Personenlexikon der Sexualforschung

von: Volkmar Sigusch, Günter Grau

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593410272 , 813 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 57,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Personenlexikon der Sexualforschung


 

Das deutsche Wort 'Sexualwissenschaft' hat unseres Wissens der Psychoanalytiker Sigmund Freud (1898:498) als erster verwandt, als er die Bedeutung sexueller Ereignisse für die Entwicklung von Neurosen erörterte: 'Man erfährt dabei allerlei aus dem Sexualleben der Menschen, womit sich ein nützliches und lehrreiches Buch füllen ließe, lernt es auch nach jeder Richtung hin bedauern, daß die Sexualwissenschaft heutzutage noch als unehrlich gilt.' Das neue Wort Sexualität/sexualité/sexuality, das Homer, die Bibel und Shakespeare noch nicht kannten, löste sie nach und nach alle ab: Venus Urania, Venus vulgivaga, Minne, Wohllust, Wollust, piacere, amore, Nisus usw. Sexualität als theoretisches und praktisches, als ästhetisches und moralisches Problem wurde zum Bestandteil einer profanen Kultur, in der sich Bürger als selbstmächtige Subjekte begriffen, die an die Stelle religiöser Verkündigung ihre eigene Vernunft und Reflexionsphilosophie zu setzen suchten. Dieser Prozess spielte sich vor etwa 200 Jahren ab, also vor wenigen Generationen, und zwar nur in Europa und Nordamerika. Unsere Sexualität ist folglich blutjung. Verglichen mit der neuzeitlichen europäisch-nordamerikanischen Gesellschaft, war für die europäische mittelalterliche Gesellschaft 'die extreme Uneinheitlichkeit des Verhaltens' charakteristisch (Elias 1969, Bd.1:157 f). Jahrhunderte, einen einzigartigen 'Prozess der Zivilisation' lang, dauerte es, bis die Alteuropäer allgemein und effektiv für Lohnarbeit, Sittlichkeit und Sexualität disponiert waren, bis das Sexuelle gleichzeitig hervorgehoben und verschwiegen werden konnte, 'so erhoben und erniedrigt' wie keine andere 'Naturerscheinung' (Hirschfeld 1908:9). Unvorstellbar für einen mittelalterlichen Menschen, was für uns einheitlich selbstverständlich ist: in einem dunklen Kino sitzen, einen erregenden Film sehen, die 'Sexualobjekte' in Greifnähe haben - und drang- wie affektgedrosselt bleiben. Die 'sexuelle Frage' konnte im Sinn der Aufklärung und Emanzipation erst gestellt werden, als die menschlichen Vermögen fetischisierend vergesellschaftet wurden und die Not der Menschen nicht mehr überwiegend Hungersnot war. Jetzt ging es um die Befreiung der Ehe von kirchlicher und staatlicher Bevormundung, um Kontrazeption und Geburtenregelung, um Sexualaufklärung und -erziehung der Heranwachsenden, um den Kampf gegen die Prostitution und die Geschlechtskrankheiten, um den Schutz lediger Mütter und unehelicher Kinder, um eugenische 'Verbesserung' der Nachkommen, um die Transformation von 'Perversitäten' und 'Perversionen' von angeblichen Sünden oder Verbrechen in Krankheiten oder gar Vorlieben, um Toleranz gegenüber homosexuellen Männern und Frauen, um die Liberalisierung des Sexualstrafrechts, um die Gleichberechtigung der Frau und die so genannte Freie Liebe. Fraglos ist es eine historische Errungenschaft, wenn es nicht mehr um Hungersnöte geht, sondern um soziale Fragen, zu denen die 'sexuelle Frage' gehört. Der alte Kampf ums nackte Überleben ist dann bereits wesentlich erweitert. Im Sinn der 'Dialektik der Aufklärung' (Horkheimer und Adorno 1947) liegen bei den Sexualreformen und 'sexuellen Revolutionen' Befreien und Unterdrücken, Befriedigen und Versagen ineinander. Repression und Freisetzung des Sexuellen liegen schon deshalb ineinander, weil die Tendenz zur Unterdrückung ? von der Foucault (1976) im Auftakt seiner 'Histoire de la sexualité' meinte, sie sei falsch betont worden ? die Tendenz zur Freisetzung logisch voraussetzt; ohne sie kann von jener gar nicht gesprochen, geschweige denn etwas erfahren werden. Philosophisch, sexualwissenschaftlich und politisch ist entscheidend, als was die Freisetzung letztlich angesehen wird. In den Jahrzehnten um 1900 ereignete sich die erste 'sexuelle Revolution'. Im Zentrum der sexuellen Frage stand die Frage nach Lebenssinn und Lebensglück. Die Gesellschaftsmitglieder verbanden ihre Wünsche nach Glück und Rausch zunehmend mit der sexuellen Sphäre. Die Idee der freien, gleichen, individuellen Geschlechtsliebe, die die Bourgeoisie als neuen sittlichen Maßstab in die Welt gesetzt hatte, sollte endlich Wirklichkeit werden: Liebe als ein Menschenrecht beider, des Mannes und der Frau, Liebe als freie Übereinkunft autonomer Individuen, die Gegenliebe beim geliebten Menschen voraussetzt, Liebesverhältnisse als Gewissensverhältnisse von Dauer wie von Intensität. An dieser Idee wird bis heute festgehalten, weil die Liebe in unserer Warenwelt eine einzigartige Kostbarkeit ist, die weder produziert noch gekauft werden kann. Hundert Jahre nach der historischen Geburt der kulturellen Sexualform entsteht eine Sexualwissenschaft, die sich auch als solche versteht. Von Sexualforschung im emphatischen Sinn kann erst gesprochen werden, wenn es nicht mehr vorrangig darum geht, Geschlechter anatomisch aus 'Zwittern' heraus zu stanzen oder den Vorgang der Reproduktion zu erforschen oder seltene sexuelle Vorlieben als Perversionen aufzulisten, sondern darum, wie 'gesunde' Sexualität von Männern und von Frauen beschaffen ist, wie erreicht werden kann, dass ungewöhnliche, bisher verpönte oder verfolgte sexuelle Vorlieben in Anstand und Würde gelebt werden können und vor allem: wie eine Gesellschaft ihre Sexualform produziert. Wie entsteht eine gesellschaftliche Installation, in der sich materiell-diskursive Kulturtechniken, Symbole, Lebenspraktiken, Wirtschafts- und Wissensformen auf eine Weise vernetzen, die eine historisch neuartige Konstruktion von Wirklichkeit entstehen lässt? Wie wurde unsere Sexualität zu Gefühl, Tat-Sache und Begriff als ein allgemein Durchgesetztes und isoliert Dramatisiertes? Da sich solche gesellschaftlichen Installationen, einmal etabliert, aus sich selbst heraus generieren, imponieren sie in eher alltagssoziologischer Betrachtung als Sachzwänge, denen nichts Wirksames entgegengesetzt werden kann. Und in eher alltagspsychologischer und ethisch-rechtlicher Betrachtung erscheinen sie als Normalität und Normativität, die einzig in der Lage sind, Ordnung, Ruhe und Sicherheit zu garantieren. Die 199 Protagonisten, die wir in diesem Personenlexikon der Sexualforschung in 197 biobibliografischen Artikeln präsentieren, stammen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus dem 19.und 20.Jahrhundert, wobei wir entschieden haben, nur verstorbene Forscherinnen und Forscher aufzunehmen und nur in besonderen Fällen solche, die sehr viel eher Freiheitskämpfer und Reformer waren als wissenschaftliche Forscher. Zu den Ausnahmen gehören zum Beispiel der Schweizer Samuel Auguste André David Tissot (1728-1797), der die 'Krankheit' Onanie (vgl. 1758) als nervöses Leiden beschrieb, und die Engländerin Mary Wollstonecraft (1759-1797), die bereits eindrucksvoll die soziale und rechtliche Gleichstellung von Frauen einforderte (vgl. 1792). Durch die Fokussierung auf Sexualforscherinnen und Sexualforscher im engeren Sinn kommen Frauenrechtlerinnen, Reproduktionsforscher, Sexualreformer der verschiedenen Richtungen, Lebensreformer, Sexualpädagogen, Venerologen, Sexualberater, Psychoanalytiker, Bevölkerungswissenschaftler, Eugeniker, sog. Rassenhygieniker usw. nur dann vor, wenn wichtige Verbindungen zur Sexualwissenschaft existierten oder eindrucksvolle Forschungsergebnisse vorlagen. Sehr bemüht aber haben wir uns, alle Protagonisten, die als Pioniere der Sexualwissenschaft angesehen werden oder aus unserer Sicht angesehen werden sollten, in das Lexikon aufzunehmen. Max Marcuse? (1877-1963)? Der Berliner Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Max Marcuse, der bereits 1933 ins Exil nach Palästina gegangen ist, gehört zu den aktivsten und einflussreichsten Sexualwissenschaftlern im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts. Er war maßgeblich an der Gründung des 'Bundes für Mutterschutz' 1905 und der 'Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung' 1913 beteiligt und hat zwischen 1908 und 1932 weichenstellende Fachpublikationen herausgegeben oder redigiert. M. gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die aus der Sexualforschung mit Erfolg eine eigenständige Disziplin zu machen suchten. Leben M. wurde am 14.April 1877 in Berlin geboren und wuchs in dieser Stadt in einer jüdischen Familie auf, die aus der sog. Neumark, einem nordöstlich der Oder gelegenen Gebiet, stammte und spätestens Anfang der Siebzigerjahre des 19.Jahrhunderts nach Berlin gezogen war, wahrscheinlich, um der Enge der Provinz zu entfliehen und bessere Lebens-Chancen zu haben. Seine Mutter Johanna Labus, geboren am 28.Februar 1840 in Friedeberg/Neumark, gestorben am 28.Januar 1912 in Berlin, stammte aus einer Mühlenbesitzersfamilie. Sein Vater Carl Marcuse, geboren am 23.Februar 1831 in Schwerin/Neumark, gestorben am 19.November 1906 in Berlin, stammte aus einer Kaufmannsfamilie und war selbst Kaufmann. Womit er gehandelt hat, ließ sich nicht eruieren. M. war im 18.Ehejahr seiner Eltern geboren worden. Er hatte zwar zwei Schwestern, wuchs aber vom 6.Lebensjahr an wie ein Einzelkind auf. Hedwig (1861-1875), das erste Kind seiner Eltern, war bereits verstorben, als er 'als ersehnter Ersatz' für sie geboren wurde. Die zweite Schwester, Lina (1864-1938), war 13 Jahre älter als Marcuse und ihm 'mit mütterlichen Gefühlen verbunden'. Sie wurde an einen Mann verheiratet, als er noch ein kleiner Junge war. Ihre unglückliche Ehe und ihre 'nervösen' Anfälle, verbunden mit 'sexuellen Angstphantasien' und 'neurotischen Dämmerzuständen', bezeichnete M. als 'eine der wesentlichsten Quellen' für seine spätere 'wissenschaftliche und praktische Hinwendung zur Psychologie und Psychotherapie'. Um seiner Schwester zu helfen, vermittelte er eine Behandlung bei Albert Moll und korrespondierte mit Sigmund Freud. Nach dem Besuch höherer Schulen in Berlin, zunächst des Sophiengymnasiums, dann des kgl. Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums, das er 1895 mit dem Zeugnis der Reife verließ, entschied sich Marcuse gegen den Wunsch seiner Eltern für das Studium der Humanmedizin. Seine Eltern hätten es sehr viel lieber gesehen, wenn er ein erfolgreicher Strafverteidiger geworden wäre. Das Medizinstudium absolvierte Marcuse an den Universitäten Berlin, Würzburg und Freiburg i.Br. Insgesamt studierte er wahrscheinlich neun Semester lang. Als seine Lehrer nennt er u.a. Hertwig, G. Klemperer, Senator, Waldeyer und Warburg in Berlin, Geigel und Riedinger in Würzburg sowie Hegar und Sellheim in Freiburg, wo er, gerade 23 Jahre alt geworden, die ärztliche Staatsprüfung bestand. Während seines Studiums war Marcuse in einer nicht näher bekannten Studentenverbindung aktiv. Die Narben in seinem Gesicht stammten von Mensuren. Der Sohn Yohanan berichtete, einmal sei bei einem Duell die Nase schwer verletzt worden; das habe 'eine Familientragödie ausgelöst'. M. selbst bezeichnete diese Episode seines Lebens 1949 in autobiografischen Bemerkungen als eine 'Ich-fremde' (vgl. Sigusch 2008b). Wegen der 'Zusammenhänge mit psychologischen und soziologischen Problemen', namentlich mit den 'Prostitutionsproblemen und den Sexualproblemen', entschied sich M. nach dem Studium für die Dermato- und Venerologie, in der jüdische Ärzte wegen deren 'schmutziger' Materie am ehesten eine Karriere machen konnten. Er bewarb sich zunächst bei Albert Neisser in Breslau, der ihn jedoch an seinen Schüler Josef Jadassohn (1863-1936) in Bern verwies. Bei ihm arbeitete M. ein Jahr lang, von Oktober 1900 bis Ende September 1901, als unbezahlter Volontärarzt. Im Juni 1901 reichte er in Berlin eine dermatologische Arbeit aus der Klinik von Jadassohn als Dissertation ein. Im Dezember war das Verfahren erfolgreich abgeschlossen. Danach arbeitete M. ein knappes Jahr lang, von Ende 1901 bis zum Sommer 1902, in der außeruniversitären Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, die Alfred Blaschko in Berlin betrieb. Wie bedeutsam M. diese Zusammenarbeit mit dem in den Jahrzehnten von 1890 bis 1920 über Deutschlands Grenzen hinaus führenden Dermatovenerologen und Sozialhygieniker noch viele Jahre später fand, beschreibt er ausführlich in einem autobiografischen Fragment, das uns überliefert worden ist. Von September 1902 an war M. 'Hülfsarzt' der Hautkranken-Station des Städtischen Krankenhauses Frankfurt/M. Ende Februar 1903 verließ er jedoch unter Hinterlassung einer knappen Notiz stehenden Fußes das Städtische Krankenhaus, weil er nicht wie zugesagt zum Sekundärarzt befördert worden war. Ein Sohn eines ehemaligen Frankfurter Stadtrats war ihm vorgezogen worden, obgleich sich Karl Herxheimer (1861-1942), sein Chef, wärmstens für ihn verwandt hatte. Nach Berlin zurückgekehrt, eröffnete M. - nach seinen Angaben 1905, wahrscheinlich aber schon 1904 - eine Praxis als Spezialarzt für Dermatologie. Die längste Zeit praktizierte er in der Lützowstr. 85 in Berlin W 35; 1931 wurden Praxis und Wohnung nach Berlin-Wilmersdorf in die Berliner Str. 161/162 verlegt. Am 28.September 1905 heiratete M. die drei Jahre jüngere, am 25.November 1880 in Berlin geborene Helene Frida Elisabeth Kohls, die einen Teil ihrer Kindheit in Althöfchen in der Neumark verbracht hatte, wo ihr Vater eine Mühle besaß. Frida Kohls war evangelisch getauft worden, trat aber bereits vor der Verbindung mit M. aus der Kirche aus. Mit der Eheschließung konvertierte sie zum jüdischen Glauben. Gelegentlich hat sie übrigens selbst zur Feder gegriffen (vgl. z.B. Frida Marcuse 1905). Mit dem Problem der 'jüdisch-christlichen Mischehe' bzw. der 'Rassenkreuzung' hat sich M. wiederholt als Wissenschaftler befasst (z.B. 1920). 1909 wurde der Sohn Karl Günter geboren, der wenige Monate nach der Geburt verstarb. 1920 wurde der Sohn Hans Renatus in Berlin und 1931 der Sohn Michael in Magdeburg geboren, der aus einer Verbindung M.s mit der 25 Jahre jüngeren Grete Seelenfreund, geb. Freudenthal, stammt. Wahrscheinlich fasste M. nach dem Reichtagsbrand vom 27.Februar 1933 den Entschluss, Deutschland zu verlassen. Zusammen mit seinem Sohn Hans Renatus, der damals 13 Jahre alt war, aber ohne seine Ehefrau Frida, von der er offenbar später geschieden worden ist, wanderte er im Juli 1933 nach Palästina aus. Wie es der Ehefrau Frida in der NS-Zeit ergangen ist, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Bekannt ist, dass sie 1948 nach Israel einwanderte und am 16.Mai 1961 in Jerusalem verstarb. Der Sohn Hans Renatus kehrte Jahrzehnte später unter dem Namen Yohanan Meroz als Botschafter Israels nach (West-) Deutschland zurück. Sein Vater vermied es jedoch auch dann, wieder deutschen Boden zu betreten. An dem Namen Marcuse aber hielt er bis zu seinem Tod fest. Erstaunlich sei, so der Sohn Yohanan heute, wie richtig sein Vater 1933 die politische Situation eingeschätzt habe, erstaunlich, weil M. 'so assimiliert' gewesen sei. Er sei nicht gläubig im halachischen Sinn und auch kein Zionist gewesen, sehr wohl aber 'immer jüdisch-bewusst'. Sehr früh habe er das Scheitern der deutsch-jüdischen 'Symbiose' erkannt. Tatsächlich hat M. aus seinen Ansichten kein Hehl gemacht. So sprach er bereits 1920 davon, dass 'die gegenwärtige antisemitische Verhetzung insbesondere in den Schulen (und Hochschulen)' für die jüdischen Kinder und Jugendlichen 'ein schweres psychisches Trauma' bedeute. Und er gab zu erkennen, dass er 'zionistische Ziele' für sich 'ohne Einschränkung verneine' (1920/1921:328f). M. gab sogar zu Protokoll, dass er 'an der Erhaltung der jüdischen Kultur- und Rassengemeinschaft kein Interesse' hatte, ja dass der 'Irrtum' des Zionismus darin bestehe, 'daß er eine Rasse erhalten will, die als solche (oder gar als Volk) nicht mehr erhaltungsfähig und nicht mehr erhaltenswert ist' (1919/20:34, Hervorh. von M.). In Palästina und später Israel praktizierte M. bis zu seinem Tod als Dermatologe und Sexuologe in Tel Aviv. Der Sexualreformer und Zionist Felix A. Theilhaber soll 'um die Ecke' gewohnt haben. Die beiden hätten sich aber, so berichtete der Sohn Yohanan, nicht gut verstanden. Theilhaber, in der Zeit vor den Nazis kommunistisch gesonnen, sei in Palästina politisch rechts orientiert gewesen. Der Vater M. dagegen habe stets der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) beziehungsweise der aus ihr hervorgegangenen Staatspartei seine Stimme gegeben, ohne je Mitglied einer Partei gewesen zu sein. Wie in Berlin verdiente M. seinen Lebensunterhalt vor allem als Dermatologe, obgleich er lieber psychotherapeutisch tätig gewesen wäre. Hebräisch habe er kaum gelernt, sodass er auch in 'sprachtechnischer' Hinsicht, wie der Sohn Yohanan sagte, auf die Behandlung Hautkranker angewiesen blieb. 1936 heiratete M. Grete Seelenfreund, geb. Freudenthal, die zusammen mit ihrem ersten Ehemann Deutschland bereits 1933 verlassen hatte, um nach Palästina zu gehen. Diese zweite Ehe von M. wurde 1945 geschieden. Grete Freudenthal ging danach noch eine dritte Ehe ein und verstarb 1984 in Tel Aviv. M. heiratete nicht ein drittes Mal. Der Sohn Yohanan Meroz diente dem Staat Israel 35 Jahre lang als Diplomat und Ministerialbeamter (Meroz 1986). Der jüngere Sohn Michael studierte Veterinärmedizin und war im israelischen Landwirtschaftsministerium als 'Chefarzt für Geflügelkrankheiten' tätig. Als Sexualwissenschaftler war es M. in Israel so gut wie nicht mehr möglich, sein enormes Wissen und seine beinahe einmaligen Erfahrungen an jüngere Generationen weiter zu geben (Pokorny 1947, Stern 1957). Auch in deutscher Sprache konnte sich M. nur noch gelegentlich zu Wort melden (1949/1950, 1954, vgl. auch 1967). Ein Versuch, an seine Leistungen in Form eines Wörterbuches zu erinnern, missglückte insofern, als dieses Buch in einem Verlag für Pornografie unter dem instinktlosen Titel 'Führer durch...' erschien, mit einem Geleitwort von Hans Giese drapiert (1962). 1962, als das Wörterbuch, diese letzte, von M. in deutscher Sprache verfasste Monografie erschien, nahm ihn die Familie des Sohnes Yohanan, die in Jerusalem lebte, in ihre Obhut. 1963 brachte ihn sein Sohn Michael wenige Tage vor dem Tod nach Tel Aviv zurück, um den rechtlichen Anspruch auf die dortige Wohnung zu sichern. In dieser Wohnung in Tel Aviv (nicht in Jerusalem) starb Max Marcuse im Alter von 86 Jahren am 24.(nicht am 27.) Juni 1963. Werk Neben der ärztlichen Praxis entfaltete M. allein in quantitativer Hinsicht atemberaubende Aktivitäten. Er schrieb nach seinen eigenen Angaben etwa 100 Zeitschriften- und Handbuchartikel, veröffentlichte nach unserer Recherche 14 Bücher und Broschüren und edierte acht Werke im Umfang von zusammen mehr als 3000 Druckseiten, von den Zeitschriftenjahrgängen, die er redigierte, ganz zu schweigen. Thematisch spannte er den Bogen weit. Er erörterte sexualmedizinisch-sexualwissenschaftliche Fragen, sexual- und sozialpolitische, psychologische, psychopathologische, forensisch-kriminologische, so genannte rassenhygienische bzw. eugenische, genetische und dermato-venerologische Fragen. In Hunderten von Rezensionen (nach meiner Schätzung sind es etwa 500) beeinflusste er in einem exzellenten Stil, energisch, nicht selten kritisch gegenüber der Allerweltsmeinung der Kollegen und fast immer zum Nachdenken anregend, die wissenschaftlichen und fachpolitischen Debatten der Zeit. M.s Hauptleistung aber ist eine Aktivität, die disziplinäre Fundierung der Sexualwissenschaft genannt werden könnte. Dazu gehören vor allem seine Gründungs- und Editionsaktivitäten, die aus der verstreuten Sexualforschung ein Fach mit eigenen Fachgesellschaften und Fachzeitschriften, ja sogar mit Lehr- und Handbüchern zu machen geeignet waren. Erwähnt seien: (1) Mitbegründung des 'Bundes für Mutterschutz' 1905.Diese sozial- und kulturpolitisch enorm wichtige Organisation (vgl. Nowacki 1983) wurde 1904 im kleinen Kreis vorbereitet, am 5.Januar 1905 gegründet und am 26.Februar 1905 zum ersten Mal in großer Versammlung öffentlich präsentiert. In den ersten Vorständen arbeiteten neben Helene Stöcker als Erster Vorsitzender Ruth Bré und Maria Lischnewska, M., Walter Borgius, Werner Sombart, Lily Braun, Frieda Duensing und Georg Hirth. In dem 'Ausschuss' des Bundes arbeiteten auch mehrere Sexualforscher mit, zum Beispiel Iwan Bloch und Albert Moll. M., der anfänglich die Geschäfte des Bundes von seiner Berliner Praxis aus offensichtlich erfolgreich geführt hatte, überwarf sich Ende 1907 mit den tonangebenden Frauen des Bundes theoretisch, politisch und persönlich und wurde praktisch ausgeschlossen. Im Kern ging es bei der Trennung um eine Unvereinbarkeit von 'objektiv'-wissenschaftlichem Anspruch einerseits, den M. vertrat, und politisch-'fürsorglicher' Reformarbeit andererseits, für die im Bund vor allem Helene Stöcker und Maria Lischnewska den Kopf hinhielten. Hinzu kam ganz offensichtlich, dass M. den so genannten gesellschaftsbiologischen und volkshygienischen Intentionen der Vordenkerin Ruth Bré und den eugenisch-sozialdarwinistischen Vorstellungen des Christian Freiherr von Ehrenfels sehr viel näher stand als die tonangebenden Frauen des Bundes. (2) Herausgabe der Zeitschrift 'Sexual-Probleme' von 1908 bis 1914. Nach der Trennung vom 'Bund für Mutterschutz' riss Marcuse das bis dahin von Helene Stöcker im Verlag J.D. Sauerländer, Frankfurt/M., herausgegebene offizielle 'Publikationsorgan des Bundes' mit dem Titel 'Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik' an sich und nannte die im selben Verlag erscheinende neue Zeitschrift 'Sexual-Probleme. Der Zeitschrift ?Mutterschutz? neue Folge'. Im Januar 1909 vereinigte er sie mit der nur im Jahr 1908 von Magnus Hirschfeld im Verlag Georg H. Wigand, Leipzig, herausgegebenen 'Zeitschrift für Sexualwissenschaft'. M. führte dieses thematisch breit angelegte Blatt bis 1914 fort, sodass er insgesamt sieben Jahrgänge redigierte. (3) Mitbegründung der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung 1913.Initiiert vor allem von Albert Moll und M., wurde diese Fachgesellschaft am 16.November 1913 in Berlin gegründet, um gegen die bereits existierende Ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik, in der Albert Eulenburg, Iwan Bloch und Magnus Hirschfeld den Ton angaben, eine Organisation in Stellung zu bringen, die Sexualforschung 'rein' wissenschaftlich, vollkommen unparteiisch und insbesondere über den medizinischen Tellerrand hinausblickend betreiben sollte. 1.Vorsitzender wurde Julius Wolf, 2.Vorsitzender Albert Moll. M. wurde 2.Schriftführer und später Vorsitzender der deutschen Landesgruppe (Marcuse 1913b). (4) Herausgeber der Zeitschrift 'Archiv für Sexualforschung' 1915/16. Trotz des laufenden Weltkrieges gab M. diese Zeitschrift im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung in Carl Winters Heidelberger Universitätsbuchhandlung heraus. Programmatisch von Julius Wolf (1915/16) eröffnet, wurde ohne inhaltliche Begrenzung begonnen, das weite Feld der Sexual- und Geschlechtsforschung zu beackern, von der 'Entdeckung der Sexualität bei den Hefen' und der Askese des Menschen bis hin zu Sexualsymbolen und der so genannten Rassenkreuzung. Nach zwei Heften musste das Blatt aus ökonomischen Gründen eingestellt werden. (5) Redaktion der Monografienreihe 'Abhandlungen aus dem Gebiete der Sexualforschung' von 1918 bis 1931.Diese von M. ebenfalls im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung redigierte, insgesamt 31 Bände umfassende Reihe, die im Verlag Marcus&Weber, zunächst Bonn, ab 1927 Berlin und Köln, erschienen ist, gehört zu den umfangreichsten sexualwissenschaftlichen Monografienreihen der Welt. Auch hier entfaltete Marcuse das ganze Panorama des Sexual- und Geschlechtslebens, von der 'Prostitution bei den gelben Völkern' über die 'Evolution des sowjetrussischen Eherechts' bis hin zur 'Sterilisierung zum Zwecke der Aufbesserung des Menschengeschlechts'. (6) Redaktion bzw. Herausgabe der 'Zeitschrift für Sexualwissenschaft (und Sexualpolitik)' von 1919 bis 1932.Diese 1914 von Albert Eulenburg und Iwan Bloch begründete Zeitschrift übernahm Marcuse ebenfalls im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung ab Heft 1 (April 1919) des 6.Bandes. Sie erschien im Verlag Marcus&Weber, zunächst Bonn, später Berlin und Köln. Von Heft 1 (April 1928) des 15.Bandes an trug sie den erweiterten Namen 'Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik'. Mit ihren 18 Jahrgängen und ihrem breiten Themen- und Autorenspektrum gehört diese Zeitschrift zu den eindrucksvollsten, die je auf diesem Gebiet zustande gebracht worden sind und am Leben erhalten werden konnten. (7) Herausgabe des 'Handwörterbuchs der Sexualwissenschaft' 1923 und 1926. Dieses im Untertitel 'Enzyklopädie der natur- und kulturwissenschaftlichen Sexualkunde des Menschen' genannte, im Verlag Marcus&Weber erschienene Werk enthält viele bis heute lesenswerte Beiträge namhafter Gelehrter (z.B. Freud 1923a, 1923b) ebenso wie ideologisch problematische rassenhygienisch orientierter Autoren (z.B. Bluhm 1926). Als Beispiel für gelungene Arbeiten sei der kritisch-solide Artikel 'Kastration' von M. selbst (1926b) genannt. (8) Herausgabe des Sammelwerkes 'Die Ehe. Ihre Physiologie, Psychologie, Hygiene und Eugenik' 1927.Dieses 630 Seiten umfassende, ebenfalls im Verlag Marcus& Weber erschienene 'biologische Ehebuch' versammelt Beiträge recht differenter Forscherinnen und Forscher, von Karen Horney und Helenefriderike Stelzner über Rainer Fetscher und Kurt Finkenrath bis hin zu Albert Moll und Géza Róheim. Die Absicht des Herausgebers war es, zwei zu dieser Zeit diskutierte Ehebücher mit 'seinem' Ehebuch zu konfrontieren. Das eine stammte von Graf Hermann Keyserling (1925) und war M. insgesamt zu metaphysisch-irrational und selbstbezüglich. Das andere Ehebuch hatte Theodoor Hendrik van de Velde (1926) veröffentlicht und schien M. zwar 'physiologisch' zu sein, andererseits aber zu technisch und zu erotisch. M. und der Mitautor Finkenrath dagegen sahen die Ehe nicht als ästhetisches oder philosophisches, sondern als biologisch-ärztliches Problem, hatten als Ziel nicht Selbstverwirklichung, sondern 'Sicherung der Art und ihres kulturellen Gedeihens' im Auge (S. VI). Auch mit diesem Buch verantwortet M. eugenisch-rassenhygienisches Meinen im Sinne der 'Aufartung', 'der Verhütung der Erzeugung minderwertiger Nachkommen' und der 'reichliche(n) Vermehrung der rassenbiologisch wertvolleren Volksteile' (S. 603). (9) Redaktion der 'Verhandlungen des I. Internationalen Kongresses für Sexualforschung' 1927 und 1928. Dieser Kongress hatte vom 10.bis 16.Oktober 1926 in Berlin stattgefunden, veranstaltet von der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung. Die fünf Bände im Umfang von insgesamt 1100 Druckseiten sind ebenfalls im Verlag Marcus&Weber erschienen. Sie sind ein eindrucksvolles Panorama zeitgenössischer Sexualforschung. Das Credo M.s als Forscher lautete: 'Die sexuelle Frage verlangt und ermöglicht eine Lösung nur durch die Wissenschaft' (1908:1, Hervorh. von M.). Deshalb überzog er Reform-Organisationen wie das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee und den Bund für Mutterschutz mit Hohn und Ekel, weil sie nicht 'rein' wissenschaftlich seien, sondern persönlich voreingenommen, verlogen und sektiererisch. Inhaltlich stand bei M. die Heterosexualität so im Zentrum wie bei anderen die Homosexualität, von der er nichts verstand und über die er pathologisierend und abfällig schrieb (z.B. Marcuse 1930b, 1933; dazu Dose 1993). Seine ausgesprochen modernen und geschlechtsäquivoken und deshalb im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts noch ausgesprochen anstößigen Ausgangsthesen lauteten: Es gibt keinen Fortpflanzungstrieb, weder beim Mann noch bei der Frau. Und: 'Zweck der Geschlechtsbetätigung ist Lustgewinnung. Nicht mehr und nicht weniger' (1931:4). Folglich trat er auch für die sexuelle Aufklärung der Jugend ein, nannte sexuelle Abstinenz unter heftigem Widerspruch der lieben Kollegen gesundheitsschädlich, ging sogar so weit, als Arzt unter bestimmten Voraussetzungen außerehelichen Geschlechtsverkehr anzuraten. Wie mutig seine Anschauungen waren, kann zum Beispiel daran abgelesen werden, dass das Werben für Kontrazeptiva bis 1927 mit Gefängnis bis zu einem Jahr bedroht war. Innerhalb der heterosexuellen Sphäre beschäftigten M. vor allem das soziale, psychische und sexuelle Schicksal der ledigen, allgemein missachteten und oft ihrer Kinder beraubten Frauen, die Heucheleien in diesem Bereich, die logischen, moralischen und politischen Voraussetzungen der Fortpflanzungsverweigerung sowie die Praxis der Kontrazeption in der Ehe, die er auch empirisch-klinisch erforschte. Immer darum bemüht, nicht nur medizinisch zu denken, sondern auch soziologisch, was ihm aber nur selten gelang, nahm M. auch die Abhängigkeit der Kontrazeption von der sozialen Schichtzugehörigkeit, überhaupt von den politisch-kulturellen Umständen kritisch unter die Lupe (1917). Stimmte M. einerseits der Auffassung zu, 'das höchste Ziel der gesunden Frau' sei 'in der Tat die Mutterschaft', da 'die Natur ihren Leib und ihre Seele dazu ausersah, Kinder zu gebären und zu erziehen', widersprach er andererseits der herrschenden Moral, nach der 'dieses Naturgesetz' nur in der Ehe erfüllt werden konnte (o. J. [1906]: 101). Zugleich wies er energisch jene im 'Bund für Mutterschutz' vertretene Auffassung zurück, die nach seiner Meinung Mutterschaft als solche glorifizierte (1917:164f). Als Herausgeber schätzte M. offensichtlich besonders den Rassebiologen und Polygynisten Christian Freiherr von Ehrenfels (vgl. z.B. 1908a, 1908b, 1913), dem er immer wieder zustimmte, und den Psychoanalytiker Sigmund Freud, der ihm vier Arbeiten zur Erstveröffentlichung anvertraute (Freud 1908a, 1908b, 1923a, 1923b). M. hing der 'positiven' Eugenik an, deren Verfechter die Fortpflanzung der 'Höherwertigen' und 'Tüchtigen' fördern wollten. Die Verfechter der 'negativen' Eugenik propagierten dagegen Kastration, Sterilisierung, Asylierung, überhaupt Zwang und 'Ausmerze' und waren bereit, über Leichen zu gehen, um die Schwachen, Kranken und 'Minderwertigen' an der Fortpflanzung zu hindern. M. (1907) widersprach den Vertretern der negativen Eugenik sehr früh, indem er zum Beispiel gesetzliche Eheverbote für Kranke und 'Minderwertige' ablehnte. Auch lehnte er Euthanasie im Sinne von Sterbehilfe ab (1913a). Entschieden warnte er immer wieder vor voreiligen, wissenschaftlich nicht begründeten oder nicht begründbaren Schlüssen. Grundsätzlich aber akzeptierte er das 'rassedienliche' Prinzip der Selektion zwecks gezielter Fortpflanzung und widersprach dem Diskriminierungsraster der so genannten Höher- oder Minderwertigkeit nur zeitweilig und partiell. Partiell war auch seine Freundlichkeit gegenüber der Psychoanalyse. Selbst psychoanalytisch untrainiert und unbehandelt, übernahm er die Anschauungen der Psychoanalyse nur sehr begrenzt. So hielt er nichts davon, die Perversion als das Negativ der Neurose anzusehen, und an deren Grund sah er nicht immer einen Sexualkonflikt. Er betrachtete die Perversionen als stärker biologisch bedingt als die Neurosen, von denen nur ein Teil Sexualneurosen seien. Terminologisch folgte daraus die Gegenüberstellung von 'Psychopathia sexualis', das sind bei ihm die Perversionen, und 'Neuropathia sexualis', das sind die verbliebenen Sexualneurosen (1926c). Freud selbst hat wohl von den einflussreichen Sexualwissenschaftlern neben Havelock Ellis und Iwan Bloch noch am ehesten M. geschätzt, obgleich es einige Belege dafür gibt, dass auch dieses Verhältnis keineswegs ungetrübt war (Nitzschke et al. 1995), nicht zuletzt, weil Freud auf milde Kritik recht empfindlich reagierte. Angesichts der Bedeutung M.s für die Begründung und Organisation der neuen Disziplin Sexualwissenschaft und angesichts seiner Vertreibung aus Deutschland ist es außerordentlich bedauerlich, dass die wenigen Arbeiten über M., die es bisher gibt, auch noch überaus fehlerhaft und unvollständig sind (vgl. Sigusch 2008a). Die anhaltende Ignoranz gegenüber Leben und Werk eines aus Deutschland vertriebenen Forschers zeigt einmal mehr, wie stark die kollektive Verleugnung der Verbrechen der Nazis Jahrzehnte über das Jahr 1945 hinaus wirkt. Der wissenschaftliche Nachlass M.s, der sich in unserem Archiv befindet, enthält zwei Selbstdarstellungen M.s aus den Jahren 1949 und 1959, die wir ungekürzt veröffentlicht haben (Sigusch 2008b).