Das Ende der Bequemlichkeit - 7 Thesen zur Zukunft Österreichs

von: Hannes Androsch

Christian Brandstätter Verlag, 2013

ISBN: 9783850337755 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 7,99 EUR

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Das Ende der Bequemlichkeit - 7 Thesen zur Zukunft Österreichs


 

EINE ERFOLGSSTORY, DIE SICH NICHT VON SELBST FORTSCHREIBT


Einleitung


„Krise“ ist das Unwort unserer Tage. Wir begegnen ihm seit Jahren an allen Ecken und Enden in unermesslich vielen Variationen: zuerst als in den USA beginnende Immobilienkrise ab 2007, die eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise zur Folge hatte und in vielen Fällen eine schon seit Längerem schwelende Staatsschuldenkrise erst so richtig zum Vorschein brachte; dann als Krise Europas, das um neue Regeln für seine Währungsunion kämpft und deshalb neue Institutionen braucht; zwischendurch als Bankenkrise, Griechenland-Krise, Zypern-Krise …

Das inflationär gebrauchte Wort verschleiert mehr, als es erhellt. Kausalitäten werden ausgeblendet, Gewichtungen fallen unter den Tisch, die Einordnung von aktuellen Problemlagen in historische Zusammenhänge geht verloren. So ist es kein Wunder, dass die Krisenschlagzeilen der letzten Jahre auch den Blick auf etwas verstellt haben, was jüngeren Österreichern meist erst bewusst wird, wenn sie die Geschichtsbücher studieren: die beinahe unglaubliche Erfolgsgeschichte Österreichs nach 1945, der Aufstieg von einem Armenhaus zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt.

Wer am Ende des Zweiten Weltkriegs durch Wien streifte, sah eine Stadt in Trümmern, hungernde Menschen, verzweifelte Gesichter, aber auch Hand anlegende Trümmerfrauen. Trotz der vielen Opfer des Krieges, seiner gewaltigen Zerstörungen und der Belastungen durch die folgende zehnjährige Besatzung steht Österreich heute als ein Land da, das in vielen Wirtschaftsvergleichen hervorragende Weltpositionen einnimmt. Beim Wohlstand sind wir weltweit die Nummer elf, in Europa sogar die Nummer drei. Die Verteilung dieses Wohlstands ist, nimmt man den Gini-Index als Maßstab, eine der ausgeglichensten. Wien ist unter den Millionenstädten weltweit eine mit der höchsten Lebensqualität geworden.

Nach einem Knick in Folge der Wirtschaftskrise haben die Exporte im Jahr 2012 mit 123,5 Milliarden Euro bereits wieder einen historischen Spitzenwert erreicht. Seit 2002 erzielt das Land durchgängig Leistungsbilanzüberschüsse, in Summe über 70 Milliarden Euro. Im Vergleich mit anderen starken Volkswirtschaften des Kontinents konnten wir uns in den letzten Jahren überdurchschnittlich gut behaupten: Selbst die Niederländer erwarten 2013 das dritte Mal seit 2009 eine Schrumpfung ihrer Wirtschaft. In Österreich war das Bruttoinlandsprodukt bisher nur im Jahr 2009 rückläufig. Was sind die Gründe für diesen erstaunlichen Aufstieg und für diese Robustheit?

Im Gegensatz zur prekären Lage in der Ersten Republik, einem „Staat, den keiner wollte“ und der den Schock des Zerfalls der Donaumonarchie nie überwand, bestand nach 1945 der unbedingte Glaube an die Überlebensfähigkeit des Landes. Eine große Anzahl österreichischer Politiker aus allen politischen Lagern hatte sich während der nationalsozialistischen Herrschaft in den Konzentrationslagern wiedergefunden – in Dachau oder anderen Schreckensorten etwa die spätere Führungsgarnitur der Zweiten Republik: Leopold Figl, Alfons Gorbach, Fritz Bock, Franz Olah, Rosa Jochmann, Karl Seitz und viele andere. Der Bürgerkrieg 1934, die Erfahrungen unter dem austrofaschistischen Regime, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hatten einen Gesinnungswandel bewirkt, Grundstein für eine neue Identitätsstiftung. Niemals vergessen werden darf dabei, dass viele, vor allem jüdische Mitbürger, nach dem Anschluss ermordet worden sind oder fliehen mussten. Eine große Zahl der Überlebenden ist zum Glück nach dem Krieg wieder zurückgekehrt.

Wirtschaftlich erwies sich das von US-Außenminister George C. Marshall in seiner berühmten Harvard-Rede am 5. Juni 1947 initiierte „European Recovery Program“ (ERP), ein gigantisches Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekt für den alten, darniederliegenden Kontinent, als Segen insbesondere für Österreich. Zwischen 1948 und 1952 wurden von den USA insgesamt rund 12,4 Milliarden Dollar im Rahmen des Marshallplans bereitgestellt – Österreich erhielt unter allen Empfängerstaaten die zweithöchste Summe an Hilfe pro Kopf, zeitweise in Höhe von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, davon einen hohen Anteil in Form von Zuschüssen statt rückzahlbaren Krediten. Insgesamt bekam unser Land zwischen 1945 und 1955 ausländische Hilfsgüter im Wert von über einer Milliarde Dollar. Noch heute spielt der ERP-Fonds eine hilfreiche Rolle in der Wirtschaftsförderung. Wichtiger als die ökonomische war aber wahrscheinlich die psychologische Wirkung, unterstützend kam noch der Konjunkturaufschwung als Folge des Korea-Kriegs dazu.

Außenpolitisch bewirkte der Plan in der heiklen Zeit, als der Eiserne Vorhang fiel, eine Neuorientierung: Die Zweite Republik vollzog mit der Integration in das westliche Wirtschaftssystem eine außen- und wirtschaftspolitische Neuorientierung, weg von Österreichs traditionellen Einflussräumen in Ost- und Südosteuropa, hin zu einer allgemeinen Westorientierung.

Dass die Weichenstellung auch in die andere Richtung hätte führen können, ist den wenigsten bewusst: Weil die USA amerikanische Kontrolleure für die Verteilung der Hilfsgüter und der ERP-Kredite installieren wollten, lehnten die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten die Marshallhilfe ab – und dieses Veto sollte auch für die sowjetischen Besatzungszonen in Österreich, also ganz Ostösterreich, vermutlich auch Wien, gelten. Doch dann, so schreibt Hugo Portisch in seinem lesenswerten Europa-Buch Was jetzt, stimmte der US-Kongress einer einmaligen Ausnahme innerhalb des ERP-Gesetzes zu – nur in der Sowjetzone Österreichs sollte es österreichische statt amerikanische Kontrolleure geben dürfen. Damit war auch das Veto der Sowjets hinfällig, ganz Österreich konnte nun am Marshallplan partizipieren. Eine Zerreißprobe blieb der jungen Zweiten Republik erspart.

Zur Hilfe von außen gesellte sich ein durchdachter innerer Integrationsprozess. Die Große Koalition, die nach dem Regierungsaustritt der Kommunisten 1947 das Land regierte, und die später folgende Einrichtung der Sozialpartnerschaft gewannen von Jahr zu Jahr an Trittsicherheit. Erstmals zum Tragen kam das sozialpartnerschaftliche Konzept in den fünf Preis-Lohn-Abkommen von 1947 bis 1951. In der vom Krieg zerstörten und durch Demontagen beraubten österreichischen Wirtschaft galt es damals, die unabdingbar notwendigen Investitionen zu sichern – darin bestand sozialpartnerschaftlicher Konsens. Die Lohnentwicklung sollte unter der Produktivitätssteigerung liegen, um die Investitionstätigkeit und damit das Wirtschaftswachstum anzuregen. Die Währungsreform 1947 unterstützte diese Beschlüsse: Um inflationäre Tendenzen zu bekämpfen, wurde die Geldmenge, über welche die Haushalte aus kriegswirtschaftlichen Gründen reichlich verfügte, größtenteils eingezogen. Eine große Hilfe war auch der 1953 Österreich gewährte beträchtliche Schuldennachlass.

Selbst die im Oktober 1950 nicht nur von kommunistischer Seite inszenierten Unruhen als Reaktion auf das vierte Preis-Lohn-Abkommen konnten an diesem Konsens nichts ändern. Österreich behauptete sich als pluralistische, neutrale und rechtsstaatliche Demokratie; es hat sich nach 1945 wiedergefunden in seinen Ländern, Parteien und Interessenverbänden – bei gleichzeitig weitgehendem Verzicht auf seine visionäre Sendung und auf die mitteleuropäische Idee eines geistigen, größeren Österreich, wie sie schon Anfang des 20. Jahrhunderts kursiert war. Diese Idee flammte erst im Zuge der engagierten Expansion der österreichischen Wirtschaft in die ehemaligen Kronländer nach der Ostöffnung 1989 in Ansätzen wieder auf.

Mitte der siebziger Jahre gelang mit der Etablierung der Hartwährungspolitik ein weiterer Schritt, der die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs entscheidend verbesserte. Ohne das Festhalten an einem harten Schilling hätte Österreich womöglich niemals vergleichbare moderne Industrienationen wirtschaftlich überflügeln können. In den Neunzigern und den Nullerjahren wurde das Land, das in Monarchiezeiten noch zu den Nachzüglern in der Industrialisierung und im Welthandel gehört und kontinuierlich an Bedeutung verloren hatte, so zu einem – gemessen am Beitrag des Außenhandels zum Bruttoinlandsprodukt – der führenden Exportländer.

Doch das Blatt hat sich in den letzten Jahren gewendet. Ablesbar ist das am Abrutschen in zahlreichen internationalen Standortvergleichen. So ist Österreich in der aktuellen Ausgabe des wichtigsten EU-Innovationsrankings auf den neunten Platz abgerutscht, 2009 hatten wir noch Platz sechs inne. Im Global Innovation Index sind wir zuletzt auf Platz 23 gelandet – nach Rang 15 im Jahr 2009. Im World Competitiveness Report des Schweizer International Institute for Management Development (IMD) rangiert Österreich ebenfalls auf Platz 23, womit unser Land innerhalb von fünf Jahren um zwölf Plätze nach hinten gefallen ist. Im Kapitel...