Neoliberalismus - Analysen und Alternativen

von: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531908991 , 411 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 20,67 EUR

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Neoliberalismus - Analysen und Alternativen


 

Neuliberale Verhältnisse: Staatlichkeit und Geschlecht (S. 34)

Birgit Sauer

„Zur Freiheit gehört auch die Freiheit auszusterben, indem man sich weigert, das Leben weiterzugeben." Mit diesem Satz charakterisierte Gerd Habermann, Leiter des Unternehmensinstituts der deutschen Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer, auf einer Tagung der Hayek-Gesellschaft über Demografie und Ordnungspolitik die neuen Konditionen im Neoliberalismus (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 26.6.2006).

Im selben Monat verabschiedete der Bundestag das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für die Privatwirtschaft, das der Tübinger Jurist Eduard Picker in der FAZ (v. 28.6.2006) als erneute Einschränkung der „Privatautonomie (der) Bürger" durch die Legislative interpretierte. Der Ballast bürokratisch-regulierender Eingriffe in Privatverhältnisse, sprich in Markt und Produktion, so muss man Picker wohl verstehen, begrenze die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Bürger(inne)n, namentlich der Unternehmer.

Neben Profitmaximierung, Konkurrenz und gemäßigtem sozialem Ausgleich solle nun – zum Schaden der Unternehmerautonomie – ein neuer Wert eingeführt werden, nämlich jener der Gleichstellung von Frauen und Männern. „Freiheit" bzw. „Autonomie", „Bevölkerung" und „Generativität" sind offensichtlich ganz zentrale Begriffe im Rahmen der gegenwärtigen Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Gesellschaft, Ökonomie und Privatheit sowie der Neusituierung von Bürger(inne)n in diesem Verhältnis.

Und ganz zentral ist dabei ebenso deutlich, wenn auch nicht explizit angesprochen, die Geschlechterfrage – entweder auf das Demografieproblem reduziert oder als Gespenst der Gleichbehandlung heraufbeschworen. Dass die Idee der Freiheit allenthalben angerufen wird, ist einerseits nicht verwunderlich, baut doch der Liberalismus schon immer darauf.

Auch der neuliberale Generalbass Freiheit, der die Debatten unterlegt, verspricht neue Freiräume – u.a. für die persönliche Entwicklung und Lebensgestaltung, die Optimierung des Daseins, zivilgesellschaftliches Handeln, Demokratie und gesellschaftliche Selbstorganisation, realisiert durch Entbürokratisierung und einen schlanken, wendigen Staat. Diese wohlklingenden Ideen der Selbstbestimmung von politischen Bürger(inne)n sind die Hoffnung beispielsweise von NGOs, werden freilich dominiert vom Freiheitsbestreben vor allem in der neu formatierten Sphäre des Marktes.

Auch dies ist für (Wirtschafts-)Liberale nichts Neues: Freiheit ist vor allem die Freiheit der „marktförmig organisierte(n) Vertraglichkeit" (Legnaro 2000, S. 202), die nun jedoch als ökonomische Vertragsfreiheit in allen Bereichen des Lebens Gültigkeit erlangen soll. Die Metapher der Freiheit enthält dafür Versprechungen „auf multiple Optionen, vielfältige Chancen, den thrill des Sich- Selbst-Unternehmens" (ebd., S. 203, Hervorh. im Original).

Entrepreneurship, die Befreiung der Individuen aus den Klauen des fürsorglichen und bevormundenden Staates sowie gleichsam die „zweite Befreiung" aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sind Assoziationen, die der neoliberale Freiheitsdiskurs anstößt. Ein zweites – anderes – Projekt der Moderne und der Aufklärung soll auf den Weg gebracht werden.

Solche Debatten und Veränderungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Bedeutung, Form und Funktion von Staaten. Vielmehr ist die Transformation von Staatlichkeit eine ganz zentrale Dimension dieser ökonomischen und sozialen Veränderungen. Anders gesprochen: Die Ökonomie stellt nicht die Dominante im Prozess der Veränderung von Staatlichkeit dar, vielmehr kommt Staaten als Organisatoren von sozialer Ordnung, gesellschaftlichem Konsens und Hegemonie darin eine aktive Rolle zu.