Das Interesse des Denkens: Hegel aus heutiger Sicht

Das Interesse des Denkens: Hegel aus heutiger Sicht

von: Wolfgang Welsch, Klaus Vieweg (Hrsg.)

Wilhelm Fink Verlag, 2007

ISBN: 9783770539277 , 286 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 72,00 EUR

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Mehr zum Inhalt

Das Interesse des Denkens: Hegel aus heutiger Sicht


 

Dieter Henrich
ERKUNDUNG IM ZUGZWANG - URSPRUNG, LEISTUNG UND GRENZEN VON HEGELS DENKEN DES ABSOLUTEN (S. 9-10)

1. Spekulativ und konkret

Hegels Name wird schon seit langem mit wissenschaftlichen Erkundungsleistungen verbunden. Und immer wieder einmal ist ihm der Rang eines Entdeckers oder Wegbereiters zugefallen, wenn Disziplinen neu auftraten oder Theoriebereiche sich neu orientierten. So galt er schon im neunzehnten Jahrhundert als Begründer einer Kunst- und Kulturgeschichte, die theoretisch fundiert ist und die dennoch die Wandlungen der Epochen und der Zivilisationen in der Tiefe zu erschließen weiß. Seine politische Philosophie galt als Muster einer Theorie, die als Naturrecht auftritt, die aber Ökonomie, gesellschaftliche Verhältnisse und kollektive Bewußtseinslagen in Beziehung aufeinander zu erklären sucht. Ein Jahrhundert später hat man ihn zum Zeugen dafür aufgerufen, daß alle Formen selbstbewußter Erfahrung in sozialen Verhältnissen verwurzelt sind. Er konnte zum Wegbereiter einer Theorie des intersubjektiven Fundaments von Sinn und Bedeutung sowie der Grunddifferenz und des Wandels von Weisen der Welterschließung aufsteigen. Unlängst konnte er als der Schöpfer eines Modells für einer wahrhaft universale Theorie der Gesellschaft Anerkennung finden, deren Aufschlußkraft vor keinem Problembereich erlischt.

Alle solche Leistungen gehören Bereichen zu, die Hegel in seine Philosophie des Geistes eingeordnet hätte. Rühmt man Hegel also ihretwegen, so gibt man in einem damit zu verstehen, daß vielem von dem keine solche fortwirkende Bedeutung zukommt, was er selbst sich zugute hielt und was ihm als seine eigentliche Aufgabe erschien: Die Grundlehre der Philosophie als spekulative Metaphysik unter dem Gedanken eines einzigen Absoluten zu vollenden. Noch auffälliger wird eine allgemeine Distanz zu Hegel, wenn man die Theoriebildungen selbst ins Auge faßt, die sich auf ihn berufen und zurückleiten. Hegel hat seine Philosophie des Geistes in einer Sprache entwickelt, die nur seinen Texten eigentümlich ist und die nicht einmal imitierbar scheint. Sie gibt diesen Texten eine Dichte und Artikulationskraft, die in den Texten der Nachfolgenden entweder bald verdunstete oder durch eine ganz andere Mitteilungsart ersetzt werden mußte. Eine Beziehung zu Hegel läßt sich dann aber nur aus sehr großer Ferne, beinahe nur gewaltsam und jedenfalls durch einen Nebel von Unbestimmtheit ausmachen. Das, worum es Hegel in der Philosophie zu allererst gegangen war, ist offenbar unauflösbar mit der Erschließungskraft auch derjenigen seiner Untersuchungen verbunden, die heute wegen ihrer oftmals verblüffend originellen Analysen Interesse auf sich zie hen. Ihre theoretische Kraft verschwimmt oder erlischt deshalb auch, wenn man nicht mehr in den Gesichtspunkt eintreten kann, der Hegels Gedanken und seine Feder auch dort anleitete, wo sie auf neue Weise die Realitäten von Geschichte und Gesellschaft aufschlossen.

Nun hat Hegel diese aufschließende Kraft seiner Untersuchungen damit erklärt, daß sie aus spekulativem Denken hervorgehen. Wer aber von solchem Denken heute noch spricht, scheint von vorn herein im Abseits zu stehen und einen von Hegelschülern vollzogenen Paradigmenwechsel des Denkens verschlafen zu haben. Diese Abseitslage kann sich noch fataler darstellen, wenn man Hegels noch weitergehendem Anspruch beachtet, der dahin ging, einzig ein spekulativ verfaßtes Denken sei dazu imstande, konkret zu werden und also komplex verfaßtes Wirkliches als solches zu begreifen. Man kann diesen Anspruch aber auch nicht mit Stillschweigen übergehen. Gibt doch schon die Kontinuität in der sprachlichen und begrifflichen Form zwischen Hegels Grundlegung einer spekulativen Philosophie und seinen gerühmten realphilosophischen Untersuchungen seiner These eine Beglaubigung. Wir können nicht umhin, den Bedingungen nachzugehen, unter denen diese bemerkenswerte Kontinuität zwischen einem weltüberfliegenden und einem welterschließenden Denken erreicht worden ist.

Nach Hegel ist ein Denken dann konkret, wenn von ihm Wirkliches nicht nur als etwas Gegebenes beschrieben und erklärt wird. Aus der registrierenden Distanz zu Gegebenem kann man Wirkliches durch seine Eigenschaften charakterisieren und die Gesetze ermitteln, denen seine Veränderungen unterliegen. Dabei werden Begriffe auf vielerlei Weise gebildet und gebraucht. Aber das Wirkliche kann so nicht, wie Hegel sich ausdrückt, auf den Begriff oder auf seinen Begriff gebracht werden. Das ist nur dann möglich, wenn es gelingt, die Verhältnisse im Wirklichen in der Weise zu verstehen, in der wir die ganz anders verfaßten Verhältnisse von Zahlen und geometrischen Figuren verstehen können. Deren Verhältnisse werden nicht am Wirklichen erkannt. Vielmehr gehen wir in deren Erkenntnis davon aus, daß sie schlechthin in solchen Verhältnissen aufgehen.