Erleuchtung gefällig? - Ein esoterischer Selbstversuch

von: Bernd Kramer

Ch. Links Verlag, 2013

ISBN: 9783862842438 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Erleuchtung gefällig? - Ein esoterischer Selbstversuch


 

Einleitung


Warum sich plötzlich alle als spirituell und ganzheitlich begreifen


Vielleicht bin ich aus der Zeit gefallen. Weil ich wahrscheinlich immer noch diesem kalten, unbarmherzigen Rationalismus anhänge, der sich doch längst als gescheitert erwiesen hat. Der die vergangenen 200 Jahre unser Denken dominierte. Aber was hat er gebracht? Eine Wissenschaft, die sich allein aufs Vermessen kapriziert; Bürokratien, denen das Schicksal des Einzelnen egal ist; Unternehmen, die in ihren Mitarbeitern vor allem eine verwertbare Arbeitskraft sehen; ein Gesundheitssystem, das den Menschen als reparierbare Maschine betrachtet und nicht als das beseelte Wesen, als das er begriffen werden will. Wer heute etwas auf sich hält, denkt anders. Spirituell. Ganzheitlich. Postrational.

Nur ich bekomme das nicht hin. Ich weiß noch nicht einmal, was das heißt. Ich verharre weiter in der alten, stahlharten Welt und werde partout nicht empfänglich für das neue Numinose.

So könnte man es beschreiben.

Irgendwann habe ich bemerkt, dass ein Teil meines Umfeldes und ich auseinanderdrifteten. Viele, die ich für intelligent und aufgeklärt hielt, fingen an, sich für die seltsamsten Dinge zu begeistern. Mir fiel auf, wie viele meiner Bekannten Dingen Glauben schenkten, deren Unsinnigkeit ich für ausgemacht hielt.

Da ist zum Beispiel eine Kommilitonin, die mir erzählte, dass sie ihre Klausuren mit der Unterstützung einer Freundin zu meistern pflegte, die ihr zur Prüfungszeit per Fern-Reiki positive Energien schickte. Nicht dass sie wirklich daran glauben würde, aber es habe zumindest nicht geschadet.

Da ist zum Beispiel ein entfernter Verwandter, der, wie ich höre, inzwischen zusätzlich zu seinem Hausarzt eine Geisthei­lerin konsultiert. Diese Heilerin, sagt er, trete sehr bodenständig auf, keine Hexe, keine überakzentuierte Spinnerin, nicht eingebildet oder überheblich, bescheiden im Auftreten, eine ganz gewöhnliche Frau mittleren Alters in Jeans und Bluse. Als ob allein durch Attribute der Alltäglichkeit die Geistheilerei plausibler würde.

Die Menschen in meinem Umfeld sind vielleicht noch vorsichtig und unbestimmt in ihrem abschließenden Urteil darüber, ob an Geistheilerei, Fern-Reiki oder wirkstofffreien Arzneimitteln wirklich etwas dran ist. Als offenkundigen Unsinn ablehnen wollen sie es wiederum auch nicht. Was geht hier vor sich?

***

Die Esoterik boomt. Bevölkerungsumfragen zeigen, dass mitunter 40 Prozent der Deutschen der Astrologie gegenüber aufgeschlossen sind. Jeder Vierte glaubt an Wiedergeburt und damit potenziell auch daran, dass Ereignisse aus vergangenen Leben das Dasein im Hier und Jetzt beeinflussen.1 Eine Studie der Universität Hohenheim vermaß vor einigen Jahren die Gruppe der »spirituellen Sinnsucher«, die ihre ganz persönliche Erleuchtung außerhalb der traditionellen Kirchen und Konfessionen zu finden hofft. Zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung zählten die Forscher dazu.2 Selbst Konfessionslose, selbst solche, die auf den ersten Blick atheistisch erscheinen, bezeichnen sich zu einem beträchtlichen Teil als spirituell.3 Das gesellschaftliche Klima hat sich verschoben. Die Kirche mag man noch als engstirnig und autoritär ablehnen, ohne auf großen Protest zu stoßen. Aber das Spirituelle kratzt man nicht mehr so ungestraft an. Spiritualität ist gut. Wer sie ablehnt, ist gefühllos, engstirnig, verschlossen. So wie ich.

Verlässliche Zahlen darüber, wie viel die Deutschen Jahr für Jahr für Esoterik ausgeben, gibt es genauso wenig wie einen Konsens, was überhaupt Esoterik ist. Der Trendforscher Eike Wenzel bezifferte den Jahresumsatz mit dem Übersinnlichen immerhin auf bis zu 25 Milliarden Euro. Tendenz steigend.4 »Die Esoterik dringt zunehmend in den ganz normalen Alltag ein«, meint Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Die Folge: »Viele nehmen sie schon gar nicht mehr als esoterisch wahr.«5

Wie weit die Esoterik die Gesellschaft schon durchdrungen hat, lässt sich an vielen Beispielen zeigen. Die Bundesagentur für Arbeit etwa fördert mit dem Bildungsgutschein die Umschulung zum Astrologen. Es gibt Unternehmen, die sich dafür interessieren, wie sie Mitarbeiter anhand der Schädelform auswählen können, und zahlreiche Personalberater, die ihnen dabei helfend zur Seite stehen.6 Bürgermeister halten Eröffnungsreden auf Esoterik-Messen.7 Jürgen Klinsmann lässt Buddha-Statuen auf dem Trainingsgelände aufstellen, weil das den Spielern »einen gewissen Energiefluss« gebe.8 Auch die Polizei schreckt vor metaphysischen Ermittlungsmethoden nicht zurück: Beamte in Hamburg konsultierten einen Geisterbeschwörer, der Kontakt zu einem von den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ermordeten türkischstämmigen Gemüsehändler aufnehmen sollte. Auf die richtige Fährte führte dieser angebliche »Gigant unter den Metaphysikern« die Ermittler nicht. »Versuch macht klug«, meinte lapidar einer der Beamten in einer Mail an die Kollegen, »und verlieren können wir letztlich nichts.«9 Selbst an Universitäten, dem vermeintlichen Hort der Aufklärung, wird, häufig mit Geld aus der Wirtschaft, an Hellseherei und dergleichen geforscht. Esoterik ist mittlerweile Mainstream.

Was Shakespeare seinem Hamlet in den Mund legte, scheint zum Motto unserer Tage geworden zu sein. Nachdem der Prinz von Dänemark zur mitternächtlichen Stunde dem Geist seines verstorbenen Vaters begegnet war, sagte er zu seinem Freund Horatio den Satz, den heute auch alle Apologeten der Esoterik als Totschlagargument gegen jeden Zweifel herbeizitieren: »Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.«

Mag ja sein.

Aber was folgt daraus? Dass die geschmähte Schulweisheit prinzipiell unfähig wäre, nicht doch eine schlüssige Erklärung zu finden? Oder dass es tatsächlich andere zuverlässige Möglichkeiten gibt, Phänomene zu erkennen und brauchbar zu machen, wenn uns Schulweisheit und Alltagsverstand nicht weiterhelfen?

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Bei mir löst dieser Mainstream keinen Sturm der Begeisterung aus, sondern einen diffusen Schauer. Mag sein, dass ich mich als Kind in der Geisterbahn auf dem Dorfjahrmarkt so sehr erschrocken habe, dass ich seither einen großen Bogen auch um die guten Gespenster mache, um die Elfen und Engel. Ob die Geister nun schön oder schaurig sind, ist zweitrangig. Sie bleiben Geister, und das grundsätzliche Problem bleibt das gleiche: Wie können wir wir selbst bleiben, wenn wir zu Mitteln greifen, die unseren Verstand übersteigen, auch wenn diese Mittel noch so menschenfreundlich und nützlich erscheinen? Die Esoterik belässt es nicht beim Gebet, bei dem der Gottesfürchtige von Anfang an einkalkulieren muss, dass der unergründliche Allmächtige es möglicherweise nie erhören wird. Auf dem Gebiet der Esoterik gilt Unwirksamkeit von vornherein eher als Ausnahme und nicht als Regel. Für eine Weile tragen uns ihre Methoden vielleicht tatsächlich über eine schwierige Situation, aber plötzlich stellen wir fest, dass wir die Geister, die wir riefen, so schnell nicht wieder loswerden. Goethes Zauberlehrling, der im Übermut das Haus unter Wasser setzt, ist Beispiel genug.

Nicht nur, dass die Selbstauslieferung an das Übersinnliche eine unheilvolle Eigendynamik entfalten kann. Etwas an der Esoterik wirkt schief, widersprüchlich, suspekt. Irgendetwas, scheint mir, passt bei ihr nicht richtig zusammen. Die Arbeit der Heiler und Wahrsager, Energiearbeiter, Astrologen und Schamanen wirkt wie der Versuch, Ephemeres in Portionen zu pressen, Weiches hartzubekommen und Hartes seelenweich. Das Bemühen, Geist mit Materie zu vereinen, scheint mir genauso zum Scheitern verurteilt zu sein wie die Idee, man könne die Luft, die uns umgibt, in Würfel schneiden und mit der Post in alle Welt verschicken. Die Esoterik wirkt unecht und lügnerisch. Sich an ihr kurieren zu wollen, ist, als würde man seine Wunden mit Watte aus Eisenspänen betupfen. Oder mit Verbänden aus Sonnenlicht. Es passt nicht zusammen.

Theodor Adorno schüttelte den Kopf über diese so offensichtlich inkonsistent gefertigten Plastikreligionen. Da schimpfen ihre Anhänger so sehr über den Materialismus unserer Tage. »Aber den Astralleib wollen sie wiegen«, schreibt Adorno. »Die Objekte ihres Interesses sollen zugleich die Möglichkeit von Erfahrung übersteigen und erfahren werden. Es soll streng wissenschaftlich zugehen; je größer der Humbug, desto sorgfältiger die Versuchsanordnung.«10

Vor allen Dingen kommt mir das alles nicht vor wie etwas Religionsähnliches, wie etwas, an das man ernsthaft glauben könnte. Transzendentes, das sich dazu herablässt, Steinchen zu beseelen oder Prüfungserfolge zu befördern, diskreditiert sich selbst. Das Übersinnliche macht sich lächerlich, wenn es sich in so Banalem äußert wie einem Kartendeck oder einer Kristallkugel und buchbar ist auf dem Therapie- und Seminarmarkt. Als Weltenlenker halte ich Gott schon für unplausibel, als Hausmeister erst recht. Als Patchwork-Religion unterläuft die Esoterik durch die willkürliche Verbindung von Wiedergeburtglaube und Bibelexegese, Engeln und Energieströmen außerdem so offensichtlich jeden absoluten Wahrheitsanspruch, dass sie für mich unmöglich als glaubwürdige Alternative in Betracht kommt. Lieber glaube ich nichts.

Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts besuchte Thomas Mann einige Séancen im Hause des Münchener Parapsychologen...