Wie geht's uns denn? - Ärztliche Kommunikation optimieren

von: Thomas Bergner

Schattauer GmbH, Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2012

ISBN: 9783794563586 , 246 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 29,99 EUR

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Wie geht's uns denn? - Ärztliche Kommunikation optimieren


 

8 Besondere ärztliche Gespräche (S. 123-124)

8.1 Telefongespräche

Wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt, sind etwa 55 % aller Botschaften nonverbaler Natur. Diese Informationsquelle steht Ihnen bei einem Telefongespräch nicht zur Verfügung. Sie bekommen also über die verbalen und paraverbalen, technisch stark beschnittenen Signale beim Telefonieren erheblich weniger und weniger bedeutsame Informationen vom Patienten. Gleiches gilt für den Patienten. Als Konsequenz daraus sollten Sie so wenig ärztliche Gespräche am Telefon führen wie nur möglich. Überspitzt könnte man sagen: Entweder handelt es sich um ein ärztliches Gespräch, hat damit eine gewisse Bedeutung und sollte deshalb persönlich geführt werden – oder es braucht überhaupt nicht vom Arzt geführt zu werden, kann also delegiert werden.

8.2 Visitengespräche

Der Patient in einem Krankenhaus muss sich den dort herrschenden Strukturen unterwerfen. Jede stationäre Behandlung führt zu erheblichen persönlichen Einschränkungen und sonst unüblichen Belastungen. Dazu gehören die Zimmerzuweisung, im Zimmer die Bettzuweisung, die Unmöglichkeit, sich zurückzuziehen, die Isolierung (es gibt kein Krankenhaus, das Besuche 24 Stunden am Tag ermöglicht), die Festlegung der Essenszeiten und damit des Lebensrhythmus, das Abschneiden von Informationsquellen wie dem Internet oder individuell abonnierten Zeitungen. Der Status des Patienten wird durch standardisierte Kleidung (schlimmstenfalls auch noch hinten offen) und die Abgabe von persönlichen Dingen gemindert, die ansonsten gestohlen werden könnten. Stationär behandelte Patienten wer den einer Vielzahl von im Acht-Stunden-Rhythmus wechselnden Bezugspersonen ausgesetzt, was die Beziehungen anonymisiert. Dennoch empfinden Patienten alle diese Maßnahmen weniger negativ als die mangelnde Aufklärung über Art und Verlauf der Erkrankung [40, 45].

Dem Visitengespräch kommt somit für den Patienten eine herausragende Bedeutung zu. In der Realität sieht es anders aus: Die Missachtung der Privatsphäre bei einem Visitengespräch ist offenkundig. In Anwesenheit Dritter wie beispielsweise den anderen Patienten wird über sehr Persönliches gesprochen.Die originär intime nicht-öffentliche Dyade, welche sonst beim ärztlichen Gespräch üblich ist, ist aufgehoben zugunsten einer öffentlichen. Das ärztliche Gespräch mit der wahrscheinlich stärksten Hierarchieabstufung des Patienten ist die Visite im Krankenhaus.

Der scheinbaren oder tatsächlichen Herabstufung liegt auch ein grundsätzliches Missverständnis zugrunde: Patienten meinen, die Visite diene dazu, sie tagtäglich über den Verlauf ihrer Erkrankung oder Heilung zu informieren, dass also die Visite eine bestimmte Form der sonst üblichen Kommunikation mit dem Arzt sei. Es ist für sie oftmals die einzige Möglichkeit, den Arzt überhaupt zu sehen und zu sprechen. Ärzte hingegen nutzen die Visite vorrangig, umaufgrund ihres am Bett des Patienten auf den neuesten Stand gebrachten Wissens um dessen Erkrankung neue Entscheidungen über die Therapie und damit auch Anweisungen an das Pflegepersonal zu treffen. Ihre Erwartungen an dasGesprächmit demPatienten sind andere, sie haben mehr Routine- und Kontrollcharakter.

Die Visite ist ein Lehrbuchbeispiel für Kommunikation, die grundsätzlich aneinander vorbeiläuft. Die Gespräche während einer Visite unterscheiden sich stark von den sonst üblichen ärztlichen Gesprächen [40]:
- Sie dauern nicht lange.
- Sie haben eine weit höhere Anzahl geschlossener und damit lenkender Fragen.
- Sie ignorieren gern die Initiative des Patienten.
- Sie verzichten auf übliche Rahmenelemente wie eine adäquate, individuelle Begrüßung, Vorstellung und Verabschiedung.
- Sie weisen eine vermehrte Nutzung von Fachausdrücken auf.

Alles in allem ist das übliche ärztliche Visitengespräch von einer noch stärkeren Asymmetrie geprägt als andere ärztliche Kommunikation. Um diese zumindest zu mildern, gibt es eine eiserne Regel für jedes Visitengespräch – und es liegt in der Verpflichtung eines jeden Arztes, dafür zu sorgen, dass diese Regel eingehalten werden kann.