Praxishandbuch Demenzbegleitung - Menschen mit einer Demenz aktivieren, begleiten und unterstützen

von: Werner

Hogrefe AG, 2013

ISBN: 9783456951379 , 276 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Praxishandbuch Demenzbegleitung - Menschen mit einer Demenz aktivieren, begleiten und unterstützen


 

Aufgrund der Krankheitssymptome (s. auch Kap. 2.1.2) benötigen Menschen mit einer de- menziellen Erkrankung ein Pflege- und Betreuungskonzept, dass sich ihren Bedürfnissen und Ressourcen anpasst. Solche Modelle sind z. B.:
• Model der fördernden Prozesspflege nach Monika Krohwinkel (ABEDL)
• Model der FEDL, «Fähigkeiten und existentielle Erfahrungen des Lebens»
• Konzept der Integrativen Aktivierenden Alltagsgestaltung (IAA).

Das ganzheitliche Modell der fördernden Prozesspflege nach Monika Krohwinkel bietet die Möglichkeit, anhand der ABEDL, «Aktivitäten, Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des täglichen Lebens», die Pflege und Betreuung auch für Menschen mit Demenz zu planen (s. Kap. 3). Das Modell orientiert sich an 13 ABEDL, die im (Pflege-)Alltag an die Bedürfnisse und Ressourcen von Menschen mit Demenz angepasst werden können. Dabei stehen eben nicht nur pflegerische Aspekte im Mittelpunkt, sondern eben auch ABEDLs wie «Kommunizieren können», «Sich beschäftigen können» und «Mit existentiellen Erfahrungen des Lebens umgehen können», die im Rahmen der Demenzbegleitung eine wesentliche Rolle spielen.

Ein weiteres Modell, das in Einrichtungen der Altenpflege angewandt wird, ist das Model der FEDL, «Fähigkeiten und existentielle Erfahrungen des Lebens» (Messer, 2009).

Entsprechend der Alltagsgestaltung von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen wurde das Konzept der Integrativen Aktivierenden Alltagsgestaltung (IAA) entwickelt. «Das übergeordnete Ziel der Integrativen Aktivierenden Alltagsgestaltung (IAA) ist, die Wahrung der Würde und die bestmögliche Lebensqualität betagter Menschen in stationären Einrichtungen zu erhalten» (Tschan, 2010:22).

Allen Konzepten liegt eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen zu Grunde, das heißt, dass vor allem auch psychosoziale Aspekte im Alltag berücksichtigt werden. Im pflegerischen Bereich treten jedoch psychosoziale Aspekte häufig in den Hintergrund. Bereits bei der Erhebung des Pflegebedarfs liegt der Fokus, bewusst oder unbewusst, auf den Defiziten des Betroffenen, darauf, wozu er selbstständig nicht mehr in der Lage ist: Was kann der Pflegebedürftige nicht mehr und wo benötigt er deshalb welchen Unterstützungsbedarf, z.B. bei der Nahrungsaufnahme, bei der Körperpflege, beim Mobilisieren oder Ausscheiden? Er erhält dann bei Bedarf Unterstützung bei pflegerischen Maßnahmen. Man könnte deshalb meinen, dass sich der Alltag von Menschen mit Demenz, wie Maria Schmidt und Wilhelm Rosenberg, in der Pflegeeinrichtung nur noch an ihren verloren gegangenen Fähigkeiten orientiert, daran, was sie alles nicht mehr können. Im Alltag sollten jedoch ihre Ressourcen, Fähigkeiten und Verluste (Defizite) beachtet werden. In diesem Zusammenhang haben Demenzbegleiter eine wichtige Aufgabe. Auch wenn Menschen mit Demenz sich vielleicht nicht mehr allein waschen, ankleiden oder auf die Toilette gehen können, so können sie möglicherweise noch der Musik lauschen, tanzen, malen oder aus ihrem Leben erzählen. Das sind Ressourcen, die Demenzbegleiter fördern müssen (s.S. 54). Bezüglich der Lebensqualität und des Wohlbefindens ist das «wie», vor allem persönliche Zuwendung sowie die Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen, von großer Bedeutung. Besonders bei der Begleitung von Menschen mit Demenz spielen psychosoziale Faktoren eine ganz wichtige Rolle.

Die derzeitige Situation in der Pflege macht jedoch deutlich, dass Pflegende allein diesem psychosozialen Anspruch längst nicht mehr gerecht werden können. Aufgrund der steigenden Anforderungen an die Pflege und der veränderten Rahmenbedingungen sind Pflegekräfte kaum mehr in der Lage, besonders Menschen mit Demenz die nötige psychosoziale Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, die sie im Alltag tatsächlich brauchen. Alltagsrelevante Symptome wie Unruhezustände, Apathie, depressive Stimmungen mit Suizidalität, Desorientiertheit, Sinnestäuschungen oder aggressive und abwehrende Verhaltensweisen «bedingen notwendigerweise einen erhöhten Betreuungsbedarf und eine besondere Interaktion und Kommunikationskultur mit den Betroffenen.» (MDS, 2009: 10)

Aus diesem Grund wurde im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes 2008 beschlossen, dass in Pflegeheimen für Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf zusätzliche Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI beschäftigt werden können. Für jeweils rund 25 demenziell erkrankte Pflegeheim-Bewohner kann demzufolge eine zusätzliche Betreuungskraft finanziert werden.

Es gibt in der Begleitung von Menschen mit Demenz Kompetenz-Überschneidungen zwischen tatsächlichen § 87b-Kräften («zusätzliche Betreuungskräfte») und den neu entstehenden Tätigkeitsprofilen wie «Betreuungsassistenten», «Alltagsbegleiter», «Alltagsbetreuer» oder «Demenzbegleiter» (s. Abb. 1-1). Mitarbeiter, die demnach zur Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz eingestellt werden, werden in den Einrichtungen unterschiedlich bezeichnet, obwohl sie eigentlich als «zusätzliche Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI» eingesetzt werden.

Uneinigkeit herrscht in der Praxis nach wie vor über das konkrete Aufgabengebiet von zusätzlichen Betreuungskräften, obwohl die Aufgaben von der GKV definiert wurden (s. Kap. 1.2.1). Besonders problematisch ist, dass keine bundeseinheitlichen Regelungen in Bezug auf die Ausbildung bzw. Qualifizierung von zusätzlichen Betreuungskräften existieren (s. Kap. 11).

In diesem Buch geht es ausschließlich um die «Demenzbegleitung», wobei sogenannte «zusätzliche Betreuungskräfte» gemäß GKV den «Demenzbegleitern» gleich gesetzt werden.

1.2 Was bedeutet «Demenzbegleitung»?

«Demenzbegleitung» bedeutet, dass Menschen mit einer demenziellen Erkrankung «begleitet» werden. Sie benötigen Begleitung im Alltag, da ihnen wichtige kognitive Fähigkeiten verloren gehen, die wir grundsätzlich benötigen, um unseren Alltag selbstständig zu gestalten. Kognitive Verluste, die mit einer demenziellen Erkrankung einhergehen, sind beispielsweise Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Denkstörungen und Sprachstörungen.

1.2.1 Aufgaben von Demenzbegleitern in der stationären Pflege

Menschen mit Demenz benötigen Hilfe und Unterstützung bei scheinbar ganz normalen alltäglichen Dingen. Dabei können sich die Betroffenen zu Beginn der Erkrankung meist noch selbstständig versorgen, wenn sie daran erinnert werden oder wenn ihnen erklärt wird, was gerade zu tun ist, wie z.B. das Waschen des Gesichts oder das Anziehen eines Pullovers funktionieren. Sie können sich auch beschäftigen, wenn sie Angebote erhalten und ihnen die Aktivität erklärt wird. Dazu ist ausreichend Zeit und Geduld erforderlich.

Menschen mit Demenz wollen auch trotz ihrer Erkrankung gewohnten Tätigkeiten nachgehen, wie kochen, Wäsche waschen, etwas reparieren, einkaufen oder einfach spazieren gehen. Krankheitsbedingt sind sie jedoch immer weniger in der Lage, zum Beispiel Situationen richtig einzuschätzen und ihre Grenzen zu erkennen. Sie begeben sich deshalb in Gefahr, wenn sie zum Beispiel mit Dingen hantieren, bei denen Vorsicht geboten ist (z. B. Herd, elektrische Geräte oder Reinigungsmittel) oder wenn sie allein unterwegs sind und die Orientierung verlieren. Menschen mit Demenz benötigen einen erhöhten Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf, damit sie sich nicht verletzen und an Lebensqualität einbüßen. Diese Beaufsichtigung und Betreuung übernehmen zusätzliche Betreuungskräfte bzw. Demenzbegleiter.

Für die zusätzlichen Betreuungskräfte für Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen entsprechend § 87b SGB XI wurden die Aufgaben klar definiert (GKV, 2008). Ihre Aufgabe besteht darin, die Bewohner zu betreuen und zu aktivieren und somit das Wohlbefinden und deren psychischen Zustand positiv zu beeinflussen (GKV, 2008:3). Im Einzelnen werden folgende Alltagsaktivitäten genannt (GKV, 2008:3):

• Malen und Basteln
• Handwerkliche Arbeiten und leichte Garten- arbeiten
• Haustiere füttern und pflegen
• Kochen und Backen
• Anfertigung von Erinnerungsalben oder -ordnern
• Musik hören, Musizieren, Singen
• Brettund Kartenspiele
• Spaziergänge und Ausflüge
• Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe
• Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Gottesdiensten, und Friedhöfen
• Lesen und Vorlesen
• Fotoalben anschauen.