#wir - Wie die Digitalisierung unseren Alltag verändert

von: Oliver Dziemba, Eike Wenzel

Redline Verlag, 2014

ISBN: 9783864144622 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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#wir - Wie die Digitalisierung unseren Alltag verändert


 

Big Data in Love: Wie die Digitalisierung unser Liebesleben verändert


In wenigen Jahren schon wird die Digitalisierung in die meisten sozialen und technischen Alltagssphären vorgedrungen sein. Auch die Welt der Paarbeziehungen, wie wir sie bisher kannten, wird sich durch den digitalen Wandel verändern. Schon heute geht in den USA jeder dritten Ehe ein Kennenlernen im Internet voraus, wie Forscher der Universität Chicago herausfanden.

Würde der Trend zum Onlinedating sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren genauso weiterentwickeln wie in der vergangenen Dekade, dann wären wir spätestens im Jahr 2030 alle online auf der Suche nach einem Partner fürs Leben … oder fürs Bett … oder für einen gemeinsamen Tauchurlaub auf den niederländischen Antillen.

Der Wunsch nach Liebe ist älter als das Internet. Die Vorläufer des Onlinedating haben ihren Ursprung bereits in den 1960er-Jahren. Damals war es der junge Buchhalter Lewis Altfest, der auf der Weltausstellung in Queens durch einen Computer, der nach Eingabe einiger Persönlichkeitsmerkmale eine Brieffreundschaft vermittelte, inspiriert wurde. Altfest kontaktierte seinen Freund Robert Ross, der als Programmierer bei IBM beschäftigt war, um das computergestützte Kennenlernprinzip weiter auszubauen. Bald schon hatten sie das Projekt TACT (Technical Automated Compatibility Testing) gestartet: den weltweit ersten computergestützten Datingservice. Für 5 US-Dollar Teilnahmegebühr konnte ein Fragebogen mit mehr als 100 Fragen ausgefüllt werden. Anschließend wurde dieser in einen Computer eingegeben, um herauszufinden, welcher Partner am besten zu einem passte. Die Matching-Ergebnisse wurden schließlich auf Karten (blaue für Männer, pinkfarbene für Frauen) vom Computer ausgeworfen.

Obwohl TACT damals für riesiges mediales Aufsehen und landesweit große Nachfrage sorgte, verfolgten Altfest und Ross ihre Idee nach ein paar Jahren nicht mehr weiter. Rückblickend stellten sie, laut The New Yorker, irgendwann fest, dass TACT für sie nur eine Spielerei gewesen sei, ein Leidenschaftsprojekt mit viel Herzblut eben. Robert Ross lernte immerhin gewissermaßen über TACT seine Ehefrau kennen: die Journalistin Patricia Lahrmer, die für eine Story über TACT eigentlich Lewis Altfest interviewen wollte, diesen aber im Büro nicht antraf. So führte sie das Interview stattdessen mit Ross, worauf die beiden sich schon bald wieder trafen, ein Liebespaar wurden und zwei Jahre später heirateten.

Heute, im 21. Jahrhundert, ist die digitale Suche nach dem Liebesglück zu einem Milliardenmarkt mit unendlichen Möglichkeiten geworden. Immer mehr Anbieter wollen etwas von dem Kuchen abhaben. In Deutschland gibt es schätzungsweise über 2.000 Singlebörsen – und immer mehr Singles. Zuletzt zählte das Statistische Bundesamt für Deutschland fast 16 Millionen Singles. Das Onlinedating lebt aber längst nicht mehr nur von den einsamen Herzen, die sich im Internet auf Partnersuche begeben. Der digitale Raum hat sich zu einem Marktplatz gewandelt, auf dem sich jeder anbieten und ausstellen kann, egal ob verheiratet, in fester Beziehung oder mit speziellen Neigungen und Vorlieben. Die Konditionen für das digitale Anbandeln kann jeder selbst bestimmen. Der Preis (neben dem für die Mitgliedschaft bei einem Datingportal), den jeder zahlen muss, ist die Enthüllung der eigenen Identität, persönlicher Eigenschaften, individueller Merkmale und Verhaltensweisen – und natürlich jeder Menge Urlaubsfotos. All das lässt die Datenberge der Onlinedatingbranche weiter anwachsen und die Algorithmen hinter den Matchingsystemen, die – so das Versprechen der Anbieter – mit wissenschaftlicher Forschung und Erkenntnissen aus Soziologie, Psychologie und Mathematik den richtigen Partner ausfindig machen wollen, immer klüger werden.

Digitales Liebesglück: Milliardenmarkt und Sehnsuchtsmaschinerie


Schaltet man heute zur besten Sendezeit den Fernseher ein, gewinnt man den Eindruck, dass bei der Suche nach einem Partner kein Weg mehr am Internet vorbeiführt. Die Parships, Friendscouts und E-Darlings dieser Welt bepflastern mit ihren Slogans mittlerweile nicht mehr nur das Stadtbild und die U-Bahn-Stationen oder die Bannerplätze der Internetauftritte renommierter Tages- und Wochenzeitungen. Gefühlt jede freie Werbeminute, jeder freie Werbeplatz wird genutzt, um uns wieder und wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass richtige Liebe, also Liebe, die uns glücklich und ein Leben lang zufrieden stimmt, in Zukunft nur noch online erhältlich sein wird – vornehmlich im Januar, nach dem Fest der Liebe, also dem an den Werbeausgaben gemessen traditionell stärksten Werbemonat der Onlinedatingbranche. Alleine die Top 5 der Singlebörsen in Deutschland gaben im Januar 2013 laut Nielsen Media Research Center zusammen fast 10 Millionen Euro für TV-Werbung aus, angeführt vom Marktführer Parship (4,1 Millionen Euro), gefolgt von Elite Partner (2,1 Millionen Euro), E-Darling (1,6 Millionen Euro), Friendscout24 (0,9 Millionen Euro) und Neu.de (0,7 Millionen Euro).

Ein Blick in die USA verdeutlicht, wie gigantisch der Onlinedatingmarkt mittlerweile ist. Laut Market Share Reporter 2013 generierten US-Datingwebseiten im Jahr 2011 einen Umsatz von 1,33 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Umsatz der Datingbörsen im deutschsprachigen Internet (Deutschland, Österreich, Schweiz) laut Singleboersen-Vergleich.de 2011 bei rund 203 Millionen Euro. Jeder Datingportal-Kunde in den USA gibt laut Statisticbrain.com pro Jahr durchschnittlich rund 239 US-Dollar aus, um seinen Traumpartner zu finden. Zu den Weltmarktführern gehören Match.com mit 480 Millionen US-Dollar, E-Harmony mit 270 Millionen US-Dollar und Friendfinder mit 233 Millionen US-Dollar Jahresumsatz. Parship, der Marktführer in Deutschland, erzielte 2010 einen Umsatz von 55 Millionen Euro, geschätzte 25 Millionen Euro alleine in Deutschland.

Auch in China steht das digitale Liebesglück vor einer wachsenden Nachfrage. Das Reich der Mitte mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern gilt als Spitzenreiter beim Onlinedating. Hier halten bereits weit über 140 Millionen Menschen im Internet Ausschau nach einem Partner. Jiayuan.com, die größte Datingplattform auf dem chinesischen Onlineliebesmarkt, zählte 2006 gerade einmal 1 Million registrierte User; heute sind es weit über 90 Millionen. Und tagtäglich kommen Zehntausende hinzu. Damit hat sich die Nutzerzahl seit dem Börsengang von Jiayuan.com International Ltd. im Jahr 2011 mehr als verdoppelt. Experten gehen davon aus, dass der weltweite Markt für Cyberromanzen sich in den nächsten Jahren vor allem wegen der aufkommenden Mittelschichten aus den Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas oder aus Russland rapide entwickeln wird. Allein die chinesische Onlinedatingindustrie wird nach Schätzungen verschiedener Experten zu dem Milliardenmarkt im Jahr 2014 etwa 350 Millionen US-Dollar Umsatz beitragen.

Die riesige Kaufkraft, die hinter der Liebessehnsucht steckt, hat auch das Interesse von Kriminellen und Betrügern geweckt – und unterstreicht ganz nebenbei und ungewollt die enorme Zahlungsbereitschaft der Liebesuchenden. Laut Singleboersen-Vergleich.de kommt es durch Fake-Profile und Internetbetrug, den sogenannten »Romance Scam«, vorwiegend durch Banden aus Ghana, Nigeria und der Elfenbeinküste jährlich zu einem Schaden in Höhe von 250 Millionen Euro. Die Hauptopfer: alleinstehende Frauen, denen die große Liebe vorgegaukelt wird, um sie dann zu Geldüberweisungen zu bewegen. So auch geschehen mit einer Engländerin, die im Jahr 2012 sage und schreibe 800.000 Pfund an ihre neue Internetbekanntschaft überwiesen haben soll. Alleine in den USA meldeten Betrugsopfer im Jahr 2011 dem FBI Zahlungen in Höhe von über 50 Millionen US-Dollar. Täglich sind die Singlebörsen-Betreiber weltweit damit beschäftigt, rund 180.000 verdächtige Profile zu löschen.

Suche nach Liebe: Nutzung von Onlinedating steigt


Neben den beeindruckenden ökonomischen Kennzahlen ist der emotionale Einfluss des Internets auf die Liebes- und Beziehungswelt nicht mehr zu verleugnen. Was in der Arbeitswelt bei Bewerbern immer selbstverständlicher zum Einsatz kommt, hat seinen Ursprung in der Gesellschaft, in der Welt der sozialen Beziehungen: das Scannen und Checken von Personendaten im Internet. Millionen Menschen holen vor einem Date per Suchmaschine Informationen über den potenziellen Partner ein. In Deutschland haben das laut Branchenverband Bitkom 2011 bereits 71 Prozent aller über 14-Jährigen gemacht: Demnach haben etwa 18 Millionen Deutsche schon einmal den Namen ihres nächsten Dates online gecheckt und rund 16 Millionen den des aktuellen Partners. Nach dem heimlichen Schwarm schauten knapp 14 Millionen, der Name der oder des Ex wurde von über 11 Millionen Verflossenen online gesucht.

So ist auch das Onlinedating längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist aus der Schmuddelecke herausgekommen und für viele Menschen heute ein normaler Ort, um Leute kennenzulernen. Viele Portale haben die Millionengrenze bei den Nutzerzahlen bereits weit überschritten. Der weltweite Marktführer unter den Onlinepartnerbörsen, was die Zahl der aktiven Nutzer pro Monat angeht (Stand: September 2013, Erhebung durch Alexa), ist Match.com mit rund 24 Millionen, dahinter rangieren Plentyoffish.com (21 Millionen), Zoosk (10,5 Millionen), E-Harmony (7,5 Millionen), Singlesnet (5,8 Millionen), OkCupid (2,15 Millionen), True (1,55 Millionen) und ChristianMingle (1,5 Millionen).

Auch die Arbeiten einiger Soziologen und Psychologen zu diesem Thema belegen die gesellschaftliche Relevanz der Onlinesuche nach der wahren Liebe. Der Soziologe und Autor Jean-Claude...