Bismarck

von: Karl Bleibtreu

Jazzybee Verlag, 2012

ISBN: 9783849606398 , 2100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 0,99 EUR

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Bismarck


 

"Und doch bist du zum Staatsbeamten bestimmt!" betonte Bernhard eifrig.

 

"Zum Diplomaten!" bekräftigte die ehrgeizige Mutter. "Es wäre jammerschade –"

 

Der alte Herr v. Bismarck hatte kein Wort gesagt, jetzt klopfte er seine Pfeife aus und sagte bedächtig: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich und der feinste Diplomat ist der liebe Gott. Der wird schon wissen, was für Otto gut ist. Wenn er die Beamtenhucke nicht mehr auf den geraden Rücken nehmen mag, so weiß ich Rat, was er anfangen soll. Unsere pommerschen Güter – daß ihr's nur wißt! – liegen sehr danieder, ich verstand nie, den Groschen in der Hand umzudrehen." Er räusperte sich verlegen, seine Familie kannte ja seine geringe Begabung zur Sparsamkeit. "Es fehlt an der nötigen Aufsicht. Ich will mich ganz nach Schönhausen zurückziehen, ihr Söhne sollt in Pommern etwas herauswirtschaften, damit wir den verfahrenen Karren aus dem Dreck ziehen. Übrigens kann Otto zwischendurch sein Freiwilligenjahr abdienen."

 

"Herzlich einverstanden, Vater!" Der von Beamtenbürde Erlöste atmete tief auf. "So werde ich doch endlich wieder reine Luft schlucken nach all dem Aktenstaub." – – –

 

Unter den Linden 5 und später Bellevuestraße 22, wo der "Rittmeister und Ritter pp. v. Bismarck, Hochwohlgeboren" in Berlin wohnte, regnete es Beileidsbriefe von Verwandten und Bekannten. Besonders die Damen zürnten dem Ungeratenen, der nicht an der Staatskrippe sich atzen und das sanfte Beamtenjoch ertragen wollte. Die Gräfin Bismarck-Bohlen auf Karlsburg und ihre Tochter Linchen, jetzt Frau v. Malortie, setzten dem Kusin Otto persönlich mit Vermahnungsepisteln zu. Dieser antwortete der "gnädigen Kusine" mit einem langen Schreiben, dessen hohe Männlichkeit den Frauen ans Herz griff und das eine Reife des Urteils, eine Klarheit der Weltbeobachtung und eine Beherrschung der sprachlichen Ausdrucksweise vereinte, weit über seine Jahre hinaus, bei einem Jüngling mehr als erstaunlich. "Das traurigste ist", bemerkte die Gräfin zu ihrer Tochter, "daß ich danach mehr denn je von Ottos Talenten überzeugt bin. Hat Wilhelmine denn gar keinen Einfluß auf ihn? Sie ist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Doch sie sagt, mit Otto werde sie nicht fertig."

 

Frau v. Bismarck verfocht umsonst ihren abweichenden Standpunkt gegen den Sohn, dem sein Vater treulich sekundierte. "Du wirst doch nicht im Ernste behaupten, daß du notwendig Bauer oder sagen wir höflich Landbebauer werden mußt. Hast du nicht Pflichten gegen dein Vaterland?"

 

"Die erfülle ich geradeso, wenn ich Korn baue, ohne das der gelehrteste Staatsbürger verhungern müßte. Das Vaterland hat meines Wissens noch nie den Wunsch geäußert, daß ich Administrativbeamter sein soll. Es weiß von meiner Existenz überhaupt nichts und hilft sich schon, wenn ich heut noch krepiere. Das Wohlergehen der guten Preußen ändert sich nicht nagelsgroß, ob ich oder ein anderer irgendwo der Regierungsmaschinerie angehöre."

 

"Als ob du dann nicht für deine Mitbürger ganz anders wirken könntest, als du je als Privatier es vermagst! Deine Fähigkeiten –"

 

"Und wenn ich noch so unbescheiden darüber dächte, und wenn ich wirklich so edel wäre, fremde Interessen meinen eigenen voranzustellen, so leugne ich, daß ein einzelner Beamter irgendwelche Bedeutung hat. Man schiebt da nur nach unten, wie man von oben geschoben wird."

 

"Dann sorge dafür, daß du selbst an eine obere Stelle trittst!"

 

"Welche? Premierminister? Darüber wird man eisgrau, man kommt dazu als Mummelgreis, wenn die Zähne ausfallen. In der Jugend hat man nichts zu beißen und im Alter keine Zähne. Und was wäre das Großes? Selbst wer im Orchester die erste Violine spielt, tut doch nur, was der Kapellmeister ihm vorschreibt. Er spielt die Noten vom Blatt wie die andern Spieler auch, und ob er das ganze Musikstück für schlecht oder gut hält, darf ihn nich kümmern, bei Verlust seiner Gage. Bei uns regiert der König allein, niemand darf ihm dreinreden und raten. Nun, ich bin solch ein drolliger Kauz, daß ich selber Musik machen möchte, gute Musik nach meinem Geschmack oder gar keine. Da will ich lieber stille sitzen und schweigen." Der alte Bismarck grunzte förmlich vor Vergnügen und stieß ein vernehmliches Bravo aus.

 

"Du sprichst wie ein heimlicher Demokrat, der du ja leider bist, wie ich schon lange argwöhne. Und wenn du nur an dein eigenes Behagen denkst, hast du denn gar keine noble Ambition? Als Minister hat man doch immerhin eine gebietende Stellung, ein hohes Ansehen."

 

"Ich höre immer Minister, als ob jeder, der in der Lotterie setzt, das große Los im Sack hätte. Aber diese Höhe reizt mich gar nicht, ich halte für ersprießlicher, Schafe zu züchten als am grünen Tisch Verfügungen zu Papier zu bringen, die oft die Tinte nicht wert sind."

 

"Das ist deine beschränkte demagogische Auffassung." Die gnädig Frau v. Bismarck, geborene Mencken, rauschte zornig in ihrem Seidenkleide. Dies traf sie, die Tochter des Kabinettsrats, am wundesten Punkte.

 

Otto zuckte gleichmütig die Achseln. "Indessen, es ist so. Kurz und gut, ich bin so geartet, daß mir vor allem am Herzen liegt, nicht zu gehorchen. Das Befehlen überlasse ich anderen, wenn sie nur mir nichts zu befehlen haben."

 

"Das soll wohl heißen, Söhnchen: lieber der Erste in einem Dorfe, als der Zweite in Rom?" lachte der Alte.

 

"Nee, ich bin nicht Cäsar, habe gar keinen Bedarf für so was. Der Erste sein, wäre mir überhaupt schnuppe, ich will bloß für mich der Eine sein, der allein für sich selber lebt."

 

" Ni dieu ni maître! Also der ausgesprochenste Egoist?" Die Mutter sah ihn mit ihren kalten Augen prüfend an, die einen stählernen Glanz hatten. Das Ewigweibliche sah wieder einmal tiefer, intuitiv, aber sah nicht alles, das Ewigmännliche, das an einer bestimmten Gemütsstelle dem weiblichen Verständnis entschlüpft, nach dem Refrain: was schert mich Weib, was schert mich Kind, ich trage weit besseres Verlangen. "Rede mir nichts vor! Ich traue dir diabolischen Ehrgeiz zu, einen richtigen Machthunger, wenn du nur allein und ungestört deinen Willen durchsetzen könntest. Nun, ich sehe, mit dir ist nichts anzufangen, vorläufig. Keine schmeichelhafte Vorhaltung, daß du besonders für Staatsmannschaft ausgerüstet seist, wird dich bekehren, sondern nur die Probe, daß Leute von Geist nicht zum Landwirt taugen."

 

"Erlaube mal," mischte der Alte sich pikiert ein, "Klugheit ist gut für jedes honette Geschäft, und eine große Landwirtschaft leiten ist keine Sinekure, wie so mancher Beamtenposten. Jeder Esel kann Geheimrat werden, aber ein Esel, der Disteln frißt, schnuppert umsonst am Getreideboden. Dazu gehört mehr Grips, als in muffigen Akten herumzuschnüffeln."

 

"Sehr richtig, Vater", bekräftigte Otto. "Besonders Kniephof fordert einen gescheiten Gutsherrn voll Arbeitskraft, wenn ein so großer Komplex den richtigen Ertrag geben soll. Bernhard eignet sich ja trefflich zum Landrat, schickt sich in alle Launen seines Vorgesetzten, vertritt entschieden die Grundsätze der Regierung, die mir mißfallen, aber für Bewirtschaftung seiner Güter nimmt ihm das schon zu viel Zeit weg. Sollte ich nun auch noch durch Amtstätigkeit nicht abkömmlich sein, so werden unsere großen Güter vor den Hund gehen und unser Vermögen sehr ernstlich beeinträchtigt werden. Das Vermögen aber ist unerläßlich für jede Lebensführung, und ich stehe mich auch materiell viel besser, wenn ich ein wohlhabender Gutsbesitzer bin statt eines hungrigen Regierungsrats mit 1000 Taler Gehalt, der auf großem Fuße mit Weib und Kind in der Stadt leben muß. Der bezahlt bar Wohnung, Kost, Heizung, Licht und diensttuende Geister, was wir alles auf dem Lande umsonst haben."

 

"Gesprochen wie ein Salomo!" Der alte Rittmeister klopfte sich auf die Schenkel und sah seine Frau stillschweigend und schadenfroh an. "Ist das ein toller Schwärmer, he? Das ist der gesunde Menschenverstand eines märkischen Edelmanns. Mach' nur so fort, Otto! Um dich ist mir keine Bange! Wir ordnen die Sache so, daß ich mich nach Schönhausen aufs Altenteil setze, du Kniephof bekommst und an Bernhard Külz und Jelichau abtrittst. Den Kontrakt darüber können wir später bei Bohlens auf Karlsburg aufsetzen, zu denen ich im Herbst reisen muß. Verwahre dich nur gegen Bernhards Irrtum, man könne zugleich Landökonom und Stadtbeamter sein, wobei man sich nur zwischen zwei Stühle setzt! Also man druf! Hast du dein Militärjahr abgedient, geht der Rummel los, und du wirst schon zeigen, was eine Harke is. Du bist der richtige Landmann, kein Stadtkind."

 

"Und wenn Bernhard erst Landrat ist, dann will ich ihm als Kreisdeputierter über den Hals kommen, damit er die Vertretung bequem und billig hat, wenn er mal Urlaub nimmt. Das wird dich doch trösten, Mutter", suchte er die Haustyrannin zu beschwichtigen.

 

"Macht, was ihr wollt!" hauchte diese mit leidender Miene. "Ihr Männer hört ja doch nicht auf Frauenrat. Ich aber werde sterben in dem Glauben, daß Otto doch noch dem Staate dient." – –

 

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Der einjährige Gardejäger Bismarck, Ende März 1838 eingetreten, schritt als Schildwache im Mondschein die Terrasse von Sanssouci ab. Zwei Walnußbäume warfen einen breiten Schatten über den Kies, auf das vergoldete Kupferdach der Orangerie trommelte ein...