür ein gutes Beispiel: So wertete die italienische Zentralbank in den siebziger und achtziger Jahren die Lira systematisch ab, um italienischen Produkten auf den Exportmärkten einen Preisvorteil zu verschaffen. In einer Währungsunion gibt es jedoch keine nationalen Währungen und somit auch keine schwankenden Wechselkurse, die die Wirtschaft bei Flaute automatisch stabilisieren und Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern ausgleichen können. Eine Währungsunion ist daher eigentlich nur für Länder mit ähnlichen Wirtschaftsstrukturen geeignet. Denn mit einer gemeinsamen Währung trifft die Geldpolitik der Zentralbank alle beteiligten Länder gleichermaßen. Die Staats- und Regierungschefs der damaligen Europäischen Gemeinschaft beherzigen diese Warnungen, als sie Ende 1992 den Vertrag von Maastricht unterzeichnen. Dieser legt einen verbindlichen Fahrplan fest, der die Einführung der gemeinsamen Währung im Jahr 1999 vorsieht. Der Vertrag bestimmt zudem fünf Zugangsvoraussetzungen zur Währungsunion. Diese sogenannten Maastricht-Kriterien sollen sicherstellen, dass nur Länder mit ähnlichen Wirtschaftsstrukturen an der Währungsunion teilnehmen. Die Kriterien schreiben den zukünftigen Euroländern einheitliche Bandbreiten für das langfristige Zinsniveau, die Wechselkursstabilität und die Inflationsraten vor. Zudem gelten Mindestanforderungen an die gemeinsame Haushaltspolitik der Länder, die eine jährliche Neuverschuldung von über 3 Prozent und einen Schuldenstand von mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung untersagen. ZWEITER AKT: STEIGERUNG. EUROLAND AUF ERFOLGSKURS Die Gründungsphase der Europäischen Währungsunion verläuft größtenteils nach Plan. Doch auf der Zielgeraden im Sommer 1998 macht sich Ernüchterung breit - nur vier kleine Länder halten die Zugangskriterien für den neuen Währungsraum strikt ein: Finnland, Irland, Luxemburg und die Niederlande. Weil der Euro als politisches Projekt aber unbedingt gelingen soll, legt man die Zugangskriterien äußerst tolerant aus. Die Gründerväter der Währungsunion - allen voran die Schwergewichte Deutschland und Frankreich - drücken beide Augen zu. Sie sehen darüber hinweg, dass einige Länder die Zugangsvoraussetzungen nur dank kreativer Buchführung erfüllen. Weil die Zielwerte nur zwischen März 1996 und Februar 1998 gemessen werden, verzögern manche Länder Ausgaben und drücken damit gezielt ihre Neuverschuldung. Mitunter werden die Kriterien auch schlicht ignoriert. So liegt der Schuldenstand Belgiens und Italiens deutlich über der vereinbarten Marke - und dennoch dürfen beide Länder dem Euro von Beginn an beitreten. Zwei Jahre nach dem Start wird auch Griechenland in die Währungsunion aufgenommen mit einem Schuldenstand, der weit über der zulässigen Höchstgrenze liegt. Die Politik spielt auf Zeit und hofft, dass sich die Dinge von selbst einrenken. Sie vertraut auf die Einschätzung namhafter Ökonomen, die fest damit rechnen, dass sich die Unterschiede zwischen den Euroländern im Laufe der Jahre ausgleichen, da sie unter einer gemeinsamen Geldpolitik auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik betreiben müssen - so zumindest die Annahme. Und so schließt sich 1999 eine bunte Truppe aus elf Ländern mit teils völlig unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen und wirtschaftspolitischen Traditionen zu einem gemeinsamen Währungsraum zusammen.