Der Staat

von: Platon

Jazzybee Verlag, 2012

ISBN: 9783849618001 , 725 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 0,99 EUR

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Der Staat


 

 


Wie ich das gesagt, glaubte ich, mit dem Reden fertig zu sein; es war aber vielmehr, wie es schien, erst der Anfang. Denn Glaukon, der allezeit bei jedem Anlasse höchst tapfer ist, nahm auch jetzt Thrasymachos' Zurücktreten nicht an, sondern sagte: Sokrates, willst du uns überzeugt zu haben scheinen oder wirklich überzeugen, daß es unbedingt besser ist, gerecht zu sein als ungerecht?

 

Wirklich davon zu überzeugen zöge ich vor, wenn es in meiner Kraft stände, antwortete ich.

 

Dann tust du nicht, versetzte er, was du willst. Denn sage mir: Glaubst du, daß es ein Gutes gibt, das wir zu haben wünschen nicht aus Verlangen nach dem daraus sich Ergebenden, sondern weil wir es selbst um seiner selbst willen lieb haben? Wie z.B. das Frohsein und die Genüsse, die unschädlich sind, und aus denen für die Folgezeit nichts erwächst, als daß man froh ist, wenn man sie hat.

 

Ich glaube, erwiderte ich, daß es derartiges gibt.

 

Und wie? Was wir sowohl selbst und um seiner selbst willen lieben als auch wegen des aus ihm Hervorgehenden? Dergleichen hinwiederum das Verständigsein und das Sehen und das Gesundsein ist; denn das derartige haben wir ja wohl aus beiden Gründen lieb.

 

Ja, sagte ich.

 

Siehst du auch noch eine dritte Art von Gutem, worunter das Turnen gehört und das Arzneinehmen in Krankheiten und das Arzneiverordnen und womit man sonst noch Geld verdient? Denn von diesem werden wir sagen, daß es zwar lästig ist, aber nützlich für uns, und es selbst um seiner selbst willen würden wir wohl nicht zu haben wünschen, wohl aber um des Lohnes willen und wegen alles anderen, was daraus entsteht.

 

Es gibt auch dieses Dritte, sagte ich; aber was nun weiter? Unter welches von diesen, fragte er, rechnest du die Gerechtigkeit?

 

Ich denke, antwortete ich, zum Besten, zu dem, was sowohl um seiner selbst willen als wegen des daraus sich Ergebenden liebhaben muß, wer glücklich werden will.

 

So scheint es aber nicht der Menge, versetzte er, sondern daß sie zu der lästigen Art gehöre, die man wegen des Lohnes und des guten Namens der öffentlichen Meinung zuliebe treiben, an sich selbst aber als beschwerlich fliehen müsse.

 

Ich weiß, antwortete ich, daß man sie so ansieht, und längst wird sie von Thrasymachos als solche getadelt [, die Ungerechtigkeit aber gelobt]; aber ich bin, wie es scheint, hartköpfig.

 

Nun denn, so höre auch mich, versetzte er, falls du damit einverstanden bist. Denn Thrasymachos hat sich meines Bedünkens früher als er sollte von deiner Zauberkraft wie eine Schlange einschläfern lassen; mir aber ist der Nachweis in bezug auf beides noch nicht nach meinem Sinne erfolgt: denn ich wünsche zu hören, was beides (Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit) ist und welche Wirkung es an und für sich hat, wenn es in der Seele ist; die Belohnungen aber und was aus beiden hervorgeht, die will ich beiseite lassen. Ich will es nun folgendermaßen machen, falls du damit einverstanden bist: Ich will den Faden des Gesprächs von Thrasymachos aufnehmen und zuerst sagen, was man als das Wesen und den Ursprung der Gerechtigkeit bezeichnet; zweitens, daß alle, welche sie treiben, ungern sie treiben, als etwas Notwendiges, nicht aber als etwas Gutes; drittens, daß sie recht daran tun, weil ja, wie sie sagen, das Leben des Ungerechten viel besser ist als das des Gerechten. Mir freilich, Sokrates, kommt es nicht so vor; indessen weiß ich mir nicht zu helfen, weil Thrasymachos und tausend andere mir die Ohren vollgeschwatzt haben; dagegen die Ausführung für die Gerechtigkeit, wie sie besser sei als die Ungerechtigkeit, habe ich noch von niemand vernommen, wie ich möchte; ich möchte es aber an und für sich selbst gepriesen hören, und von dir glaube ich am ehesten Auskunft zu erhalten. Ich will denn also in ausgedehnter Darstellung das ungerechte Leben loben und dann dir zeigen, auf welche Weise ich von dir die Ungerechtigkeit getadelt und die Gerechtigkeit gelobt hören möchte. Aber sieh zu, ob dir mein Vorschlag recht ist!

 

Ganz und gar, erwiderte ich; denn über was anderes könnte ein Verständiger mit größerem Vergnügen oft sprechen und hören?

 

Sehr schön, versetzte er; so höre denn, was ich zuerst darüber ausführen zu wollen erklärte, was und welcher Art und woraus entstanden die Gerechtigkeit ist.

 

Seinem Wesen nach, sagt man, sei das Unrechttun etwas Gutes, das Unrechtleiden ein Übel; dabei aber sei das Unrechtleiden ein größeres Übel als das Unrechttun ein Gut: wenn sie daher einander Unrecht tun und von einander Unrecht leiden und von beidem zu kosten bekommen, so finden es diejenigen, die nicht imstande sind, dem einen zu entfliehen und das andere zu wählen, vorteilhafter, sich mit einander dahin zu vertragen, daß man weder Unrecht tue noch leide; und infolgedessen hätten sie begonnen, sich Gesetze zu machen und Verträge unter einander zu schließen, und hätten das vom Gesetze Gebotene das Gesetzliche und Gerechte genannt. Und das sei denn die Entstehung und das Wesen der Gerechtigkeit, die die Mitte halte zwischen dem größten Gute, dem straflosen Unrechttun, und dem größten Übel, der Unfähigkeit, erlittenes Unrecht zu rächen: das Gerechte aber, als das zwischen diesen beiden in der Mitte Stehende, habe man lieb nicht als etwas Gutes, sondern man ehre es, weil man zum Unrechttun zu schwach sei. Denn wer Unrecht zu tun vermöge und ein rechter Mann sei, der werde nie mit jemand sich dahin vertragen, weder Unrecht zu tun noch sich antun zu lassen: er müßte sonst ein Narr sein. Dies und von dieser Art wäre nun also, Sokrates, das Wesen der Gerechtigkeit, und dies das, woraus sie entsteht, nach der gewöhnlichen Auffassung.

 

Daß aber auch die, welche sie üben, nur aus Unfähigkeit, Unrecht zu tun, gegen ihre Neigung sie üben, werden wir am ehesten wahrnehmen, wenn wir es mit unserer Erwägung so machen: Wir wollen beiden, dem Gerechten und dem Ungerechten, Freiheit geben zu tun, was sie nur wollen, und dann nachgehen und zusehen, wohin seine Neigung jeden von beiden treiben wird. Da werden wir denn den Gerechten ertappen, wie er mit dem Ungerechten zusammengeht aus Sucht mehr zu bekommen, was jede Natur an sich als etwas Gutes verfolgt, und wovon sie erst durch Gesetz und Nötigung zur Achtung der Gleichheit herübergebracht wird. Die Freiheit, die ich meine, wäre ungefähr in der Art, daß ihnen eine Kraft würde, wie sie einst [Gyges,] der Ahnherr des Lydiers besessen haben soll. Er sei nämlich ein Hirte im Dienste des damaligen Herrschers von Lydien gewesen, und infolge starken Regens und eines Erdbebens sei ein Riß in der Erde entstanden und eine Öffnung an dem Orte, wo er weidete. Wie er das sah, habe er sich gewundert und sei hinabgestiegen und habe da, unter anderem Wunderbaren, von dem die Sage erzählt, auch ein hohles ehernes Pferd erblickt, mit Türen, zu denen er hineingeguckt und innen einen Leichnam, wie es schien, von mehr als menschlicher Größe gewahrt habe. Dieser habe sonst nichts gehabt als an der Hand einen goldenen Ring, den er sich an den Finger gesteckt habe, und dann sei er herausgestiegen. Bei der gewöhnlichen Zusammenkunft der Hirten, um dem Könige den Monatsbericht über die Herden zu erstatten, habe darauf auch er sich eingefunden, mit dem Ring am Finger. Wie er so unter den übrigen saß, habe er zufällig den Ringkasten gegen sich, dem Innern der Hand zu, gedreht; infolgedessen sei er seinen Nebensitzern unsichtbar geworden, und sie haben von ihm als einem Abwesenden gesprochen. Er habe sich gewundert, wieder den Ring angefaßt und dessen Kasten nach außen gedreht, und darauf sei er sichtbar geworden. Als er dies bemerkt, habe er mit dem Ringe den Versuch gemacht, ob er diese Kraft besitze: und wirklich sei es ihm immer so gegangen, daß, wenn er den Kasten nach innen gedreht, er unsichtbar geworden sei, und sichtbar, wenn er ihn nach außen gedreht. Nach dieser Entdeckung habe er sogleich es dahin zu bringen gewußt, daß er einer der an den König Abgesendeten wurde. Da habe er denn dessen Weib zum Ehebruch verführt, habe in Gemeinschaft mit ihr dem Könige nachgestellt, ihn ermordet und sich der Herrschaft bemächtigt. Wenn es nun zwei solcher Ringe gäbe und den einen der Gerechte sich ansteckte, den andern der Ungerechte, so wäre, wie mir scheint, wohl keiner von so eherner Festigkeit, daß er bei der Gerechtigkeit bliebe und es über sich gewänne, fremden Gutes sich zu enthalten und es nicht zu berühren, trotzdem daß er ohne Scheu sogar vorn Markte weg nehmen dürfte, was er wollte, und in die Häuser hineingehen und beiwohnen, wem er wollte, und morden und aus dem Gefängnis befreien, wen er wollte, und überhaupt handeln wie ein Gott unter den Menschen. Wenn er aber so handelte, so würde er nicht verschieden von dem andern verfahren, sondern beide gingen denselben Weg. Und doch wird man dies als ein sicheres Zeichen betrachten, daß niemand freiwillig gerecht ist, sondern infolge von Nötigung, weil es für den Einzelnen nichts Gutes ist; denn glaubt sich jeder imstande. Unrecht zu tun, so tut er's. Jedermann meint nämlich, daß die Ungerechtigkeit für den Einzelnen weit vorteilhafter sei als...