Die Bestimmung des Menschen

von: Johann Gottlieb Fichte

Jazzybee Verlag, 2012

ISBN: 9783849612566 , 257 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 0,99 EUR

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Die Bestimmung des Menschen


 

 


So wohl glaube ich nunmehr einen guten Theil der Welt, die mich umgiebt, zu kennen; und ich habe in der That Mühe und Sorgfalt genug darauf verwendet. Nur der übereinstimmenden Aussage meiner Sinne, nur der beständigen Erfahrung, habe ich Glauben zugestellt; ich habe betastet, was ich erblickt, ich habe zerlegt, was ich betastet hatte; ich habe meine Beobachtungen wiederholt, und mehrmals wiederholt; ich habe die verschiedenen Erscheinungen unter einander verglichen; und nur, nachdem ich ihren genauen Zusammenhang einsah, nachdem ich eine aus der anderen erklären und ableiten, und den Erfolg im Voraus berechnen konnte, und die Wahrnehmung des Erfolges meiner Berechnung entsprach, habe ich mich beruhigt. Dafür bin ich nun auch der Richtigkeit dieses Theiles meiner Erkenntnisse so sicher, als meines eigenen Daseyns, schreite mit festem Tritte in der mir bekannten Sphäre meiner Welt einher, und wage in jedem Augenblicke Daseyn und Wohlseyn auf die Untrüglichkeit meiner Ueberzeugungen.

 

Aber, – was bin ich selbst, und was ist meine Bestimmung?

 

Ueberflüssige Frage! Es ist schon lange her, dass meine Belehrung über diesen Gegenstand geschlossen ist, und es würde Zeit erfordern, um alles das, was ich hierüber ausführlich gehört, gelernt, geglaubt habe, mir zu wiederholen.

 

Und auf welchem Wege bin ich denn zu diesen Kenntnissen gelangt, welche zu besitzen ich mich dunkel erinnere? Habe ich, getrieben durch eine brennende Wissbegier, mich hindurchgearbeitet durch Ungewissheit, durch Zweifel und Widersprüche? Habe ich so wie etwas Glaubliches sich mir darbot, meinen Beifall aufgehalten, das Wahrscheinliche geprüft, und wieder geprüft, und geläutert und verglichen, – bis eine innere Stimme unverkennbar und unwiderstehlich mir zurief: So, nur so ists, so wahr du lebest und bist? – Nein, ich er innere mich keines solchen Zustandes. Jene Belehrungen wurden mir entgegengebracht, ehe ich ihrer begehrte; es wurde mir geantwortet, ehe ich die Frage aufgeworfen hatte. Ich hörte zu, weil ich es nicht vermeiden konnte; es blieb in meinem Gedächtnisse hängen, soviel als der Zufall fügte; ohne Prüfung und ohne Theilnahme liess ich alles an seinen Ort gestellt seyn.

 

Wie könnte ich sonach mich überreden, dass ich in der That Erkenntnisse über diesen Gegenstand des Nachdenkens besitze? Wenn ich nur dasjenige weiss, und von ihm überzeugt bin, was ich selbst gefunden, – – nur dasjenige wirklich kenne, was ich selbst erfahren habe, so kann ich in der That nicht sagen, dass ich über meine Bestimmung das geringste wisse; ich weiss bloss, was andere darüber zu wissen behaupten; und das einzige, was ich hierin wirklich versichern kann, ist dies, dass ich so oder so über diese Gegenstände sprechen gehört.

 

Ich habe sonach bisher, indess ich mit genauer Sorgfalt das minderwichtige selbst untersuchte, in Ansehung des wichtigsten auf die Treue und die Sorgfalt Fremder mich verlassen. Ich habe anderen eine Theilnahme für die höchsten Angelegenheiten der Menschheit, einen Ernst, eine Genauigkeit zugetraut, die ich in mir selbst keinesweges gefunden hatte. Ich habe sie unbeschreiblich höher geachtet, als mich selbst.

 

Was sie etwa wahres wissen, woher können sie es wissen, ausser durch eigenes. Nachdenken? Und warum sollte ich durch dasselbe Nachdenken nicht dieselbe Wahrheit finden, da ich ebensoviel bin als sie? Wie sehr habe ich bisher mich selbst herabgesetzt und verachtet!

 

Ich will, dass es nicht länger so sey! Mit diesem Augenblicke will ich in meine Rechte eintreten, und Besitz nehmen von der mir gebührenden Würde. Alles Fremde sey aufgegeben. Ich will selbst untersuchen. Sey es, dass geheime Wünsche, wie die Untersuchung endigen möge, dass eine vorliebende Neigung für gewisse Behauptungen in mir sich rege; ich vergesse und verläugne sie, und ich werde ihr keinen Einfluss auf die Richtung meiner Gedanken verstatten. Ich will mit Strenge und Sorgfalt zu Werke gehen, ich will mir alles aufrichtig bekennen – Was ich als Wahrheit finde, wie es auch immer laute, soll mir willkommen seyn. Ich will wissen. Mit derselben Sicherheit, mit welcher ich darauf rechne, dass dieser Boden mich tragen wird, wenn ich darauf trete, dass dieses Feuer mich verbrennen würde, wenn ich mich ihm näherte, will ich darauf rechnen können, was ich selbst bin, und was ich seyn werde. Und sollte man etwa dies nicht können, so will ich wenigstens das wissen, dass man es nicht kann. Und selbst diesem Ausgange der Untersuchung will ich mich unterwerfen, wenn er sich mir als Wahrheit entdeckt. – Ich eile meine Aufgabe zu lösen.

 

Ich ergreife die forteilende Natur in ihrem Fluge, und halte de einen Augenblick an, fasse den gegenwärtigen Moment fest ins Auge, und denke nach über ihn! – über diese Natur, an welcher bisher meine Denkkraft entwickelt und für die Schlüsse, die auf ihrem Gebiete gelten, gebildet wurde. –

 

Ich bin von Gegenständen umgeben, die ich als für sich bestehende, und gegenseitig, von einander geschiedene Ganze anzusehen mich genöthigt fühle: ich erblicke Pflanzen, Bäume, Thiere. Ich schreibe jedem Einzelnen Eigenschaften und Merkmale zu, woran ich sie von einander unterscheide, dieser Pflanze eine solche Form, der anderen eine andere, diesem Baume solche, dem anderen anders gestaltete Blätter.

 

Jeder Gegenstand hat seine bestimmte Anzahl von Eigenschaften, keine darüber, noch darunter. Auf jede Frage, ob er dieses sey, und jenes, ist für den, der ihn durchaus kennt, ein entscheidendes Ja möglich, oder ein entscheidendes Nein, das allem Schwanken zwischen Seyn und Nichtseyn ein Ende macht, Alles; was da ist! ist etwas, oder es ist dieses etwas nicht; ist gefärbt oder nicht gefärbt; hat eine gewisse Farbe, oder hat diese Farbe nicht, ist schmackhaft oder nicht schmackhaft; ist fühlbar oder nicht fühlbar, und so in das unbestimmte fort.

 

Jeder Gegenstand besitzt jede dieser Eigenschaften in einem bestimmten Grade. Giebt es einen Maassstab für eine gewisse Eigenschaft, und vermag ich ihn anzulegen, so findet sich ein bestimmtes Maass derselben, welches sie nicht um das mindeste überschreitet, noch unter ihm zurückbleibt. – Messe ich die Höhe dieses Baumes; sie ist bestimmt, und er ist um keine Linie höher oder niedriger, als er ist. Betrachte ich das Grün seiner Blätter; es ist ein bestimmtes Grün, nicht um das mindeste dunkler oder heller; frischer oder verblichener, als es ist; ob es mir gleich am Maassstabe und am Worte für diese Bestimmung fehlt. Werfe ich meinen Blick auf diese Pflanze: sie steht auf einer bestimmten Stufe zwischen ihrem Entkeimen und ihrer Reife; beiden nicht um das mindeste näher oder entfernter, als sie es ist. – Alles was da ist, ist durchgängig bestimmt; es ist was es ist, und schlechthin nichts anderes.

 

Nicht etwa, dass ich überhaupt nichts zwischen widersprechenden Bestimmungen in der Mitte schwebendes zu denken vermöchte. Ich denke allerdings unbestimmte Gegenstände, und mehr als die Hälfte meines Denkens besteht aus dergleichen Gedanken. Ich denke einen Baum überhaupt. Hat dieser Baum überhaupt, Früchte oder nicht, Blätter oder nicht, und falls er welche hat, welches ist ihre Anzahl? Zu welcher Gattung von Bäumen gehört er? Wie gross ist er? und so weiter. Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet, und mein Denken ist hierüber unbestimmt, so gewiss ich nicht einen besonderen Baum, sondern den Baum überhaupt zu denken mir vornahm. Nur spreche ich diesem Baume überhaupt – das wirkliche Daseyn ab, eben darum, weil er unbestimmt ist. Alles wirkliche hat seine bestimmte Anzahl von allen möglichen Eigenschaften des wirklichen überhaupt, und hat jede derselben in einem bestimmten Maasse, so gewiss es wirklich ist; ob ich mich gleich bescheide, vielleicht nicht Eines Gegenstandes Eigenschaften durchaus erschöpfen, und den Maassstab an dieselben anlegen zu können. –

 

Aber die Natur eilt fort in ihrer stäten Verwandlung: und indess ich noch rede über den aufgefassten Moment, ist er entflohen, und alles hat sich verändert; und ehe ich ihn auffasste, war gleichfalls alles anders. Wie es war, und wie ich es auffasste, war es nicht immer gewesen, es war so geworden.

 

Warum nun und aus welchem Grunde war es gerade so Geworden, wie es geworden war; warum hatte die Natur unter den unendlich mannigfaltigen Bestimmungen, die sie annehmen kann, in diesem Momente gerade diese angenommen, die sie wirklich angenommen hatte, und keine andere?

 

Deswegen, weil ihnen gerade diejenigen vorhergingen, die ihnen vorhergingen, und keine möglichen anderen; und weil die gegenwärtigen gerade ihnen, und kehlen möglichen anderen folgten. Wäre im vorhergehenden Momente irgend etwas um das mindeste anders gewesen, als es war, so würde auch im gegenwärtigen irgend etwas anders seyn, als es ist. – Und aus welchem Grunde war im vorhergehenden Momente alles so, wie es war? Deswegen, weil es in dem, der diesem vorherging, so war, wie es in ihm war. Und dieser hing wieder ab von dem, der ihm vorherging; dieser letzte abermals von seinem...