Die Bedeutung von Ritualen in der Krisenintervention: Eine qualitativ-empirische Untersuchung

von: Petra Christine Türl

disserta Verlag, 2015

ISBN: 9783954253852 , 142 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 34,99 EUR

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Die Bedeutung von Ritualen in der Krisenintervention: Eine qualitativ-empirische Untersuchung


 

Kapitel 2, RITUALE: Bei einer oberflächlichen Beschäftigung mit dem Ritualbegriff ergibt sich weder Erklärungsbedarf über Sinn und Zweck, noch werden Gedanken laut, in welchen Zusammenhängen des täglichen Lebens dieser Begriff verwendet wird. Je intensiver die Auseinandersetzung mit der Thematik erfolgt, desto mehr Verwirrung entsteht. Einerseits durch einander widersprechende Aussagen, was denn nun als Ritual gelten 'darf', andererseits durch eine Fülle an klassischen und neuen Ritualtheorien. Hinzu kommt die von einigen Autor/innen (Mary Douglas, 2004; Florian Uhl 2010; Malidoma Somé, 2000) postulierte Entritualisierung der Gesellschaft, wahrnehmbar u.a. am Bedeutungsverlust kirchlicher Riten, wie etwa der Konfirmation. Aber auch Thesen, dass Rituale bzw. rituelle Handlungen völlig ohne Bedeutung und somit ohne Zweck sind. Diese Ansicht wurde von Frits Staal (1979) in 'The Meaninglessness of Ritual' vertreten und von Caroline Humphrey und James Laidlaw (1994) in modifizierter Form weiterverfolgt. In den letzten Jahren, darüber besteht unter den damit befassten Wissenschaftler/innen (Corina Caduff, 1999; Christoph Wulf, 2004; Jörg Zirfas, 2004; Birgit Heller, 2007) Konsens, erlebt das Ritual inklusive der Auseinandersetzung damit, sowohl eine wissenschaftliche als auch eine mediale Renaissance. Sonderforschungsbereiche (SFB), wie z.B. der SFB 619 der Universität Heidelberg wurden eingerichtet, ein großer Buchmarkt bedient unterschiedliche Interessen, sei es mit populären Ratgebern oder mit wissenschaftlichen Herausgeberwerken. Aber auch Tageszeitungen, Radioberichte und Fernsehreportagen nehmen sich der Thematik an. Die Ursache dieser 'Wiederbelebung' sowie die wachsende Bedeutung des Rituals wird u.a. 'in der gegenwärtigen politischen Situation', im 'Verlust von Werten', in der 'Suche nach kultureller Identität' (cit. Wulf, 2008, 181), im Sehnen nach Kraft und Halt, 'in einem kulturellen Raum, der weder Halt noch Gewissheit zu bieten vermag, sondern nur den Anschein von beidem' (cit. Michaels, 2007, 13) oder wie Uhl (cit. 2010, 163) ein Kapitel seines Buches betitelt in '(K)ein Bewusstsein von dem was fehlt', angenommen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist es nicht möglich, alle Aspekte einzubringen oder zu berücksichtigen, da aus der Fülle der wissenschaftlichen Literatur für diese Arbeit nur ein kleiner Teil ausgewählt werden kann. So weit es möglich ist, versuche ich einen Überblick über grundlegende Ansätze zum Thema Ritual und Ritualtheorien zu vermitteln. In den Anfängen der Ritualforschung, vor etwas mehr als hundert Jahren, wurden Rituale hauptsächlich mit Religion in Verbindung gebracht. Heutige Ritualtheorien betrachten Rituale kaum mehr als ausschließlich religiöse Phänomene, sondern beschreiben damit symbolische Handlungen ganz allgemein. Dies beruht vor allem darauf, dass ethnologische und anthropologische Forschungen zur Erkenntnis beitrugen, dass Rituale in fast allen Bereichen des Lebens zu finden sind. Bis ca. 1960 vertraten Wissenschaftler wie Émile Durkheim (1912), Mircea Eliade (1954), James G. Frazer (1955) oder Siegmund Freud (1912) die sich mit der Ritualthematik auseinandersetzten die Ansicht, dass Rituale sekundäre Phänomene sind und die tatsächliche Bedeutung außerhalb der rituellen Handlung zu finden sei. So war z. B. Durkheim der Meinung, dass die Bedeutung dahinter das Bedürfnis nach sozialer Solidarität ist (vgl. Wulf/ Zirfas, 2004, 12). Für Freud war das Bedürfnis hinter dem Ritual die Verdrängung traumatischer Ereignisse (vgl. Michaels, 1999, 25). Gegenwärtige Ritualwissenschaftler/innen (Andrea Belliger, 2008; Axel Michaels, 2002; Dietrich Harth/ Axel Michaels, 2003) hingegen betrachten Rituale als besondere Phänomene, deren Erforschung nur interdisziplinär betrieben werden kann. Somit ist die Ritualforschung heute ein Bereich, mit dem sich fast alle soziologischen Wissenschaften, die Rechtswissenschaft, die Theologie, die Medien- und Kommunikationswissenschaft, die Literatur- und Kulturwissenschaft, aber auch Kunsttheoretiker und Dramaturgen befassen. Aus dieser interdisziplinären Zusammenarbeit entstand in den letzten Jahren der Forschungszweig der 'ritual studies' (vgl. Belliger, Krieger 2008, 7ff).