Englische Könige und Königinnen der Neuzeit - Von Heinrich VII. bis Elisabeth II.

von: Peter Wende

Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN: 9783406706646 , 416 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 10,99 EUR

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Englische Könige und Königinnen der Neuzeit - Von Heinrich VII. bis Elisabeth II.


 

Karl-Friedrich Krieger

HEINRICH VII.
1485–1509


Heinrich VII., geb. 28. Januar 1457; Vater: Edmund, Earl of Richmond (ca. 1430–1456); Mutter: Margarete Beaufort (1443–1509); 1461 (nach der Hinrichtung seines Großvaters Owen Tudor) Enterbung und Erziehung am Hofe William Herberts: nach dem mißglückten Restaurationsversuch der Lancastermonarchie (1471) Flucht in die Bretagne und 1484 weiter nach Frankreich; mit französischer Unterstützung 1485 Landung bei Milford Haven/Wales und Durchsetzung seiner Thronansprüche gegen König Richard III., der in der Entscheidungsschlacht von Bosworth/Leicestershire (22. August 1485) Krone und Leben verlor; Krönung in London am 30. Oktober 1485; gest. 21. April 1509 in Richmond/Surrey; begraben in Westminster.

Eheschließungen: 18. Januar 1486 mit Elisabeth von York (1466–1503), Tochter aus der Ehe König Eduards IV. (1461–1483) mit Elisabeth Woodville (1437–1495); Kinder: Arthur (1486–1502), vermählt mit Katharina von Aragon; Margarete (1489–1541), vermählt mit König Jakob IV. von Schottland (1488–1513); Heinrich (VIII.), geb. 1491, seit 1509 König von England (gest. 1547); Maria (1496–1533), vermählt mit König Ludwig XII. von Frankreich (1498–1515); Edmund (1499–1500) und drei weitere, früh verstorbene Kinder.

Nach Eduard Hall, einem Chronisten des 16. Jahrhunderts, wandte sich Heinrich Tudor am 22. August 1485 unmittelbar vor der Entscheidungsschlacht von Bosworth in einer flammenden Rede an seine Soldaten. Wenn Gott jemals Grund gehabt habe, Menschen in einem gerechten Kampf den Sieg zu gewähren, dann müsse dies für ihre gemeinsame Sache gelten. «Denn», so Heinrich, «was kann ehrenhafter, besser und gottgefälliger sein, als gegen jemanden zu kämpfen, der sich als ein Totschläger und Mörder an seiner eigenen Blutsverwandtschaft, als extremer Verderber des Adels, als ein tödliches Übel, ein feuriges Brandmal und eine untragbare Last für dieses, unser Land und dessen arme Untertanen erwiesen hat? … Laßt Gott als den, der den Sieg gibt, urteilen und entscheiden, ob unsere Sache gottgefällig und gerecht ist oder nicht! …»

Bei dem hier als Mörder und blutrünstigen Tyrannen geschilderten Gegner Heinrichs handelt es sich um niemand anderen als König Richard III., der als der Prototyp des infamen Bösewichts und tyrannischen Königs schlechthin in die Geschichte eingegangen ist. Wenn auch dieses von der späteren Tudor-Geschichtsschreibung und vor allem von William Shakespeare in seinem berühmten Königsdrama vermittelte Bild dem letzten König aus dem Hause York sicher nicht gerecht wird, so wirken andererseits aber auch die teilweise in der Literatur unternommenen Versuche, ihn von allen Vorwürfen reinzuwaschen und zum «good king Richard» hochzustilisieren, wenig überzeugend. Zu sehr war Richards Königtum bereits in den Augen der Zeitgenossen durch Usurpation und politischen Mord belastet, als daß der moderne Historiker an diesen Fakten einfach vorbeigehen könnte. So bleibt die Tatsache unbestritten, daß Richard nach dem Tode seines älteren Bruders, König Eduards IV. (1483), die ihm anvertraute Vormundschaftsführung über die noch minderjährigen Söhne des Verstorbenen dazu nutzte, sich auf dubiose Weise die Krone anzueignen, indem er seine jungen Neffen für illegitim erklären und im Tower einkerkern ließ. Da die Prinzen aus dieser Haft nie mehr auftauchten, waren nicht nur die Zeitgenossen, sondern auch die meisten späteren Historiker davon überzeugt, daß sie auf Befehl oder zumindest mit Wissen Richards umgebracht wurden, um dessen Usurpation nicht zu gefährden.

Wenn auch vieles dafür spricht, daß die zitierte, Heinrich Tudor in den Mund gelegte Rede vom späteren Chronisten frei erfunden wurde, so gibt sie doch die Argumentation des neuen Thronprätendenten im Grundsatz zutreffend wieder, der gegen den tyrannischen König das Urteil Gottes in der Entscheidungsschlacht anrief. Und in der Tat: Das erbetene Gottesurteil entschied offensichtlich gegen den amtierenden König Richard III., der nicht nur die Schlacht, sondern auch sein Leben und ganz im wörtlichen Sinne auch seine Krone verlor, die er bewußt im Kampfe getragen hatte und die ihm im Handgemenge vom Kopf gefallen war. Es schien daher nur folgerichtig, daß noch auf dem Schlachtfeld Sir Thomas Stanley, der durch sein Eingreifen auf Heinrichs Seite wesentlich zur Entscheidung beigetragen hatte, dem Sieger die inzwischen wiedergefundene Krone aufs Haupt setzte und diesen unter dem Jubel des Heeres zum neuen König von England ausrief. Gott hatte sich aus der Sicht der Zeitgenossen zwar zweifelsfrei gegen den «tyrannischen» König Richard entschieden, aber hatte er sich auch ebenso eindeutig für das Königtum Heinrich Tudors und seiner Nachkommen ausgesprochen? Hatte nicht gerade die jüngste Vergangenheit, die Zeit der Rosenkriege, gezeigt, wie kurzlebig der auf dem Schlachtfeld errungene Sieg sein konnte, wenn ein neuer Thronrivale ein neues Gottesurteil herausforderte? So gesehen machte der militärische Erfolg allein aus einem Usurpator noch lange keinen legitimen König; es blieb auch dem Sieger nicht erspart, seine Untertanen von der Rechtmäßigkeit seines Anspruches zu überzeugen und seine Königsherrschaft in der Praxis gegen weitere potentielle Thronbewerber durchzusetzen. Dies dürfte auch Heinrich Tudor bewußt gewesen sein, der bereits durch sein früheres Verhalten die konstitutive Bedeutung des Gottesurteils auf dem Schlachtfeld für sein Königtum erheblich relativiert hatte. Schon im Jahre 1484 hatte er offiziell den Königstitel angenommen und damit zu erkennen gegeben, daß er seinen Thronanspruch noch auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen gewillt war, nämlich auf sein Erbrecht. Allerdings war dieser Erbanspruch – gelinde ausgedrückt – umstritten. Zwar galt Heinrich als der letzte Sproß des Lancasterkönigshauses, das auf Johann von Gent, den drittältesten Sohn König Eduards III., zurückging. Aber der über seine Mutter, Margarete Beaufort, hergeleitete Thronanspruch war unter zwei Gesichtspunkten anfechtbar. Zum einen konnte man gegen den Lancasteranspruch im allgemeinen einwenden, daß nach dem strengen Erstgeburtsrecht das Thronrecht der Nachkommen des zweitältesten Sohnes König Eduards III., verkörpert durch die Angehörigen des Hauses York, vorging. Hatten somit die überlebenden Erben des Hauses York im Vergleich zu Heinrich schon nach strengem Erbrecht die besseren Karten, kam noch hinzu, daß die Beaufort-Linie, der Heinrich Tudor innerhalb der Lancasterdynastie angehörte, auf eine illegitime Verbindung Johanns von Gent mit seiner Mätresse Katharina Swinford zurückging. Nachdem auch Heinrich Tudor selbst in seiner Herrschaftspropaganda die Auseinandersetzung mit seinem Widersacher nicht als Kampf um das Lancastererbrecht, sondern als Widerstand gegen einen blutrünstigen Tyrannen und Mörder thematisiert hatte, konnte er jetzt kaum erwarten, daß der – auch mit Hilfe von Anhängern des Hauses York – erfochtene Sieg auf dem Schlachtfeld zugleich als ein Gottesurteil zugunsten des Lancasterthronrechts gedeutet wurde.

Heinrich VII. (1485–1509)

Auch sonst standen die Chancen für Heinrich, den Makel der Usurpation abzustreifen und seine Königsherrschaft auch in der Praxis durchzusetzen, zunächst einmal nicht allzu günstig. So galt es kaum als ein gutes Omen, daß der entscheidende Sieg mit einem Heer erfochten wurde, das sich zu einem großen Teil aus notorischen Landesfeinden, nämlich Franzosen und Schotten, zusammensetzte. Auch die Tatsache, daß Heinrich gerade in Wales besondere Unterstützung von seiten einheimischer Geschlechter erfahren hatte, war in den Augen der meisten englischen Zeitgenossen wenig geeignet, ihn als Bewerber um die englische Königskrone zu empfehlen. Denn noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts war das Land von schweren Aufständen gegen die englische Herrschaft erschüttert worden, deren Folgen immer noch nicht völlig überwunden waren. Ein weiterer Schwachpunkt schien in der Person des Thronanwärters selbst zu liegen, der im Jahre 1485 in England praktisch nicht bekannt war. Auch sein Widersacher, König Richard, hatte ihn erst im Dezember des Vorjahres offiziell als Thronbewerber zur Kenntnis genommen, als er seine Untertanen in einem Manifest vor den Umtrieben einiger namentlich genannter Verräter warnte, die einen gewissen «Henry Tidder» zu ihrem Anführer gewählt hätten.

Schon die Zeitgenossen dürften sich daher gefragt haben: Wer war eigentlich dieser Heinrich Tudor? Wenn auch Heinrich selbst sowie einige zeitgenössische Chronisten immer wieder seine walisische Abstammung zu betonen pflegten, kann sich der Historiker diese Sichtweise nur bedingt zu eigen machen. So war Heinrichs Mutter, Margarete Beaufort, rein englischer Herkunft, während der Vater, Edmund von Hadham, Earl von Richmond, zwar väterlicherseits einem alten walisischen Geschlecht, mütterlicherseits jedoch der französischen Königsdynastie der Valois und der bayerischen Herzogsfamilie der Wittelsbacher entstammte. Heinrich selbst wurde zwar in Wales geboren und verbrachte hier...