Putnam vs. Putnam. Für und wider den Funktionalismus in der Philosophie des Geistes

von: Stephan Cursiefen

Diplomica Verlag GmbH, 2008

ISBN: 9783836612036 , 111 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 33,00 EUR

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Putnam vs. Putnam. Für und wider den Funktionalismus in der Philosophie des Geistes


 

Kapitel 3.2.1, Mentale Zustände und funktionale Beschreibungen:Zwei grundlegende Gedanken der funktionalistischen Theorie Putnams I verbinden sich mit den Begriffen der funktionalen Isomorphie und der funktionalen Beschreibung. Eine Definition des erstgenannten Begriffes findet sich nur in dem Artikel Philosophy and Our Mental Life, der zuletzt genannte Begriff hingegen wird an verschiedenen Stellen erläutert, wobei der Begriff der funktionalen Isomorphie den Begriff der funktionalen Beschreibung voraussetzt, wie es auch von Putnam I verschiedentlich betont wird. Die Definition der funktionalen Isomorphie gestaltet sich folgendermaßen: Zwei Systeme seien genau dann funktional isomorph, wenn es eine Korrespondenzrelation zwischen den Zuständen des einen und den Zuständen des anderen Systems gebe, die die funktionalen Beziehungen erhalten könne, die innerhalb der beiden Systeme bestehen. Wenn es eine Abbildung F gebe, so daß, wenn die psychologische Theorie T eine Beschreibung der funktionalen Ordnung des einen Systems enthalte, jede Eigenschaft und jede Relation dieser Beschreibung auf die Eigenschaften und Relationen der Beschreibung des anderen Systems abgebildet werden könne, so daß die beschriebene Theorie T erfüllt werde, wenn man alle Verweise auf das erstgenannte System durch Verweise auf das letztgenannte System ersetze und die erforderlichen Symbole der Theorie T der Abbildung entsprechend interpretiere, seien die fraglichen Systeme funktional isomorph. Für das Modell der Turingmaschine, das nach Ansicht Putnams I ein brauchbares Modell aller intelligenten Lebensformen sein soll, gebe es darüberhinaus eine funktionale Standardbeschreibung. Eine Darstellung des Turingmodells und der vollständigen Beschreibung einer Maschine durch die entsprechende Maschinentafel findet sich in dem Abschnitt Turing Machines des Aufsatzes Minds and Machines. Da es sich jedoch um eine Beschreibung handelt, die in ähnlicher Form jedem Lehrbuch zu entnehmen ist und dem Beispiel entspricht, das schon im letzten Kapitel gegeben wurde, muß sie an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. In diesen Zusammenhang ist jedoch zum einen darauf hinzuweisen, daß der Begriff der Turingmaschine insofern durch die turingmaschinelle Beschreibung, durch das Modell der Maschinentafel bestimmt ist, als jedes System, die durch eine solche Maschinentafel beschrieben werden kann, sich als Turingmaschine bezeichnen läßt. Die Menge aller Turingmaschinen ist also mit der Menge aller Systeme identisch, die durch eine Maschinentafel beschrieben werden können, auch wenn Putnam I an dieser Stelle lediglich von Maschinen, nicht von Systemen spricht: „Any machine that is described by a machine table (. . . ) is a Turing machine.“ Zum anderen beansprucht Putnam I besondere Formen des Turingmodells, sei es in der Form der Spezialisierung, so etwa im Falle der beschriebenen Gemeinschaft endlicher Automaten, die mit menschenähnlichen Organen und einer entprechenden Motorik ausgestattet sind, sei es in der Form der Verallgemeinerung, so etwa im Sinne endlicher Automaten, deren Übergangsbestimmungen nicht deterministisch, sondern statistisch sind.Eine aufschlußreiche Formulierung der funktionalistischen Position Putnams I findet sich in dem Aufsatz The Nature of Mental States. Sie zerfällt in vier Teilsätze: 1) Jeder Organismus, der schmerzempfindlich ist, ist ein statistischer Automat. 2) Für jeden schmerzempfindlichen Organismus gibt es zumindest eine funktionale Beschreibung. 3) Kein schmerzempfindlicher Organismus läßt sich in Bestandteile zerlegen, für die es funktionale Beschreibungen gibt. 4) Für jede funktionale Beschreibung gibt es eine Menge sensorischer Reize oder Eingaben, so daß sich ein Organismus mit dieser Beschreibung genau dann in dem Zustand der Schmerzempfindung befindet, wenn einige der sensorischen Eingaben, die vorliegen, zu dieser Menge gehören.Den ersten Teilsatz hält Putnam I selbst für redundant: „It is, in fact, empty, since everything is a Probabilistic Automaton under some Description.“ Die dritte Bedingung diene lediglich dem Zweck, solche Systeme auszuschließen, die sich ihrerseits nur aus statistischen Automaten zusammensetzen. Aus der Präzisierung der zweiten und der vierten Bedingung hingegen werde sich eine funktionale Normalform psychologischer Beschreibung und ein (notwendigerweise vorläufiger) Gegenstandbereich der Psychologie ergeben. Der von Ned Block und anderen Autoren vorgebrachte Einwand, daß sich aus der Spezifikation zulässiger Eingaben innerhalb der funktionalistischen Theorie nur eine artenspezifische und somit chauvinistische Theorie mentaler Zustände, eine artenspezifische Psychologie werde entwickeln können, wird somit nicht entkräftet. Dem Vorwurf der Liberalität muß sich eine solche Theorieform nicht stellen.Bei dieser Bestimmung der funktionalistischen Theorie handelt es sich weniger um eine psychologische Theorie als vielmehr um ein Modell zur Erzeugung artenspezifischer psychologischer Theorien, um eine Normalform psychologischer Beschreibung. Putnam I rückt somit de facto, wenn auch nicht ausdrücklich, von dem Anspruch einer universellen Theorie mentaler Zustände ab.In dem Aufsatz The Nature of Mental States zählt Putnam I, von den schon behandelten Vergleichen dieser Theorie mit den beiden Standardtheorien des Geistes einmal abgesehen, jedoch auch noch eine Reihe von methodischen Argumenten zugunsten der funktionalistischen Theorie des Geistes auf. Zum einen sei es möglich, die Gesetze der Psychologie aus einer Aussagenmenge abzuleiten, die einerseits Aussagen der Form ‚Alle Organismen der Art A sind durch die Beschreibung Si1 zu erfassen, alle Organismen der Art B sind durch die Beschreibung Si2 zu erfassen, usw.‘ und andererseits Identitätsaussagen der Form ‚Schmerz ist ein funktionaler Zustand, so daß . . . ‘ enthalte. Zum zweiten gehe das Vorhandensein eines funktionalen Zustandes, wie z. B. der Schmerzempfindung nicht nur mit den Verhaltensdispositionen der Schmerzempfindung einher, sondern erkläre diese Verhaltensdisposition (u. a. in einem ursächlichen Sinne). Zum dritten schließe die Identifikation von mentalen und funktionalen Zuständen empirisch unfruchtbare Fragen, die sich aus einer naturalistischen Sichtweise ergeben könnten, aus.Ein anderer Gedanke, der sich zugunsten der Identifikation von mentalen und funktionalen Zuständen, zugunsten der funktionalistischen Theorie (und in diesem Fall auch gegen einen dualistischen Standpunkt) ausspricht, wird wiederum in der Form eines Gedankenspiel vorgestellt. Man stelle sich vor, daß es zwei unterschiedliche Gattungen einer fremden, außerirdischen Lebensform gebe. Die Individuen der Gattung A seien mit einer Seele, einem Geist im klassischen Sinne des Wortes, die Individuen der Gattung B hingegen mit einem hochentwickelten Gehirn ausgestattet. Wenn die Individuen der beiden Gattungen jedoch in funktionaler Hinsicht gleichförmig wären, gäbe es keinen Grund mehr, diese Individuen durch verschiedene psychologische Theorien zu beschreiben. Putnam I erörtert verschiedene Einwände, die sich gegen eine solche Behauptung anführen lassen.Zum einen könne man dieser Behauptung gegenüber den Standpunkt vertreten, dass sich der Begriff der funktionalen Isomorphie (und somit auch der Begriff der funktionalen Ordnung) nicht auf das anwenden lasse, was wir in einem vortheoretischen Sinne des Wortes als ‚Seele‘bezeichnen. Die Behauptung, daß die Individuen der beiden Gattungen in funktionaler Hinsicht isomorph seien, liefe also darauf hinaus, den Begriff der Seele in unzulässiger Weise zu erweitern, über automatenartige Seelen zu sprechen. Putnam I besteht jedoch darauf, daß sich der Begriff der funktionalen Ordnung auf jeden Gegenstand anwenden lasse, welcher durch eine psychologische Theorie beschrieben werden könne, und beruft sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die Ausführungen von Jerry Fodor.Zum anderen könne man dieser Behauptung gegenüber auch den Standpunkt vertreten, daß die Seele im religiösen Sinne des Wortes solche Eigenschaften habe und imstande sei, solche Dinge zu vollbringen, für die es keine physikalische Erklärung geben könne. Dies bezieht sich z. B. auf die religiösen Vorstellungen der Reinkarnation, der Erlösung und der Erleuchtung, auf den Gedanken der Telepathie und ähnliches. Wenn der Begriff der Seele solche Merkmale unter sich vereinen sollte, die den gegenwärtigen Gesetzen der Physik zuwiderlaufen, müßte auch Putnam I zugestehen, daß es keine funktionale Isomorphie zwischen Seele und Gehirn geben kann: „There cannot be a soul which is isomorphic to a brain, if the soul can read the future clairvoyantly, in a way that is not in any way explainable by physical law.“ Doch auch diesen Einwand läßt Putnam I nicht uneingeschränkt gelten. Weniger anspruchsvolle Eigenschaften seien mit dem Modell der funktionalen Ordnung durchaus vereinbar, wenn sie den physikalischen Gesetzen nicht prinzipiell, sondern nur in einem technischen Sinne zuwiderlaufen sollten, und auch die physikalischen Gesetze seien in gewissem Umfang revisionsfähig. Somit erfordere auch der herkömmliche Seelenbegriff keinen dualistischen Standpunkt: „(. . . ) even if one is interested in those questions (. . . ), even then one doesn’t need an immaterial brain or soul-stuff.“Die positive Deutung der Analogie von Mensch und Maschine, die Deutung dieser Analogie zugunsten der funktionalistischen Theorie spielt wiederum in dem Aufsatz Minds und Machines eine besondere Rolle, wie es ja auch der Titel desselben vermuten läßt. Im Anschluß an die zuvor schon erwähnte Darstellung des Turingmodells erörtert Putnam I an dieser Stelle die Frage, ob sich die Probleme der Privatsprachlichkeit, der erkennt-nistheoretischen Asymmetrie mentaler bzw. funktionaler Zustände und der Introspektion auch im Falle einer Maschine (bzw. im Falle zweier Maschinen) ergeben.Man betrachte eine Turingmaschine T, die zu dem Zweck konstruiert worden sei, eine bestimmte Dezimalstelle der Zahl _ zu berechnen. Wenn z. B. die Zahl 10 auf dem Eingabeband erscheine, werde T die zehnte Dezimalstelle von _ in einer endlichen Abfolge von Einzelschritten berechnen, das Ergebnis der Berechnung auf das Ausgabeband drucken und in den Ruhezustand übergehen. Eine genauere Kenntnis der Zustände, die bei einer solchen Berechnung zu durchlaufen wären, sei für die Maschine T jedoch ebenso wenig erforderlich wie für einen Menschen, der eine entsprechende Berechnung durchführt oder, allgemeiner gesagt, über ein bestimmtes Wissen propositionaler Art verfügt: „In short, it is necessary to have sense experiences, but not to know (or even notice) what sense experiences one is having, in order to have certain kinds of knowledge.“ Die Frage, inwiefern T denn wissen könne, daß der richtige Zustand erreicht wurde, entspreche einem Mißverständnis der Epistemologie. Gehe man im Falle eines menschlichen Individuums davon aus, daß die Kenntnis der Proposition p die Kenntnis anderer Propositionen p1 , p2 , . . . , pn voraussetze, führe dies zu einem unendlichen Regress oder der unerfreulichen Notwendigkeit, von einer besonderen Menge spezieller, angeborener Protokolldaten auszugehen.