Das Schicksal der DDR-Verlage - Die Privatisierung und ihre Konsequenzen

von: Christoph Links

Ch. Links Verlag, 2013

ISBN: 9783862842568 , 352 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Das Schicksal der DDR-Verlage - Die Privatisierung und ihre Konsequenzen


 

Einleitung


Fragestellung und Themeneingrenzung

Die Verlagslandschaft in Ostdeutschland hat sich in der Zeit zwischen 1990 und 2007 grundlegend verändert. Von den ehemals 78 staatlich lizenzierten Verlagen der DDR existiert in eigenständiger Form heute nur noch ein Dutzend. Sie produzieren nur etwa 18 % der früheren Titelzahl.1 Selbst mit den neu gegründeten Verlagen zusammen wurden 2006 in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) heute nur noch 2,2 % der gesamten deutschen Buchproduktion erzeugt (mit Berlin sind es 11,7 %).2 Die Zahl der in dieser Branche Beschäftigen ist in den ersten Jahren unter ein Drittel gefallen, bis 2007 auf unter ein Zehntel.3 Damit hat ein Umbruch stattgefunden, der noch gravierender ist als in vielen Bereichen der verarbeitenden Industrie, der aber bis heute nicht grundlegend untersucht worden ist.

Wo liegen die Ursachen für den extremen Rückgang in diesem produktiven Bereich der ostdeutschen Wirtschaft? Warum konnten sich nicht mehr Verlage in der Marktwirtschaft behaupten? Liegen die Ursachen vor allem im inneren Zustand der ostdeutschen Unternehmen selbst begründet oder eher in der Art und Weise der Privatisierung Anfang der 1990er Jahre oder gar im Umgang mit den ostdeutschen Filialen durch die neuen Eigentümer aus dem Westen?

Untersucht werden alle 78 Verlage, die am Ende der DDR eine offizielle Lizenz des Kulturministeriums hatten und noch unter eigenem Namen publizierten, unabhängig davon, ob sie wirtschaftlich eigenständig oder in eine größere Verlagsgruppe integriert waren. (Nicht berücksichtigt wurden die wenigen lizenzfreien kirchlichen und privaten Kleinverlage für Heimatliteratur oder Kunstdrucke sowie die verlegerischen Nebenaktivitäten staatlicher Institutionen.)

Da für die Privatisierung und Überführung in neue Besitzverhältnisse die Eigentumssituation bei der Ausdehnung des bundesdeutschen Rechtssystems auf das Gebiet der DDR im Jahr 1990 entscheidend war, werden die Besitzverhältnisse genauer betrachtet und bilden auch das Gliederungsprinzip der Arbeit.

Dies war in vielen Fällen außerordentlich schwierig, da neben dem Normenstaat DDR mit seinen offiziellen Strukturen ein weit verästelter Maßnahmestaat4 existierte, durch den die Verfügungsgewalt über Betriebe mehrfach verändert wurde, ohne dies auf der Normenebene (Handelsregister, Grundbuch) entsprechend zu fixieren. Daher wurde über die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse bei einzelnen Verlagen jahrelang juristisch gestritten.

Am Ende wird aus den Erfahrungen dieses Umgestaltungsprozesses die politisch und wirtschaftshistorisch relevante Frage abgeleitet, welche Formen der Privatisierung letztlich erfolgreich waren und welche Wege eher ins wirtschaftliche Desaster führten.

Mit dieser Arbeit soll zugleich für alle Praktiker in den Verlagen und Bibliotheken5, Buchhandlungen und Antiquariaten ein handhabbarer Gesamtüberblick zum Privatisierungsprozess der früheren Verlage in der DDR gegeben werden, da nicht nur der Erstverkauf durch die Treuhandanstalt berücksichtigt wird, sondern eine Untersuchung der Veränderungen in der gesamten Zeit bis Ende 2007 erfolgt, also auch dargestellt wird, welche Verlage noch aktiv sind, in welcher Eigentumsform sie sich inzwischen befinden, wo die Rechte und Archive verblieben sind, wie viele Titel in den noch existierenden Verlagen produziert werden und wie viele Mitarbeiter dort beschäftigt sind.

Zu jedem Verlag erfolgt außerdem eine kurze Darstellung seiner Entwicklung von der Entstehung bis 1989, wobei Grundangaben zu Eigentumsform, Profil, Titelanzahl und Mitarbeiterzahl angestrebt wurden, um so eine Vergleichsgröße für die Beurteilung der Entwicklung nach 1990 zu haben.6 Die handelnden Personen standen nicht im Zentrum der Untersuchung.

Methodischer Ansatz


Die Umgestaltung der osteuropäischen Gesellschaften nach dem Ende des Staatssozialismus hin zu politisch offenen Systemen mit marktwirtschaftlichen Strukturen ist auf durchaus unterschiedlichen Wegen erfolgt, die von den Sozialwissenschaften intensiv begleitet werden und in Teilen bereits erforscht sind. In den 1990er Jahren ist eine neue sozialwissenschaftliche Forschungsrichtung entstanden – die Transformationsforschung, in der vorrangig Politologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler, aber auch Historiker zusammenwirken. Im deutschen Sprachraum wurde diese Forschungsrichtung neben zahlreichen Lehrstühlen und Instituten an den Universitäten und Hochschulen vor allem auch von außeruniversitären Einrichtungen getragen wie etwa der Arbeitsgruppe Transformationsprozesse der Max-Planck-Gesellschaft (1992–96)7, dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und – speziell auf Probleme der deutschen Vereinigung bezogen – durch die zeitweilig wirkende Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern. Von den Wissenschaftlern ist über die Jahre ein eigenes methodisches Instrumentarium entwickelt worden8, das sich sowohl auf historisch kritische Methoden der Geschichtswissenschaft9, messbare Daten der Wirtschaftsanalyse und der Soziologie sowie auf Untersuchungen zu den Akteuren und ihren Interessen10 durch strukturierte Interviews stützt. Dieser dreifache methodische Ansatz liegt auch der vorliegenden Arbeit zugrunde.

Inzwischen gibt es zahlreiche Einzelstudien zu 26 Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, und es wurden mehrere Vergleichsuntersuchungen veröffentlicht.

Im wirtschaftlichen Bereich, wozu ja die Verlagsbranche zählt, lassen sich in allen Ländern ähnliche Varianten der Transformation ausmachen. Diese im »Washington Consensus« zusammengefassten Vorstellungen der Reformer sahen im Wesentlichen drei wirtschaftsreformpolitische Kernaufgaben vor: auf der Makroebene die Liberalisierung (der Preise, des Handels und der Beschäftigungsverhältnisse) sowie die makroökonomische Stabilisierung (Inflationsbekämpfung, Haushaltskonsolidierung, Schuldenabbau) und auf der Mikroebene die Privatisierung und Restrukturierung der Unternehmen. Erst seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde der qualitativen Konsolidierung marktwirtschaftlicher Institutionen verstärkte Bedeutung zuerkannt.

Die Umgestaltung erfolgte danach hauptsächlich auf drei Wegen:11

1.) Massenprivatisierung an viele Teilhaber über Bezugsscheine (Voucher) bzw. die Ausgabe von Aktien: Dies kann schnell geschehen und ist gut durchschaubar, doch durch den Streubesitz wird eine effiziente Restrukturierung oft verzögert, da die Entscheidungsfindung kompliziert verläuft.

2.) Direkte Unternehmensverkäufe an strategische Investoren: Kapitalkräftige (meist ausländische) Unternehmen verfügen über Mittel und Erfahrungen zur Neustrukturierung der Betriebe, doch bergen solche Eigentumsübertragungen ohne öffentliche Ausschreibung die Gefahr der Undurchschaubarkeit bei begleitenden Absprachen in sich und sind auch für Korruption anfällig.

3.) Veräußerung an Belegschaften und betriebliches Leitungspersonal (MBO – Management Buy-out): Dabei kann auf das Insiderwissen der Beteiligten gebaut werden, doch verfügen diese oft nicht über das notwendige Kapital für anstehende Modernisierungsprozesse. Zudem werden bei diesem Weg die alten Chefs privilegiert und die Mitarbeiter benachteiligt, was die Legitimation dieses Verfahrens erschwert. Im Falle der Belegschaftsprivatisierung gilt dagegen die Interessenkonstellation im Unternehmen als restrukturierungswidrig, da die Arbeitnehmerinteressen der Belegschaft an Beschäftigungserhalt und Lohnsteigerung ihren Eigentümerinteressen entgegenstehen.

Neben der Privatisierung im engeren Sinne der Übertragung des Unternehmensvermögens an neue Eigentümer spielte bei der Reform der Eigentumsverhältnisse in den meisten Transformationsländern ein vierter, oft besonders konfliktträchtiger Weg eine wichtige Rolle – die Reprivatisierung, d. h. die Rückübertragung von Unternehmensvermögen an die Alteigentümer, die nach der sozialistischen Machtübernahme enteignet worden waren.

Im ostdeutschen Fall war das Vermögen, das zwischen 1945 und 1949 unter sowjetischem Besatzungsrecht enteignet worden war, von Rückübertragungsansprüchen ausgenommen. Für Vermögen, das ab 1949 von der DDR-Regierung enteignet wurde, schrieb die »Gemeinsame Erklärung« der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 (Anlage III zum Einigungsvertrag) einen grundsätzlichen Anspruch der Alteigentümer auf Rückgabe ihres enteigneten Vermögens fest. In der Praxis lief dies in der überwiegenden Zahl der Fälle auf den umstrittenen Grundsatz »Rückgabe vor Entschädigung« hinaus, was auch viele Verlage betraf.

Während die meisten Länder eine Mischung aus allen drei Wegen praktizierten, setzte Deutschland über die dafür zuständige Treuhandanstalt fast ausnahmslos auf die zweite Variante. Aus den Erfahrungen der anderen Transformationsländer ist bekannt, dass dies bei gewissenhafter Prüfung der Käufer und dem Einbau von Kontrollmechanismen zur längerfristigen Überprüfung der getroffenen Vereinbarungen (etwa zur Fortführung des Betriebes, zu versprochenen Investitionen und zur Beschäftigung) ein durchaus erlösträchtiger Weg mit guten Modernisierungschancen sein kann, doch bleibt das Problem der Intransparenz,...