Der Führungscoach - Führungskräfteentwicklung nach dem Fünf-Stufen-Modell

von: Thomas Armbrüster

Verlag Franz Vahlen, 2017

ISBN: 9783800653362 , 209 Seiten

Format: PDF, ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 27,99 EUR

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Der Führungscoach - Führungskräfteentwicklung nach dem Fünf-Stufen-Modell


 

232 Formen der Persönlichkeitsentwicklung


In diesem Kapitel werden drei zentrale Modelle der Persönlichkeitsentwicklung vorgestellt:

– Piagets Modell der kognitiven Entwicklung,

– Kohlbergs Modell der Moralentwicklung,

– Loevingers Modell der Ich-Entwicklung.

Deren Zusammenhang mit Leadership-Entwicklung wird erläutert. Darüber hinaus wird herausgestellt, dass Leadership-Entwicklung mit Alternativenkenntnis und Sprachentwicklung zu tun hat, denn nur was wir in Bezug auf Alternativen beschreiben können, können wir verändern.

25Nehmen wir den Begriff Ent-Wicklung einmal wörtlich, dann bedeutet dies, dass ein Knäuel vorliegt, das zu einem gut sortierten Faden aufgelöst werden kann. Das ist keine schlechte Metapher, denn sie signalisiert, dass das Material bereits vorhanden ist, nur anders strukturiert werden kann. Persönlichkeitsentwicklung bedeutet mit dieser Metapher also, dass man aus Vorhandenem etwas machen kann und nicht zwingend etwas Neues schaffen muss, um Verbesserungen zu erzielen.

Denkrichtungen der Persönlichkeitsentstehung

Bei den Denkrichtungen der Persönlichkeitsentstehung kann man grob unterscheiden zwischen einer humanistischen, einer psychoanalytischen und einer entwicklungsbezogenen. In aller Kürze bezieht sich die humanistische (z. B. Abraham Maslow oder Carl Rogers) beispielsweise auf „Selbstverwirklichung“ als höchste Stufe der Persönlichkeitsentwicklung; die psychoanalytische (z. B. Erik Erikson) auf innere Identitätsbildung; und die entwicklungsbezogene (z. B. Jean Piaget) ist am mutigsten bezüglich der Identifikation von Entwicklungsstadien. Die drei Richtungen und deren Autoren haben sich gegenseitig befruchtet und ergänzt. Für ein Verständnis von Leadership-Entwicklung sind Jean Piagets Modell der kognitiv-intellektuellen Entwicklung, Lawrence Kohlbergs Modell der Moralentwicklung und Jane Loevingers Modell der Ich-Entwicklung besonders hilfreich.

Piagets Stufenmodell der kognitiv-intellektuellen Entwicklung


Kognitive Entwicklung

Jean Piaget (1896–1980) hat sich zunächst mit der kognitiven Entwicklung von Kindern und Jugendlichen befasst, und zwar verstanden als Prozess von der Fähigkeit zum Umgang mit Konkretem zur Fähigkeit zum Umgang mit Abstraktem. Kleinkinder bis zum Beginn der Sprachentwicklung, also bis zum Alter von ca. zwei Jahren, sind gemäß Piaget in einem „sensormotorischen Stadium“, in dem die physische Interaktion mit konkreten Objekten im Vordergrund steht. Am Ende dieses Stadiums steht das Erkennen, dass es jenseits von anfassbaren Objekten auch solche gibt, die man nicht anfassen kann, aber dennoch existieren. Es prägt sich ein Verständnis von Symbolik aus. Kinder im Alter von ca. 2 bis zu ca. 7 Jahren befinden sich gemäß Piaget im „vor-operationalen Stadium“, in dem die o.g. Symbolik beim Spielen erste Kraft entfaltet: Die Puppe symbolisiert einen Menschen; der große Pappkarton ein Haus. Kinder sind in diesem Alter jedoch nur sehr begrenzt in der Lage, Kausallogik anzuwenden, Informationen selbst zu verändern oder sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen. Später, im „konkret-operationalem Stadium“ im Alter von ca. 7 bis ca. 11 Jahren, setzt dann eine konkrete Kausallogik ein, um Probleme zu lösen. Zwar sind Kinder in dieser Phase noch nicht zu abstrakt-hypothetischem Denken in der Lage, und auch die 26Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen, ist begrenzt. Aber Aufgaben zur konkreten Prozesssteuerung sind von Kindern in diesem Alter lösbar. Im vierten, „formal-operationalen Stadium“ sind Jugendliche im Alter von 12 bis 20 Jahren immer weiter zunehmend in der Lage, sich in andere Personen hineinzuversetzen und vor allem, hypothetisches Denken zum Lösen abstrakter Probleme einzusetzen. Wir lernen damit:

Kognitive Persönlichkeitsentwicklung verläuft vom Konkreten zum Abstrakten; von der Unfähigkeit zu Empathie (andere Person ist noch abstrakt) zur Fähigkeit zu Empathie mit konkreten anderen (Mitmenschen), später zu Empathie mit abstrakten anderen (Gesellschaft). Zunächst steht die konkrete eigene Person im Mittelpunkt, dann konkrete andere, und schließlich abstrakte Konzepte von Gesellschaft.

Die kognitive Entwicklung verläuft gemäß Piaget damit auch von der Fähigkeit zur Lösung von konkreten Aufgaben in der physischen Umgebung hin zur Fähigkeit zur Lösung von abstrakten, schwer definierbaren Aufgaben.

Die Rolle von Sprachentwicklung

Zwei weitere Aspekte von Piagets Erkenntnissen sind für unseren Zusammenhang mit Leadership-Entwicklung bedeutend: Zum ersten unterscheidet Piaget zwischen „figurativem“, „operationalem“ und „symbolischem“ Bewusstsein. Das figurative bezieht sich auf das Wahrnehmen von Zuständen; das operative auf die Veränderung von Zuständen; das symbolische auf die Vorstellungskraft von einem alternativen Zustand. Reflexionsfähigkeit, verstanden als eine neue Sicht auf das Gegenwärtige im Vergleich zu alternativen oder zukünftigen Zuständen, ergibt sich damit aus dem Zusammenspiel dieser drei Dimensionen, nie auf Basis einer Dimension alleine. Zum zweiten sieht Piaget die kognitive Entwicklung als eng verbunden mit der Sprachentwicklung an – vom Konkreten zum Abstrakten. Nur das, was wir durch Sprache erschließen und beschreibbar machen, können wir in Bezug auf Alternativen erfassen, reflektieren und verändern. Dies ist eine sehr wichtige Erkenntnis, auf die wir in Kapitel 7 bei der Beschreibung von Change-Kompetenz zurückkommen. Für das Thema Leadership-Entwicklung halten wir fest:

Leadership-Entwicklung hängt mit Sprachentwicklung vom Konkreten zum Abstrakten zusammen: Nur das, was wir durch Sprache erschließen und beschreibbar machen, können wir in Bezug auf Alternativen erfassen und damit verändern. Was wir durch Sprache nicht beschreiben können, haben wir noch nicht hinreichend in Bezug auf Alternativen erfasst und können es damit nicht verändern.

27Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung


Basierend auf Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung hat Lawrence Kohlberg (1927–1987) ein Stufenmodell der persönlichen Moralentwicklung entwickelt, vielfachen Tests unterworfen und ständig weiterentwickelt. Er unterscheidet zwischen sechs Stadien; das erste stellt die unterste Stufe, das sechste die oberste Stufe der Moralentwicklung dar.

Erste Stufe der Moralentwicklung: Vermeidung von Bestrafung

Erstes Stadium: Vermeidung von Bestrafung. Im ersten Stadium der Moralentwicklung orientiert sich die Person an der Vermeidung von Bestrafung. Personen in dieser Phase fokussieren auf die direkten Konsequenzen ihres Handelns. Je schlimmer die Bestrafung, für desto schlimmer wird das Handeln gehalten. Fügsamkeit gegenüber denjenigen, die einen bestrafen könnten, ist das zentrale Ergebnis. Auch Autoritätsgläubigkeit spielt eine Rolle: Im autoritären Weltbild wird angenommen, dass derjenige, der bestraft wird, auch etwas falsch gemacht haben muss.

Zweite Stufe der Moralentwicklung: Selbstinteresse

Zweites Stadium: Orientierung an Selbstinteresse. Im zweiten Stadium der Moralentwicklung orientiert sich eine Person an der Frage „Was ist für mich drin?“. Richtiges Verhalten wird verstanden als dasjenige, das zum konkreten eigenen Vorteil führt, und zwar unabhängig von abstrakten Reputationseffekten für die eigene Person. Das Interesse an den Bedürfnissen anderer ist nur gering ausgeprägt und nicht orientiert an Loyalität oder intrinsischem Respekt für andere, sondern allenfalls verstanden als „Deal“: Wenn Du mir diesen Gefallen tust, tue ich Dir jenen. Wenn Personen in diesem Stadium ein Gesamtbild von Moral haben, dann das eines moralischen Relativismus bzw. der Elastizität von Normen: „Jeder biegt doch die Regeln, wie es ihm passt; weiß man doch“.

Die oben genannten, ersten beiden Stadien nennt Kohlberg „vorkonventionelle“ Positionen, also Zustände, in denen Personen sich befinden, bevor sie eine Wertschätzung für Konventionen entwickelt haben. Die nächsten beiden Stufen nennt er „konventionelle“ Positionen, da der Respekt für soziale Konventionen dort vorhanden ist.

Dritte Stufe der Moralentwicklung: Konformität mit der Umgebung

Drittes Stadium: Konformität mit der konkreten sozialen Umgebung. Diese Stufe entspricht einem Ethos der Rollenerfüllung, also der Orientierung daran, was die unmittelbare soziale Umgebung von einem erwartet. Man will gemocht werden und verhält sich so, wie man meint, dass man die größten Aussichten hat, von anderen gemocht zu werden. Personen auf dieser Stufe sind dadurch gekennzeichnet, ein „guter Junge“ oder ein „gutes Mädchen“ sein zu wollen (oder eben ein „guter Abteilungsleiter“, dazu später). Die Antriebsfedern 28des Handelns auf Stufe 3 sind dementsprechend der Wunsch nach Wertschätzung und Dankbarkeit in der konkreten sozialen Umgebung.

Vierte Stufe der Moralentwicklung: Konformität mit Regeln

Viertes Stadium: Konformität mit formalen Regeln. Eine Person im vierten Stadium der Moralentwicklung folgt dem Ethos der Gesetzes- und Regeltreue. Soziale Konventionen seien aus guten Gründen in Gesetze und Regeln gegossen, weil dies eine funktionierende Gesellschaft ermögliche. Nicht mehr die konkrete soziale Umgebung und deren Normen, sondern die abstrakte Gesellschaft und deren Regeln sind handlungsleitend. Nicht mehr die persönliche...