Erinnerungen eines Achtundvierzigers

von: Stephan Born

Jazzybee Verlag, 2012

ISBN: 9783849607036 , 330 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 0,99 EUR

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Erinnerungen eines Achtundvierzigers


 

 


Die Berliner nach dem 18. März.


 


Am 13. März 1848 wurde in Wien das Metternich'sche Regiment zertrümmert. Wie ein Kartenhaus brach es zusammen, umgeblasen von dem lauten Freiheitsruf der aufgeregten Bevölkerung. Es bedurfte zu aller Welt Erstaunen keines langen blutigen Kampfes, um die Herrschaft eines Staatsmannes niederzuwerfen, der in Europa für allmächtig galt, weil er seinen verderblichen Einfluß auf sämtliche Monarchen ausübte, die auch nichts anderes wünschten, als seinem Rat, der nicht selten ein Befehl wurde, mit ganzer Seele nachzukommen. Metternich war ihnen die Vorsehung des Königtums von Gottes Gnaden. Und doch hatte sich in Wien, wo er als unbeschränkter Herr waltete – der Kaiser war ja geistig unmündig – als das Volk sich erhob, keine Hand ernstlich für ihn gerührt. Die Mitglieder des kaiserlichen Hauses haßten ihn, weil er sie zu seinen Handlangern degradiert hatte, seine Kollegen im Ministerium und die alten Generäle haßten ihn, weil er ihnen wie jedem andern gegenüber der alleinige Gebieter war, alle höheren und mittleren Staatsbeamten lachten sich ins Fäustchen, als sie ihren Herodes gedemütigt und die Flut der Empörung ihn verschlingen sahen. Das Wiener Volk stieg auf die Gasse und seinen wildesten Zornesausbrüchen trat ein so geringer Widerstand entgegen, daß es mit einem Hohngelächter den Götzen der europäischen Reaktion aus seinem Tempel vertreiben konnte. Niemand hatte geglaubt, daß Fürst Metternich, die Säule der reaktionären Gewalten Europas, so schwach fundiert war, daß er am Tage der großen Prüfung wie ein Strohhalm in sich zusammenknicken mußte.

 

Die Leichtigkeit des Triumphes sollte später den Siegern verhängnisvoll werden.

 

In Berlin wurde am 18. März das Schicksal der absoluten Monarchie für immer entschieden. Hier saß ein Mann auf dem Throne, der bei allem Witz, den er in seinem engsten Hofzirkel entfaltete, bei allem mannigfaltigen Wissen, das er in sich aufgenommen, in allen politischen Fragen einen beschränkten Gesichtskreis hatte und eine auffällige Unkenntnis des Geistes seiner Zeit, ihrer treibenden Ideen, sowie der Menschen und Zustände, verriet, mit und in denen er lebte. Man hat mit gutem Grund ihn den »Romantiker auf dem Thron der Cäsaren« genannt. Schade, daß ihn das Schicksal nicht zu einem Poeten gemacht, er wäre der Rival eines Clemens Brentano und Zacharias Werner oder eines Geschichtsschreibers wie Görres geworden. Er war eben so anormal angelegt wie sie und deshalb zum König, zum Haupte einer Nation in einer gärenden Zeit wie die seine durchaus nicht berufen. Er hat eine klägliche Rolle auf dem Throne der Hohenzollern gespielt.

 

Als ich einige Tage nach dem 18. März in Berlin eintraf, wurde ich von dem Bilde, das sich hier meiner Beobachtung darbot, aufs Höchste überrascht. In Paris hatte ich eine fröhlich erregte Bevölkerung gesehen, die noch bis tief in den März von der Siegesstimmung nichts eingebüßt hatte, die am Abend des 24. Februar sie zu den lautesten Kundgebungen hinriß. In Berlin war schon wenige Tage nach dem 18. März von dem Revolutionsrausch, der in Wirklichkeit ja ganz Deutschland ergriffen hatte, kaum noch etwas zu merken. Der Rausch hatte sich rasch verflüchtigt. Die Leute sahen ernst darein, als fürchteten sie die Zukunft. Die Selbstdemütigung des Königs, als er auf den Balkon trat, um der Aufforderung des unten auf dem Platze drohend versammelten Volkes nachzugeben und vor den von den Barrikaden aufgehobenen Leichen den Hut zu ziehen, sein Ritt durch die Straßen der Stadt hinter der, von dem berüchtigten Geheimpolizisten Stieber vor ihm hergetragenen schwarz-rot-goldenen Fahne, die bekannt gewordene Tatsache, daß er während des Kampfes zwischen Bürgern und Soldaten in Tränen zerflossen, daß er während des Volksaufstandes, ein ganz gebrochenes Gemüt, gewollt und nicht gewollt und sich vollständig unköniglich benommen, alles das ließ eine gehobene Stimmung nicht aufkommen. Die Bevölkerung schwankte zwischen Hohn und Mitleid, sie ahnte auch, daß die Demütigung, welche Friedrich Wilhelm IV. erfahren hatte, sich bald in Trotz verwandeln und einen um so hartnäckigeren Widerstand gegen die Volkswünsche hervorrufen werde. Hatte man doch schon nach den ersten Tagen die alten feudalen und hochkirchlichen Ratgeber in der Umgebung des nach Potsdam übergesiedelten Monarchen sich wieder einstellen sehen. Ein Ruf nach der Republik, wie er in einigen süddeutschen Landschaften vorübergehend erschallt war, hatte sich in Norddeutschland, speziell in Berlin nicht vernehmen lassen. Man möchte sagen, das preußische Volk fühlte sich im Innern selbst gedemütigt, daß ein Nachfolger Friedrichs des Großen so wenig Mark in den Knochen hatte.

 

 

An Paris erinnerte mich nur die mit Kreide an den Eingang zum Palais des Prinzen von Preußen, späteren Kaisers Wilhelm, geschriebenen Worte »National-Eigentum.« Wache hielten davor zwei Männer der im Nu gebildeten Bürgerwehr, welche den Dienst des zurückgezogenen Militärs versah. Sie trug keine Uniform, doch war sie mit Infanterie-Gewehren bewaffnet. Die Bürgerwehr nahm ihren Dienst sehr ernst. Zu ihr hatten sich wesentlich die bürgerlichen, wohl liberal, doch keineswegs revolutionär gesinnten Elemente der Hauptstadt gemeldet. Der weiter nach links stehende Handwerkerverein, von dem ich in einem früheren Kapitel gesprochen, bildete ein besonderes Bataillon. Wenn die Nacht hereinbrach, marschierten Abteilungen der Bürgerwehr durch die Straßen in ganzer Breite derselben, um jede Ansammlung von Volksmassen zu verhindern. Verdächtige, sogenannte »Bassermann'sche Gestalten« wurden von den Hütern der öffentlichen Ordnung manchmal nicht eben sanft beiseite gedrückt. Die Bürgerwehr sorgte für die Ruhe der Stadt, für Ordnung auf den Straßen und öffentlichen Plätzen.

 

Mit der gewissermaßen aus der Erde emporgeschossenen Bürgerwehr waren sogleich nach der vom König ausgesprochenen Verheißung einer Verfassung das durch dieselbe erst zu verbürgende, von der liberalen Bevölkerung in Aussicht genommene Recht der freien Presse und das freie Vereins- und Versammlungsrecht ohne weitere Formalitäten ins Leben getreten.

 

Um den Zensor, den alten Geheimrat John, ein kleines Männchen mit einem wie aus Holz geschnitzten Köpfchen, das sich bemühte, einen recht wohlwollend durch die großen Brillengläser anzuschauen, denn er ahnte wohl schon lange, daß sein Reich bald zu Ende gehen sollte, und er wollte doch nicht, daß er in der Erinnerung der jungen Generation als ein Torquemada der Literatur gelten sollte, um dieses innerlich längst geknickte Werkzeug der hohen Reaktion kümmerte sich keine Seele mehr. Bevor er noch auf Befehl der Märzregierung seine traurige Bude schloß, konnte man an allen Straßenecken der Hauptstadt große Plakate lesen, unter denen nicht selten auch mein Name sich fand, und durch welche ohne vorausgegangene hochobrigkeitliche Erlaubnis die Leser auf diesen oder jenen Mißstand aufmerksam gemacht, vor dieser oder jener sich vorbereitenden reaktionären Maßregel gewarnt, oder zu dieser oder jener Versammlung eingeladen wurden.

 

Die politischen Parteien gruppierten sich schnell in Vereine, auffallend genug für ein Land, in welchem das freie Vereinsrecht bis dahin nicht existiert hatte. Neben den alten zwei Zeitungen, der Vossischen und der Spenerschen, entstanden eine Reihe anderer Tagesblätter, von welchen einige nach kurzem Dasein verblichen, andere, wie die »Nationalzeitung« und die »Kreuzzeitung«, sich bis heute erhalten haben. Die »Kreuzzeitung« war sehr bald nach der Märzrevolution erschienen, so rasch hatte die Hofpartei, die Partei der Junker und der Hochkirchlichen, sich kampfbereit gesammelt und ihre Fahne aufgepflanzt. Aber auch eine Arbeiterpartei stand bald auf dem Plan und ihr Organ »das Volk«, erschien dreimal wöchentlich in Berlin. Ich allein schrieb das ganze Blatt, von der ersten bis zu letzten Zeile, ich hatte und ich suchte auch keine Mitarbeiter.

 

Die Elemente zu einer Arbeiterpartei waren zumeist in den Genossenschaften vorhanden, die in einem und demselben ewerbe einer Kranken- Invaliden- und Witwenkasse oder einer Unterstützungskasse für die reisenden »Kollegen« angehörten. Nach der Märzrevolution aber fühlte der einzelne sich sofort als das Glied eines großen und wichtigen Lebenselementes im Staate, und die verwandten Gruppen suchten und fanden bald einen Zusammenschluß. Jung, voller Tatkraft und voll Glaubens an die Macht der werbenden Ideen, war ich überall anzutreffen, wo es galt, eine Bewegung, die nur auf den ersten Anstoß wartete, in Fluß zu bringen.

 

Wenn ich eben vom Glauben an die werdenden Ideen sprach, so muß ich von vornherein hier feststellen, daß ich nun, wo ich in den Strom des öffentlichen, politischen Lebens – ich sage nicht, mich stürzte, sondern geriet, von allen Spekulationen in die Ferne plötzlich mich befreit fühlte, die Dinge anschaute, wie sie sich dem Auge darboten, mit den gegebenen Verhältnissen rechnete und vor allen Dingen das nächste Ziel im Auge behielt, das sich nur erreichen ließ, wenn man an manches Vorurteil nicht rührte, dies sogar mit in den Kauf nahm, wollte man irgend etwas leisten. Dieses Ziel – und darin war ich ganz Marxianer und ein zuverlässiger...