Amélie und die Sturmzeit von Valfleur - Historischer Roman

von: Nora Berger

Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, 2013

ISBN: 9783955301606 , 592 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Amélie und die Sturmzeit von Valfleur - Historischer Roman


 

2


Bagatellen


Schnell beseitigte Amélie in ihrem Zimmer die restlichen Spuren ihres Ausflugs. Dann zog sie ihre weißseidene, an Ärmeln und Kragen gerüschte Bluse mit den rosa Seidenbändern an und bürstete sorgfältig das sich von der Feuchtigkeit ein wenig kräuselnde Haar. Auf der Schwelle stieß sie fast mit ihrer Mutter zusammen, die gerade auf dem Weg nach unten war. Madame d’Emprenvil, in großer Seidentafttoilette, blass gepudertem Gesicht und kunstvoll nach der Mode hoch aufgetürmten Locken, war wie immer eine elegante Erscheinung. Doch ihre Miene, als sie Amélies ansichtig wurde, verhieß nichts Gutes.

»Amélie!« Ihre sonst so sanfte Stimme hatte einen schrillen Unterton. »Wo steckst du nur die ganze Zeit! Anstatt mir zu helfen, muss ich dich auch noch suchen und mir Sorgen machen, wo du dich bei diesem Sturm herumtreibst!« Theatralisch presste sie die Hand gegen die Stirn. »Ausgerechnet heute habe ich Migräne! Dein Vater reist Hals über Kopf ab, du kümmerst dich um nichts, obwohl du allmählich in dem Alter wärst...«

Amélie unterbrach sie in ruhigem Ton: »Ich bin ja jetzt da, Mama, und wenn du dich weiter aufregst, wird sich deine Migräne nur noch verschlimmern. Lass uns gehen...«

Schnell schlüpfte sie durch die Tür, bevor die Mutter noch irgendetwas sagen konnte. Der Ablauf dieser Gesellschaften war immer der gleiche – es gab die alten Freunde und die neuen –, zumeist mehr oder weniger talentierte Verehrer ihrer Mutter, denen sie vorgestellt wurde und mit denen sie immer die gleiche, langweilige Konversation führte, zerstreut und gleichgültig und in dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

Der Salon war mit lautem Stimmengewirr erfüllt, man stand in Grüppchen beisammen. Amélie ließ den Blick über die Gesellschaft schweifen, um sich ein wenig zu orientieren. Wie magnetisch angezogen, nahm sie als Erstes Auguste de Platier wahr, der mit einem mokanten und triumphierenden Grinsen zu ihr herüberstarrte. Sie spürte eine rote Welle ihr Gesicht überfluten und senkte verlegen den Kopf. Wie sie diesen Schnösel hasste, der ihr Geheimnis kannte und sich darüber lustig machte.

Rasch ließ sie den Blick weiterschweifen, bis sie seine Eltern erkannte, das Ehepaar de Platier – ein beleibter, bieder wirkender Landedelmann mit seiner Frau Charlotte, die ebenso hässlich wie schlecht angezogen war –, das sich angeregt mit ihren Nachbarn aus dem nicht weit entfernten Landsitz Jardinbleu unterhielt. Die de Platiers hatten ihre Tochter Cécile, Amélies Freundin aus Kinderzeiten, mitgebracht. Cécile, ein noch sehr kindlich scheinendes Wesen, pummelig und in ein enges rosa Seidenkleidchen gepresst, winkte ihr aufgeregt zu. Doch Amélie schenkte ihr nur ein zurückhaltendes Lächeln; sie selbst fühlte sich in ihrer Entwicklung meilenweit von Cécile entfernt. Die ehemalige Freundin zeigte in letzter Zeit großes Interesse an Haushaltsführung, Heiratskandidaten und Handarbeiten – Themen, die Amélie verabscheute. Sie fragte sich, wie sie jemals Cécile ununterbrochenes Geschwätz und ihr albernes Kichern ertragen konnte.

Rasch folgte Amélie ihrer Mutter, die zielstrebig auf eine andere Personengruppe zusteuerte, die aus ihrem Bruder Patrick, dem Maler Jean Jaques Arombert und einem unbekannten, düster dreinblickenden Menschen mit dunklem Teint und schwarzen langen Haaren bestand, der nervös auf den Lippen kaute. Arombert war es vergönnt, im Sommer jeweils einige Wochen auf dem Schloss zu verbringen, und Amélie bewunderte seine wunderschönen, zarten Aquarelle mit Blumen, ätherisch schönen Frauen und pausbäckigen Engeln, die das Füllhorn der Freude über alles ausschütteten. Zutraulich ließ sie sich von Arombert, der ihr Malunterricht erteilte, auf die Wange küssen und strahlte ihn an. Doch noch bevor sie das Wort an ihn richten konnte, hörte sie die unerbittliche Stimme ihrer Mutter rufen: »Amélie, mein Liebes, darf ich dir Monsieur Camille Desmoulins vorstellen? Er ist ein sehr begabter Dichter und steht als Journalist außerdem mitten im Leben. Eine Seltenheit, aber bei ihm ergänzen sich diese beiden Talente auf das Vortrefflichste.«

Desmoulins‘ finstere, gedankenvolle Miene erhellte sich, und er verneigte sich leicht. Flüchtig warf er Laura D’Emprenvil einen anbetungsvollen Blick zu und murmelte: »Sie geben mir zu viel Ehre, Madame, denn meine Dichtung steht jetzt nur noch im Dienste des Vaterlandes.«

Patrick lächelte spöttisch und erhob sein Glas: »Diesen Dienst versteht jeder ein wenig anders.«

Ein kurzes Schweigen trat ein, und man blickte erstaunt auf den sonst so wohlerzogenen jungen Mann, der sein Glas auf einen Zug leerte. Desmoulins zog die dunklen Brauen hoch und sah sich nach dem Herausforderer um, der ihm das Stichwort für einen Disput über Politik geliefert hatte, etwas, das er über alles liebte. Als er jedoch den jungen Mann sah, noch minderjährig, zögerte er ein wenig, und unter dem strengen und abwartenden Blick Lauras überkam ihn sogar etwas wie Verlegenheit. Und als die Hausherrin seinen Arm nahm, ließ er sich willig hinausführen, um eine Kostprobe ihres neuesten Romans, Clorinde, zu lesen.

Amélie näherte sich Patrick, der erneut sein Glas füllte und ihr einen trotzigen Blick zuwarf. »Ich gestehe, du hast Courage, Brüderchen«, flüsterte sie ihm zu, »das mit heute Nachmittag wirst du mir aber büßen, du und dein netter Freund Auguste!« Patrick antwortete nicht; er starrte sie mit glasigen Augen an, während er aufs Neue sein Glas leerte. »Um Himmels willen, du bist ja völlig betrunken!«, stellte Amélie entsetzt fest. »Wie kannst du nur! Komm hinaus, ich begleite dich.« Sie zerrte ihn am Arm, doch Patrick hatte nicht die Absicht, ihr zu folgen; er schob sie unsanft von sich und ging mit unsicheren Schritten, doch so aufrecht wie möglich auf seinen Freund Auguste zu.

Kurz darauf wurde zu Tisch gebeten, und Amélie nahm ihren Platz neben der kichernden und verschwörerisch tuschelnden Cécile ein. Das Mädchen, froh, endlich seine Freundin ganz für sich zu haben, plauderte in einem unablässig sich ergießenden Wortschwall auf Amélie ein. Sie wurde ihrer geschwätzigen Mutter, der jeder wegen dieser Eigenschaft tunlichst aus dem Weg ging, immer ähnlicher. Im Flüsterton vertraute sie ihr zwischen Suppe und Hauptgericht alle Details und Stufen der Liebe zu ihrem Hauslehrer Leon an. Amélie ahnte dunkel die Enthüllungen, die Cécile kaum abwarten konnte ihr anzuvertrauen, und verbarg ihren Widerwillen hinter einer höflich interessierten Miene.

Zu ihrer Linken saß schweigsam und gedankenverloren Camille Desmoulins und zerkrümelte mit nervösen Fingern eine Brotkruste auf der Tischdecke. Verstohlen blickte sie hin und wieder zu ihm hinüber, doch er schien von ihrer Anwesenheit keinerlei Notiz zu nehmen, stattdessen schweiften seine Blicke unablässig zur anderen Seite des Tisches, zu seiner Gönnerin Laura d’Emprenvil. Amélie überlegte, ob sie es wagen sollte, ihn einfach anzusprechen; in seiner geheimnisvollen Düsternis schien er ihr interessant. Céciles Getuschel übergehend, nahm sie ihren Mut zusammen, um sich nach der Art seiner Dichtung zu erkundigen.

Sein Blick kam von weit her, als er seine schwarzen, ein wenig matt wirkenden Augen, die sie vorher leidenschaftlich hatte aufglühen sehen, auf sie richtete, erstaunt, dass sie überhaupt existierte. »Ich dichte jetzt weniger, Mademoiselle, die Geschicke unseres Landes und des verschuldeten Staates nehmen meine Gedanken weit mehr in Anspruch. Kurz gesagt, ich habe vor, eine Zeitung zu gründen, um die Stimme des Volkes ertönen zu lassen. Jeder sollte das Recht haben, seine freie Meinung zu äußern und die unverfälschte Wahrheit zu erfahren – nicht die Wahrheit des Hofes oder die eines schmutzigen Flugblatts, nein Wahrheiten, die unterzeichnet sind mit meinem Namen.«

Amélie lauschte fasziniert, während sie ihre Suppe kalt werden ließ.

Doch bevor Desmoulins, der in Fahrt gekommen war, sie gänzlich in seinen Bann ziehen konnte, erklang die mahnende Stimme ihrer Mutter: »Amélie, mein Liebes, sieh doch bitte kurz nach Christoph, der mit Mademoiselle Dernier zu Abend isst. Er hatte ein wenig Schnupfen, und wenn alles in Ordnung und der Kleine im Bett ist, bitte doch Mademoiselle zu uns.«

Das Mädchen erhob sich gehorsam, denn es wusste, dass sich hinter der liebenswürdigen Art der Mutter ein eigensinniger Wille verbarg und dass es ihr nicht ganz recht war, wenn sie sich zu sehr mit den Ideen Desmoulins beschäftigte. Auf der Treppe begegnete sie der Gouvernante, die das Kind, das beim Essen schon fast eingeschlafen war, zu Bett gebracht hatte. Täuschte sie sich, oder schienen die Augen Madeleines traurig und verweint? Nachdem Amélie ihr Sprüchlein aufgesagt hatte, fasste sie spontan nach ihrer Hand und fragte teilnehmend: »Fehlt Ihnen etwas, Mademoiselle? Sind Sie vielleicht krank?«

Die Angesprochene straffte die Schultern und erwiderte mit einem gezwungenen Lächeln: »Sehe ich so aus? Nun, ich glaube, ich habe ein wenig Kopfschmerzen. Die Hitze, das Gewitter... nichts Besonderes eigentlich. Ich werde zeitig zu Bett gehen und danke deiner Mutter herzlich für die Einladung.«

»Sie Ärmste« – teilnahmsvoll legte ihr das Mädchen den Arm um die Schultern –, »ich weiß, Kopfschmerzen sind abscheulich. Hoffentlich ist morgen wieder alles in Ordnung. Ich muss wieder zu den Gästen. Mama möchte, dass ich die vollendete Tochter der vollendeten Gastgeberin spiele.« Sie kicherte und hüpfte wie ein übermütiges Fohlen die Treppe hinunter, um unten angekommen in einen übertrieben gezierten Gang zu fallen.

Nach dem Diner war die Gesellschaft...