Information und Gesellschaft - Technologien einer sozialen Beziehung

von: Hajo Greif, Oana Mitrea, Matthias Werner

DUV Deutscher Universitäts-Verlag, 2008

ISBN: 9783835054929 , 254 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 42,25 EUR

Mehr zum Inhalt

Information und Gesellschaft - Technologien einer sozialen Beziehung


 

Vergesellschaftung durch Information (S. 23)

Arno Bammé, Wilhelm Berger und Ernst Kotzmann

Die Technik ist auf dem Wege, eine solche Perfektion zu erreichen, dass der Mensch bald ohne sich selbst auskommt.

Stanislaw Jerzy Lec

Vergesellschaftung

Formale Rationalisierung und kommunikatives Handeln gelten unter Soziologen neben dem Marktmechanismus als die grundlegenden Koordinationsmechanismen der modernen Gesellschaft. Kommunikation schafft und reproduziert den gesellschaftlichen Konsens, der in der Vormoderne normativ gesichert war. Das Prinzip der kommunikativen Koordination gewann für Sozialwissenschaftler allerdings erst recht spät theoriebildende Bedeutung.

Die Klassiker der Soziologie sprachen wenig über Kommunikation, aber viel von formaler Rationalisierung und von den Gesetzen des Marktes. Erst mit der Umfokussierung von einer handlungs- zu einer kommunikationsorientierten Wissenschaft, wie sie am prononciertesten wohl von Luhmann, aber auch von Habermas vertreten wird, reagierte die Soziologie auf den Wandel der gesellschaftlichen Koordinationsmechanismen.

Während Habermas dem erfolgsorientierten, zweckrationalen Handeln das verständigungsorientierte, das eigentlich kommunikative Handeln gegenüberstellt, begreift Luhmann Kommunikation in einem eher technischen Sinn als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen. Weder Intentionalität noch Sprachlichkeit sind notwendige Bestandteile seiner Begrifflichkeit. Einen Einblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Ansätze gewährt Kiss (1987, S. 54 ff, 1990, S. 20 ff).

Heute wird diese mittlerweile selbst schon fast klassische Diskussion von Bemühungen überlagert oder sogar verdrängt, die zugleich traditionelle Grenzen zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften aufheben wollen: Unter den Bedingungen der technologischen Zivilisation erweise sich eine nach wie vor getrennte Betrachtung von Natur und Gesellschaft als unangemessen. Beide Sphären seien in der realen Welt gesellschaftlicher Reproduktion längst zur Synthese zusammengeschmolzen, zur vergesellschafteten Natur geworden.

„Das Ozonloch ist zu sozial […], um wirklich Natur zu sein, die Strategie der Firmen und Staatschefs zu sehr angewiesen auf chemische Reaktionen, um allein auf Macht und Interessen reduziert werden zu können" (Latour 1998, S. 14). Wissenschaftliche Experimente haben die geschlossenen Räume der Laboratorien verlassen. Sie werden heute zum Teil im Maßstab 1:1 und in Echtzeit durchgeführt.

Die traditionelle Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Laboratorien, so Latour, in denen mit Theorien und Phänomenen experimentiert wird, und einer politischen Situation außerhalb, in der Nicht-Experten mit Werten, Meinungen und Leidenschaften agieren, sei obsolet geworden. Dieser Sachverhalt des Ineinander-Aufgehens zweier zuvor getrennt gedachter Bereiche führt zu Denkmodellen, in denen auch die anfangs skizzierten Koordinationsmechanismen der modernen Gesellschaft als quer zur klassischen Grenze von Natur und Gesellschaft liegend betrachtet werden können.

So entwickelt der Biologe Dawkins ein naturalistisches „Programm mit […] universalem Anspruch" (Greif 2005, S. 117). Allerdings schließt Dawkins nicht, wie Sozialdarwinisten oder Soziobiologen das üblicherweise tun, einfach per Analogie von natürlichen auf soziale Phänomene, sondern unternimmt den systematischen Versuch einer einheitlichen Erklärung unter Verweis auf ein gemeinsames Drittes: das Prinzip der Selbstreplikation.

Die Mechanismen der Replikation und Selektion, wie sie in der Natur der Gene festgelegt sind, gelten ihm als substratunabhängig: Die Bedingungen dafür, als Replikator zu fungieren, seien nicht an die Substanz der DNA-Sequenzen gebunden. Prinzipiell seien alle Dinge, die zu einer modifizierenden Selbstreplikation fähig sind, Träger des Kausalmechanismus ihrer Evolution.Die Mechanismen, die Gegenstand einer solchen Deutung sind, finden sich Dawkins zufolge nicht nur in der Natur, sondern auch in der Gesellschaft.