Hedy Darling - Das Filmreiche Leben der Hedy Lamarr

von: Anthony Loder

Ankerherz Verlag, 2013

ISBN: 9783940138354 , 230 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Hedy Darling - Das Filmreiche Leben der Hedy Lamarr


 

Das Leben, Ein Film

Dieses Buch erzählt zwei Geschichten, eine traumhafte und eine traumatische. Die traumhafte handelt von einer jungen Frau, die von der Welt vergöttert wurde wie kaum je eine vor ihr. Die gesegnet war mit einem Gesicht von aphroditischer Perfektion, mit außergewöhnlichem Intellekt, Cleverness und einer gehörigen Portion Verwegenheit. Die von der verwöhnten Wiener Bürgerstochter in kürzester Zeit zu einem der höchstdotierten Hollywood-Stars der späten Dreißiger-, Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre avancierte. Die Leben und Liebe in fast allen uns bekannten Facetten genoss. Und die ganz nebenbei eine Erfindung zuwege brachte, die für unser heutiges Alltagsleben maßgeblich ist.

Die andere, traumatische Geschichte handelt von einer Frau, deren Ruhm ihr zum Verhängnis wurde. Die von Hollywood so hofiert, vom Kinopublikum so vergöttert und von den Männer so begehrt wurde, dass sie selbst sich irgendwann als Göttin begriff. Und deren Leben von dem Moment an zum schlechten Film wurde, als dieses Hollywood, dieses Kinopublikum, diese Männer nichts mehr von ihr wissen wollten.

Beide Geschichten handeln von ein und derselben Frau. Zusammen ergeben sie ein Drama, wie es im wirklichen Leben selten so extrem spielt, eine Geschichte von rasantem Aufstieg und noch steilerem Fall, so steil, dass diese Frau heute kaum jemand noch kennt. Beginnen wir fürs Erste bei Letzterem. Beginnen wir also an jenem Punkt ihres Lebens, von dem aus es nur aufwärtsgehen konnte (aber leider nicht mehr ging). Beginnen wir ganz unten.

UNTER DEN MEHR ALS SECHZIG KINOFILMEN, die Andy Warhol zwischen 1963 und 1968 drehte, zählt The 14 Year Old Girl ganz sicher zu den unterhaltsameren. Der gut einstündige Film, auch als Hedy oder The Shoplifter bekannt, erzählt tragikomische Szenen einer schlecht gealterten Frau. Gleich zu Beginn sehen wir, wie sie unterm Messer liegt, Chirurgen schnippeln an ihrem Gesicht herum, derweil sie ihnen in den Ohren liegt, sie mögen sie doch bitteschön „beautiful“ machen. Nach getaner Arbeit betrachtet sie sich im Spiegel und sagt, verzückt von ihrem Angesicht, sie sehe ja aus wie eine Vierzehnjährige. „I feel pretty“, singt sie, sie fühle sich so hübsch. Später klaut sie in einem Warenhaus wahllos Sachen, wird verhaftet, vergiftet die Verkäuferin und landet vor Gericht, wo der zuständige Richter sie zum Tod durch die Giftspritze verurteilt. Die Verurteilte lächelt entrückt dazu und trällert wahlweise „I feel pretty“, „Young at heart“ oder ein Lied darüber, wie man eine echte Kleptomanin wird. Diverse Unverschämtheiten der anwesenden Chirurgen, Verkäuferinnen und Ex-Ehemänner registriert sie gar nicht. Sie dreht sich nur noch um sich selbst.

The 14 Year Old Girl ist für Warhols Verhältnisse ungewöhnlich sarkastisch geraten. Diese Frau ist ein Wrack, keine Frage. Äußerlich eine Kunstfigur – passenderweise dargestellt von Mario Montez, neben Candy Darling damals Warhols Lieblings-Drag-Queen – und innerlich ziemlich plemplem. Der Film zeigt plakativ, schrill und gnadenlos, was Schönheitskult, Ruhmsucht und Konsumwahn bei einer Frau anrichten können. Und er hat, noch ungewöhnlicher für Warhol, einen kaum getarnten biografischen Bezug. The 14 Year Old Girl erzählt die Geschichte von Hedy Lamarr.

1966 – ALS WARHOLS FILM ERSCHIEN – war Hedy Lamarr einundfünfzig Jahre alt und in Hollywoods interner Wertschätzungsskala bei ziemlich genau null angekommen. Im Januar wurde sie in Los Angeles wegen Ladendiebstahls verhaftet, sie hatte in einem Drugstore Waren im Wert von 86 Dollar mitgehen lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hedy Lamarr allein an Gagen um die 30 Millionen Dollar verdient. In den folgenden Monaten gab sie Interviews, die selbst eingefleischte Fans an ihrem Geisteszustand zweifeln ließen. Im Oktober 1966 veröffentlichte sie ihre Autobiografie Ekstase und ich, die eine Indiskretion an die andere reihte und selbst für heutige Verhältnisse als außergewöhnlich freizügig gelten kann. In den Folgejahren ließ sie zahlreiche Schönheitsoperationen an sich vornehmen und verklagte so ziemlich jeden, der nicht bei drei auf dem Baum war. Sie verhielt sich wie in einer drittklassigen Reality Soap. 1967 verschwand sie aus dem Rampenlicht, in das sie bis zu ihrem Tod im Januar 2000 nicht zurückkehrte. Hedy Lamarr wurde fünfundachtzig Jahre alt. Mit Andy Warhol könnte man sagen: Die zweite Hälfte ihres Lebens war ziemlicher Trash.

Die erste Hälfte von Hedy Lamarrs Leben war das genaue Gegenteil. Sie war so reich an Abenteuern, Facetten, Höhe- und Glanzpunkten, dass sie Stoff genug für mehrere Filme böte – weniger nach Art einer Warhol-Satire, eher eines Hollywood-Thrillers. Junge Jüdin aus Österreich erlernt die Schauspielkunst in Berlin, wird dort zum Protegé des Regisseurs Max Reinhardt, der sie zur „schönsten Frau der Welt“ erklärt. Mit gerade mal siebzehn Jahren dreht sie in Prag den Arthouse-Film Ekstase, dessen Nackt- und Sexszenen sie mit einem Schlag weltberühmt machen. Doch statt weiterzufilmen, entsagt sie dem Kinogeschäft und heiratet einen (ebenfalls jüdischstämmigen) Waffenfabrikanten und Austrofaschisten, der nebenbei manisch besitzgierig ist, ihr das Schauspielen verbietet und sie zu Hause einsperren lässt.

Hedy flieht über Paris, London und New York nach Los Angeles, wo sie den Neuanfang in einer fremden Welt wagt, im Gepäck kein Wort Englisch, die skan­dal­träch­tige erste Sexszene der Filmgeschichte sowie ein Gesicht, das fortan Scharen von Fans und Kritikern, Filmbossen und Schauspielkollegen zu Superlativen hinreißt. Aus Hedwig Kiesler wird Hedy Lamarr, Hollywoods schönste Entdeckung der späten Dreißigerjahre. In kürzester Zeit spielt sie sich in die erste Star-Reihe, dreht mit Charles Boyer, Spencer Tracy, Clark Gable, William Powell, James Stewart. Mehr als ein Jahrzehnt zählt sie zu den begehrtesten Kinostars, gilt als Inkarnation perfekter Schönheit, wird das populärste Covergirl der USA, eine Art Marilyn Monroe für die Weltkriegs-Ära. Dazu Trendsetterin, Fashion Icon, Dauerthema der Klatschspalten. Nebenbei – einzigartig für Hollywood-Diven – versucht sie sich erfolgreich als Erfinderin und patentiert, gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil, das sogenannte Frequenzsprungverfahren. Gedacht ist es als Kriegswaffe gegen die verhassten Nazis. Heute gilt die Erfindung als Grundlage aller kabellosen Kommunikation. In jedem Mobil­telefon, jedem Bluetooth, jedem WLAN-Netzwerk steckt der Pioniergeist Hedy Lamarrs.

Doch sowenig Ruhm ihr zeitlebens als Erfinderin zuteilwurde, sowenig Wertschätzung erfuhr sie in Hollywood als Filmkünstlerin, Charismatikerin, moderne Frau. Ihre Marke war das makellose Äußere. Beauty-Experten probierten anhand ihrer Proportionen den Archetypus weiblicher Schönheit zu ergründen, so wie zuvor in ähn­lichem Ausmaß nur bei Greta Garbo. „The American Garbo“ nannte man sie auch, da war Hedwig Kiesler in der US-Öffentlichkeit längst eingebürgert.

Entsprechend eigenschaftslos wirkte sie in den meisten ihrer Filmrollen. „Sie spielt nicht, sie erscheint“, schrieb der Filmkritiker Peter Körte in seiner Kurz­bio­grafie Hedy Lamarr. Die stumme Sirene. Auf der Leinwand wie in der People-Presse war Hedy Lamarr eine Art menschgewordenes Marmorgesicht, mehr fürs Standfoto als fürs Bewegtbild geschaffen, das erste Schauspiel-Model mit Superstar-Status, zu einer Zeit, als es Supermodels noch gar nicht gab. Wäre sie heute noch einmal Anfang zwanzig, man könnte sich Hedy Lamarr unschwer als Chanel-Gesicht und Lagerfeld-Darling vorstellen.

An dem, was hinter der Marmorfassade lag, war im Hollywood der Weltkriegsjahre kaum ein Studioboss interessiert. Dabei war die private Hedy alles andere als eigenschaftslos. Sie war politisch interessiert, waghalsig und äußerst intelligent. Ihr Liebesleben war mindestens so atemberaubend wie ihre Karriere, sie hatte sechs Ehen, ungezählte Liebhaber und ein für damalige Zeiten außerordentlich aktives, genießerisches, selbstbewusstes Verhältnis zum Sex. Nebenbei malte sie regelmäßig, besaß eine enorme Kunstsammlung, jagte gern und gut, liebte Hunde und Hyazinthen, Schach und Poker, Bidets und Nacktbaden. Sie hatte jede Menge ruhmreiche Freunde. Im Übrigen dürfte sie einer von wenigen westlichen Stars sein, der in seiner Auto­bio­grafie behauptete, Adolf Hitler habe ihm die Hand geküsst, obwohl das nachweislich nie der Fall war.

Hedys erste Lebenshälfte verlief turbulent, nach hinten raus lief dann einiges schief. Irgendwann in ihren Mittdreißigern ließen die Studios sie fallen, so wie sie seit jeher Schauspielerinnen fallen lassen, die aufgrund ihres Sex-Appeals besetzt werden. „Die Selbstmordjahre“ nannte Hedy Lamarr selbst diese Zeit, das Mitte-Dreißig-Alter für Leinwandgöttinnen, in ihrer Autobiografie. Die Doppelbödigkeit des Ruhms, das Abgründige des Superstardaseins verkörpert Hedy Lamarr wie kaum eine andere. Marilyn Monroe und Romy Schneider machten ihrem Leben ein Ende und sich so selbst unsterblich. Greta Garbo und Marlene Dietrich machten sich im Alter unsichtbar. Brigitte Bardot und Liz Taylor fanden ihr Heil im Tierschutz beziehungsweise in acht Ehen. Ingrid Bergman, Lauren Bacall und Grace Kelly wirkten in vielen unvergesslichen Filmen mit, bevor sie privatisierten. Sie alle haben ihren sicheren Platz im kollektiven Gedächtnis.

Hedy Lamarr ist heute – außer bei ein paar Cineasten, Wiener Lokalpatrioten oder Technik-Freaks – weitgehend vergessen. Von...