Ziemlich böse Freunde - Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten

von: Peter Maczollek

riva Verlag, 2013

ISBN: 9783864133053 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 15,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Ziemlich böse Freunde - Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten


 

Die Devil Snakes


von Peter M.


Mit 18 Jahren bin ich dann zu Hause ausgezogen. Ich hatte meine Ausbildung fertig, einen Job auf der Zeche, einen Bock – eine Honda CB 500 C – und war Mitglied bei den Devil Snakes, einem 1980 gegründeten Haufen von Jungs aus unserer Gegend, bei dem auch mein älterer Bruder – bevor er mit 20 Jahren solide wurde und aus der Szene ausstieg – Mitglied gewesen war. Als »Kleiner« mit Familienbande hatte ich natürlich keine Probleme, in den Club aufgenommen zu werden, und im Grunde war damit eigentlich schon ein Großteil meiner Jugendträume in Erfüllung gegangen: eine Maschine und eine Kutte. Genau das, was ich jahrelang haben wollte!

Aus heutiger Sicht war es natürlich gar nicht so verkehrt, von Dingen zu träumen, die man sich auch hätte erfüllen können. In meinem Fall wäre der Traum vom Fußballprofi reichlich naiv gewesen. Und zum Metallica-Gitarristen hätte es auch nicht gereicht. Ein Porsche hat mich nicht gereizt und ein Reihenhäuschen stand ebenfalls nicht in meiner Lebensplanung. Die 500er CB war zwar nicht die Höllenmaschine, aber für jene Zeit eigentlich ein ganz cooler Bock. Zweizylinder, knapp 50 PS, wenn ich mich richtig erinnere, und im Vergleich zu allem, was man Anfang der 80er-Jahre an mobilen Untersätzen kannte, mit einer ordentlichen Beschleunigung. Von 0 auf 100 in rund 6 Sekunden, da fühlte man sich fast wie in einem Starfighter – allerdings mit deutlich geringerer Absturzgefahr.

Les, den ich zu jener Zeit immer noch nicht kannte, war damals bereits bei den Ghostrider’s. Auch er hatte es, wie er mir später erzählte, vergleichsweise leicht, in den Club hineinzukommen, da einer seiner Cousins Mitglied bei den gelben Ghostrider’s war. Man könnte heute spotten, dass die Ghostrider’s damals nicht in der Lage waren, das korrekte englische Plural-s zu verwenden. Das sogenannte Deppen-apostroph bezog sich aber auf den MC und war demzufolge gar nicht so blöd, wie manche behaupteten. Der Club hieß richtig »Ghostrider’s MC«, also der Motorradclub des Ghostriders. Und zu dem sollte ich schon bald dazustoßen.

Das Rockerleben in dieser Zeit ist mit dem heutigen nicht mehr zu vergleichen – es ist aber genau jenes, was Les und mich in jener Lebensphase massiv geprägt hat. Zunächst einmal begann es damit, dass man als Neumitglied noch eine richtige Kuttentaufe über sich ergehen lassen musste. Dafür gab es die unterschiedlichsten Rituale. In manchen Clubs gab es den sogenannten Kutten-Burn­-out. Die Kutte wurde in den Dreck gelegt, und dann machte einer mit seiner Maschine auf dem Teil einen richtigen Burn-out. Andere legten die Kutte in den Schlamm und dann fuhren alle Mitglieder mit ihren Böcken darüber, bis sie kaum noch zu erkennen war.

So was gibt es heute gar nicht mehr. Wenn ich sehe, wie viel Geld manche unserer Mitglieder für ihre Kutte ausgeben – das ist ja mittlerweile zu einem Modeaccessoire geworden, das schnell mal 1000 Euro kosten kann –, dann muss es nicht verwundern, dass auf diese alten Gepflogenheiten in den meisten Clubs verzichtet wird. Und es gibt noch einen wesentlichen Einwand: Wer pisst denn schon auf sein eigenes Colour? Gerade bei uns hat das Colour einen geradezu unschätzbaren symbolischen Wert. Die meisten Member haben hart für ihre Clubmitgliedschaft gekämpft, sich zum Teil jahrelang abgerackert und viel dafür getan, diese Farben eines Tages auf ihrem Rücken zu tragen. Da verwundert es nicht, wenn er es sich nicht mit Bier, Altöl, Kotze oder Pisse versauen lassen möchte. Um es dann für den Rest seines Clublebens ungewaschen tragen zu müssen …

Diese Zeiten sind vorbei. Was das Colour angeht, muss man fast erleichtert sein – in vielen anderen Dingen kommt bei uns alten Hasen durchaus Wehmut auf. Als Les und ich unsere Rockerkarrieren begannen, war die Gesellschaft noch sehr viel lockerer. Das mag komisch klingen, empfinden wir uns heute doch in allem, was wir tun, auf der Höhe der Zeit und blicken mitunter fast hochnäsig auf die spießigen alten Tage zurück. Was das Rockerleben angeht, muss man leider sagen, dass es vor 30 Jahren noch sehr viel freier, cooler und aufregender war.

Es gab Popper, das waren die gelackten Schmierlocken. Dann gab es die Punks – die haben gestunken und waren gegen alles. Und dann gab es uns, die Rocker. Die meisten von uns haben auch gestunken, aber wir waren unpolitisch. Wir waren weder für noch gegen die Atomkraft, die 68er interessierten uns nicht – Auf- oder Abrüstung auch nicht. Wir waren lediglich gegen diejenigen, die uns auf den Sack gingen. Ob nun wegen ihrer großen Schnauze, wegen ihres Colours oder nur, um ein Zeichen zu setzen.

Politisch motiviert war da gar nichts. Wir hatten nichts gegen Ausländer, nichts gegen Schwarze und auch nichts gegen Linke, Rechte oder Liberale. Es konnte ein winzig kleiner Auslöser sein, der uns aufregte – ein kleiner Rempler, ein blöder Spruch –, und dann hat es gescheppert. Und wenn es sich ausgescheppert hatte, war wieder gut. Wenn einer was aufs Maul bekommen hat, blieb die Sache im Kreise der Vertrauten. Da ist keiner zur Polizei gerannt und hat Anzeige erstattet. Da gab es keine Handys und demzufolge auch keine Handyfotos. Links, rechts, bis einer lag; und wenn demjenigen diese Liegeposition nicht passte, kam er später eben mit ein paar Kumpels zurück und hat die Sache geradegerückt. Ohne Polizei, ohne Anwalt, ohne Anzeige.

Zu der Zeit war es sehr viel einfacher und vor allem freier, sich als Rocker durch die Welt zu bewegen. Wenn wir irgendwo auftauchten, sind die Leute stehen geblieben, haben geschaut oder sich abgedreht und das war’s. Keine Polizeikontrollen, keine Behördenschikanen – nichts dergleichen. Wenn du heute einen Blödmann auch nur schief anschaust, liegen Stunden später diverse Handyfotos und Aussagen bei den Ermittlungsbehörden auf dem Tisch und schon wird wegen versuchten Totschlags oder sonst eines Fabelverbrechens ermittelt. Ein Alibi braucht man auch keines mehr, denn während man zur Vernehmung bei der Polizei sitzt, werden schon Handy- und Navigationssys­temdaten ausgewertet. Oder die Überwachungskameras an Straßen, Discos und anderen Läden.

Früher, wenn man als Club im großen Pulk auf eine Rallye gefahren ist, gehörte es fast schon zum guten Ton, dass man bei seinen Stopps komplette Tankstellen auseinandergenommen hat. Wenn da 50 oder 60 Rocker in den Tankshop hineingegangen sind, waren die Regale in null Komma nichts leer geräumt. Und da ist nie etwas passiert. Selbstverständlich kann man fragen, ob so etwas dem Tankstellenpächter gegenüber die feine Art war. Aber wir waren Rocker, wir fühlten uns frei – und zwar auch frei von jeder Konvention, und Auftritte dieser Art gehörten nun mal mit zum Spiel.

Wir haben keine Heimspiele gebraucht, wie die Hooligans, um uns zu treffen – wir hatten überall unsere Spielwiese, ob nun in Kneipen, bei Treffs oder zufälligen Begegnungen beim Tanken. Und wir zogen auch nicht – wie die Hools – unsere Colours am Montag wieder aus, wenn wir auf Schicht fuhren. Wer ein Rocker war, war es immer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit und das jeden Tag.

Wer kein Geld hatte, wurde von den anderen mitgetragen, das war überhaupt kein Thema. Zu jener Zeit schmiss man am Freitagabend das Geld zusammen und dann zog man los, ging in Kneipen oder ins Clubheim, kaufte Bier, irgendwann eine Currywurst dazu und dann war Party bis zum nächsten Schichtbeginn. Und da es damals allein in Gelsenkirchen drei – die Ghostrider’s, die Freeway Riders und die Flying Wheels – und im Ruhrgebiet bestimmt 40 oder 50 Clubs gab, war es doch sonnenklar, dass es irgendwann auch mal wieder knallte. Gerade im Pott, wo du gerade einmal eine Straße weitergehst und an der Ecke in einer neuen Stadt stehst, war es völlig normal, dass man sich ständig in fremdem und zum Teil auch feindlichem Revier aufhielt. Und wenn gar nichts half, ist man einfach in den frühen Morgenstunden in die Großmarktkneipen von Gelsenkirchen gegangen. Dort traf sich alles, was Rang und Namen hatte: Zuhälter, Säufer, Schläger, Rocker. Wer es in dieser Umgebung nicht zu einer ordentlichen Schlägerei brachte, hatte seine Kutte nicht verdient. Und nur darum ging es: Spaß haben, mit den Kumpels feiern, Motorrad fahren, Mädchen abschleppen und dann und wann einem Hohlkopf eins auf die Rübe geben. Und danach wieder auf Schicht gehen und ein bisschen Geld verdienen, das man an den Wochenenden wieder raushauen konnte. Ehrlich, das war die beste Zeit unseres Rockerlebens.

Was in den 60er- und 70er-Jahren in Deutschland zunächst nur als Modeerscheinung betrachtet wurde, die aus den USA nach Europa rübergeschwappt war, wurde dann doch zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft. Diese Bewegung verschwand eben nicht nach kurzer Zeit in den Geschichtsbüchern, sondern etablierte sich mit den Jahren immer mehr. In manchen Gegenden – wie beispielsweise im Ruhrpott – war es schlichtweg cool und angesagt, Mitglied einer Rockergang zu sein. Dass es um diese Gruppierungen natürlich immer wieder Ärger und Auseinandersetzungen gab, liegt auf der Hand. Ganz besonders nachdem es von Jahr zu Jahr immer mehr Gruppen und Mitglieder gab.

Gerade Mitte der 80er-Jahre war es kaum noch möglich, die Übersicht zu behalten, zumal es uns in dieser Zeit natürlich an geeigneten Informationsquellen fehlte. Das Internet war noch nicht erfunden, die Zeitungen und TV-Sender hatten Wichtigeres zu berichten und einschlägige Szenemagazine gab es in dem Sinne auch noch nicht. Unser Kosmos zu jener Zeit war noch verhältnismäßig klein. Man bewegte sich hauptsächlich im eigenen Revier – dem Revier eben –, und wenn man was aus anderen Städten oder Regionen in Erfahrung brachte, war...