Religion, Ethnie, Nation und die Aushandlung von Identität(en)

von: Keul, Istvan

Frank & Timme, 2005

ISBN: 9783865960092 , 184 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Religion, Ethnie, Nation und die Aushandlung von Identität(en)


 

Religionszugehörigkeit und Ethnizität der albanischen Bevölkerung im südöstlichen Europa: Verhandlungsspielräume und ihre Grenzen (S. 93-94)

Karl Kaser

Dieser Beitrag untersucht ethnische Identitäten von Albanern in Albanien, im Kosovo und in Makedonien. Albanerinnen sind aus dem öffentlichen Diskurs über Facetten des Albanertums ausgeschlossen oder nehmen nicht daran teil; daher nimmt die Analyse notgedrungen eine männliche Perspektive ein. Die ethnische Identitätsproduktion der albanischen Bevölkerung wird im Wesentlichen durch zwei Umstände geleitet: erstens, dass sie sich über fünf Staaten bzw. Regionen verteilt (Albanien, Nordwestgriechenland, Makedonien, Kosovo, Montenegro), und zweitens, dass sie vier größeren religiösen Strömungen angehört (dem sunnitischen Islam, dem Derwischorden der Bektaschia, dem orthodoxen und dem katholischen Christentum).

Auffallend dabei ist, dass die albanische Bevölkerung mit etwa 70 Prozent den höchsten Islamisierungsgrad aller Bevölkerungen im südöstlichen Europa und den höchsten Anteil an Mitgliedern des Bektaschia-Ordens in Europa aufweist. Aus diesem Grund wird sich die folgende Analyse auf den Zusammenhang von Islam und Ethnizität der albanischen Bevölkerung konzentrieren. Dieser Zusammenhang ist insbesondere deshalb untersuchenswert, weil der Islam – im Unterschied zum Christentum – offenbar fluide, verhandelbare Identitäten ermöglicht. Die Verhandlungsspielräume sind beträchtlich, sie haben aber auch ihre Grenzen. Die Untersuchung geht von drei Beobachtungen aus, die in islamischen Zusammenhängen stehen; diese sind auf den ersten Blick erstaunlich und erklärungsbedürftig. Um sie zu erklären, wird weiter auszuholen sein.

Dazu wird auf das generelle Phänomen einzugehen sein, dass in den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs das Phänomen verhandelbarer Identitäten relativ häufig vorzufinden ist. Der dritte Abschnitt fokussiert dieses Problem dann auf die albanische Bevölkerung. Dabei wird insbesondere auf drei Faktoren Wert gelegt: auf die Rolle des Staates, auf Konsequenzen der Arbeitsmigration nach Griechenland sowie auf die Rolle der Bektaschia.

1) Drei Schauplätze

Erster Schauplatz: Ein Dorf in unmittelbarer Nähe des Ohridsees in Makedonien – Dezember 2003. Die Bevölkerung ist auf muslimische Art gekleidet, in der Dorfmitte eine Moschee mit einem steil aufragenden Minarett. Nicht im unmittelbaren Blickfeld eine neue Moschee, wesentlich größer, das Geld dafür stammt aus Quellen der Arbeitsmigration. Die Menschen sprechen sowohl Albanisch als auch Makedonisch, die Männer mitunter ein gebrochenes Deutsch. Der auf den Besuch gut vorbereitete Wissenschaftler glaubt zu wissen, dass es sich bei der Bevölkerung um so genannte „Torbeschen" handelt, also um mazedo-slawische Bevölkerung, die im Verlauf der osmanischen Herrschaftsperiode aus unbekannten Gründen zur muslimischen Glaubensgemeinschaft übergetreten ist. Natürlich versucht er sich zu vergewissern, ob dies wohl wirklich zutreffe. Nein, nein wird ihm bedeutet, dies sei ganz und gar nicht der Fall.

Alle seien Albaner und Albanerinnen, sprächen die albanische Sprache, seien gute Muslime. Ein gebrochen Albanisch sprechender Abgeordneter zum Parlament in Skopje versichert überzeugend, dass sie Albaner seien, Torbeschen würden hier keine leben. Es gibt auch eine orthodoxe, makedonische Minderheit im Dorf. Einer von ihnen, ein Lehrer, der sich sein Leben lang mit der Geschichte des Dorfes beschäftigt hat, zieht mich beiseite und zeigt mir die Ergebnisse der Volkszählung aus dem Jahr 1953, nach denen Haushalt für Haushalt die ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung zu rekonstruieren ist – von albanischen Haushalten beinahe keine Spur.