Fräulein Mutter und ihr Bastard - Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970

von: Sybille Buske

Wallstein Verlag, 2013

ISBN: 9783835320604 , 400 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 31,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Fräulein Mutter und ihr Bastard - Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970


 

VII. Dynamisierung des Reformprozesses und Durchsetzung der Reform 1966 bis 1970 (S. 323-324)

1. Das Nichtehelichengesetz als Teil einer Gesellschaftsreform

Die Reformarbeiten kamen nur schleppend voran. Bis zur Vorlage des Referentenentwurfes war bereits die erste Hälfte der sechziger Jahre verstrichen. Die Ursache lag nicht im Mangel theoretischer Vorarbeiten. Vielmehr war die rechtswissenschaftliche Literatur zum nichtehelichen Kind und seinen Eltern in diesen Jahren enorm angewachsen. In Erwartung der Reform und begleitend zum Gesetzgebungsprozeß waren zahlreiche wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten entstanden; die einschlägigen Fachzeitschriften publizierten in jeder Ausgabe einen oder mehrere Aufsätze zum Thema.

Auch an Befürwortern fehlte es eigentlich nicht. Die Rechtswissenschaftler und -praktiker hatten seit vielen Jahren immer wieder auf die Dringlichkeit der Reform verwiesen. Der Nestor der Familienrechtswissenschaft, der Bonner Professor Friedrich Wilhelm Bosch, hatte 1962 den fehlenden Reformeifer des Gesetzgebers beklagt. Mitte der sechziger Jahre kam es in dieser Hinsicht zu entscheidenden Umbrüchen. Im Zentrum des Kapitels steht die Frage, welche diskursiven Entwicklungen das Zustandekommen der Reform des Unehelichenrechts im Jahr 1969 ermöglichten. Um dies zu beantworten, wird im folgenden der Verlauf des Gesetzgebungsprozesses in den entscheidenden drei Jahren vor der Verabschiedung der Reform analysiert. Dabei wird besonderes Augenmerk auf den Streit um bestimmte Konzepte und Schlüsselprobleme gelegt, die eine Reform bisher blockiert hatten.

1.1. Der Regierungsentwurf 1967


Im Verhältnis zum Referentenentwurf wurden im Regierungsentwurf wichtige grundsätzliche Änderungen vorgenommen. Diese waren auf drei Faktoren zurückzuführen: Erstens waren durch die Kritik der Fachkreise konzeptionelle Mängel des Entwurfs offenbar geworden. Zweitens kritisierte die mediale Öffentlichkeit vor allem, daß die Reform dem nichtehelichen Kind und seiner Mutter nicht den Rechtsstatus zubillige, der ihr zustehe. Das geringe Sozialprestige unverheirateter Mütter wurde auch als Ergebnis ihrer Rechtsstellung gesehen. Von der Reform erhoffte man sich daher positive Impulse für die gesellschaftliche Stellung von Müttern und Kindern.

Drittens beförderte der Regierungswechsel das Reformprojekt. Nach der Bundestagswahl und der Bildung der Großen Koalition im Dezember 1966 wurde der Sozialdemokrat Gustav Heinemann Justizminister. Er nahm sich der Strafrechtsreform und der Nichtehelichenrechtsreform an und sprach von einer »Entideologisierung« und »Entmythologisierung« des Rechts. Diese Leitbegriffe hatten eine doppelte Funktion: Einerseits ging es um die Abgrenzung seiner Rechtspolitik gegenüber der konservativen Politik der Ära Adenauer. Neue Leitbegriffe sollten einen Aufbruch markieren.

Das Justizministerium sprach dem Vollzug der Reform des Unehelichenrechts größere Bedeutung zu. Es handelte sich zwar formal gesehen um ein politisches Verfahren, das durch die Weisungen der Verfassung vorbestimmt war. Die Begründung stellte aber weitere inhaltliche Impulse für die Reform heraus. Sie betonte, »daß das Unehelichenrecht nicht allein um des Verfassungsauftrags willen geändert werden muß, sondern daß auch die Gerechtigkeit, Gründe der Humanität sowie das Streben nach einer gesunden Sozialordnung und die Zukunft einer geordneten Gesellschaft es unumgänglich machen, die Rechtsstellung der unehelichen Kinder neu zu regeln«.