Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten

Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten

von: Heinz D. Kittsteiner (Hrsg.)

Wilhelm Fink Verlag, 2007

ISBN: 9783770539475 , 301 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 27,90 EUR

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Mehr zum Inhalt

Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten


 

DARIUSZ ALEKSANDROWICZ
Die beiden Grundprobleme der Kulturwissenschaft (S. 25-26)

In der intensiv geführten Diskussion werden immer wieder zwei Fragen gestellt: (1) Was ist die Kulturwissenschaft? (2) Was ist die Kultur? Diese beiden Grundsatzfragen deuten auf Probleme hin, die die Kulturwissenschaft mit sich selbst hat. Hierzu gehört das unter den Kulturwissenschaftlern vielzitierte Problem des „Selbstverständnisses" ihres Faches. Darin, solche Fragen zu stellen, zu beantworten und darüber zu debattieren, besteht eine nicht unwesentliche Form der tatsächlichen Existenz der Kulturwissenschaft: Ihre Existenz als Metadiskurs über die Kulturwissenschaft. Dies involviert u. a. die Fragen danach, welcher Typ der wissenschaftlichen Praxis (sei es in den Einzeldisziplinen, sei es in einer interdisziplinären Vernetzung derselben) als repräsentativ für die kulturwissenschaftliche Tätigkeit angesehen werden kann.

Obwohl es z. B. auch in der Physik nicht verboten ist, Fragen wie „Was ist die Physik?" oder „Was ist die physikalische Welt?" nachzugehen, hätten sie dort kaum Interesse erweckt.1 Dagegen erweisen sich in der Kulturwissenschaft solche Fragen nicht nur als legitim, sondern auch als plausibel. Dem liegt nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte und der dadurch bedingte Status der Kulturwissenschaft zugrunde. Anders als die meisten anderen Disziplinen ging die Kulturwissenschaft nicht aus einem „organischen" Prozess der Beschäftigung mit bestimmten Typen von Problemen hervor. Vielmehr wurde sie aufgrund von Projekten einer Umgestaltung der bestehenden disziplinären Ordnung in den Geistes- und Sozialwissenschaften implementiert. Solche Projekte waren teils wissenschaftspolitischer Provenienz und zielten vornehmlich auf institutionelle Reformen ab, teils entsprangen sie der Diagnose einer Krise in den genannten Wissenschaften, insb. in den Geisteswissenschaften, und dem Versuch, sie zu überwinden. Zwar nimmt die Bezeichnung „Kulturwissenschaft" auch Konzepte und Praktiken für sich in Anspruch, auf die diese Genealogie nicht zutrifft (zumal dieser Ausdruck schon viel früher verwendet wurde). Dennoch ist es vornehmlich der durch die erwähnten Projekte bestimmte Hintergrund, vor dem man sich mit jenen Konzepten in der gegenwärtigen Debatte besonders intensiv auseinandersetzt.

I. Die Kulturwissenschaft und die Krise der Geisteswissenschaften

Wenn ich mich nun, etwas ausholend, dem Entstehungszusammenhang der Kulturwissenschaft zuwende, dann geht es mir nicht um die empirische Wissenschaftsgeschichte im üblichen Sinne. Stattdessen meine ich damit eine – wie sie Lakatos nannte2 – „(rationale) Rekonstruktion" bzw. Interpretation der „Logik", die den betreffenden Vorgängen zugrunde lag. Mit „Logik" wird hier eine historisch bedingte Konstellation von Problemdefinitionen, Problemlösungsangeboten und Folgen, die sich aus deren Implementierung ergeben, gemeint.

In der metadiskursiven Selbstdarstellung wird die Entstehung der Kulturwissenschaft mit der Krise der Geisteswissenschaften in Verbindung gebracht. Was wird damit gemeint? Was bedeutet hier der Ausdruck „Krise der Geisteswissenschaften"? Von Krisen ist zum Beispiel auch im Kuhnschen Modell der Wissenschaftsgeschichte4 die Rede. Diesem zufolge tritt eine Krise dann auf, wenn sich ein theoretisches Paradigma als nicht mehr leistungsfähig und nicht mehr optimierbar erweist und von einem neuen Paradigma abgelöst werden muss. Es gibt aber zwei Gründe, warum mit dem erwähnten Ausdruck im vorliegenden Kontext etwas anderes als bei Kuhn gemeint wird. Zum einen können im Unterschied zu den Naturwissenschaften, auf die sich die Kuhnsche Darstellung bezog, die Geisteswissenschaften nicht ohne weiteres als eine dynamische Struktur von klar voneinander abgegrenzten und aufeinander folgenden Paradigmen betrachtet werden.

Zum anderen deutet die Formulierung nicht auf die Krise eines besonderen Forschungsparadigmas innerhalb der Geisteswissenschaften, sondern auf die Krise der Geisteswissenschaften als eines, wenn man dies so nennen will, „Metaparadigmas" hin. Darüber hinaus führt sich diese Krise nicht primär auf wissenschaftslogisch bzw. epistemologisch definierbare Zusammenhänge zurück. In den einzelnen geisteswissenschaftlichen Disziplinen können u. U. nach wie vor theoretische und methodische Ansätze Anwendung finden, denen man dort vor 10, 20, 50 oder sogar mehr Jahren begegnete. Die Krise, die hier gemeint wird, hat nun weniger damit als vielmehr mit der soziokulturellen Einbettung der Geisteswissenschaften zu tun. Sie betrifft primär nicht besondere Forschungsprogramme oder Disziplinen, sondern die kontextuellen Faktoren, die bislang den Geisteswissenschaften als einem Typ der tradierten und institutionalisierten Einstellung gegenüber der Welt Geltung und Selbstvergewisserung verschafften.