Den letzten Abschied selbst gestalten - Alternative Bestattungsformen

von: Magdalena Köster

Ch. Links Verlag, 2009

ISBN: 9783862840076 , 192 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Den letzten Abschied selbst gestalten - Alternative Bestattungsformen


 

Die ersten Stunden nach dem Tod


Der Philosoph Paul Ludwig Landsberg prägte das Bild des gerade Gestorbenen als »anwesend in Abwesenheit«. Tote stünden auf der Schwelle, in einem Zwischenreich, dem »schon gestorben« aber »noch nicht begraben«. Grund genug, sich diesen Menschen nicht einfach aus der Hand nehmen zu lassen, ihn noch ein wenig bei sich zu behalten und zu begleiten.

Viele wissen in Deutschland nicht, dass sie einen Verstorbenen ohne jegliche Genehmigung 36 Stunden zu Hause aufbahren können. Auf Antrag kann dies sogar auf bis zu 96 Stunden verlängert werden. Es ist auch ohne Probleme möglich, jemanden, der im Krankenhaus gestorben ist, noch einmal nach Hause zu holen, um dort Abschied zu nehmen. Dennoch stößt man nicht selten auf Behauptungen wie diese: »Die Ausstellung des Verstorbenen im offenen Sarg ist verboten.«

Nicht einmal die meisten Ärzte wissen Bescheid. Eine Umfrage der Universität Mainz unter Ärzten in Rheinland-Pfalz machte deutlich, dass weniger als ein Viertel der 250 Befragten wusste, dass eine häusliche Aufbahrung bis zu 36 Stunden gesetzlich erlaubt ist. Die meisten Ärzte hielten die Zeit für wesentlich kürzer oder meinten sogar, Tote müssten sofort ins Leichenhaus gebracht werden. Nur ein Drittel der Ärzte ermutigte die Angehörigen dazu, ihre Verstorbenen noch eine Weile zu Hause zu lassen oder am Bett in der Klinik sitzen zu bleiben.

Die Universität Mainz zitiert eine weitere Untersuchung, nach der mehr als 90 Prozent der Verwandten oder Vertrauten sagten, in der unmittelbaren Zeit nach dem Tod ihres Angehörigen sei die Trauerreaktion am heftigsten gewesen. Das widerspricht der unter professionellen Helfern weit verbreiteten Annahme, die Menschen seien in diesen Tagen völlig betäubt und wie in Watte gepackt. Im Gegenteil betonten fast alle Befragten, dass ihnen diese Zeit ganz intensiv in Erinnerung geblieben sei. Demnach ist ein qualifizierter Umgang aller Beteiligten mit den Trauernden für die spätere Verarbeitung des Verlustes von großer Bedeutung.

Die holländische Trauerforscherin Ruthmarijke Smeding hat für die Tage zwischen Tod und Beerdigung den Begriff der Schleusenzeit geprägt. Das sei die Zeit, in der die Trauernden auf natürlichem Weg mit Fachleuten in Berührung kämen. »Wenn ein Schiff durch eine Schleuse fährt, gibt es Menschen, die dafür sorgen, dass das Boot gut durch diese Schleuse kommt.« In vielen Gesellschaften gebe es eine Übergangszeit bis zur Beerdigung, die durch Totenwache, Übergangsbräuche und Rituale gestaltet werde. Dafür seien erfahrene Schleusenwärter gefragt, die die »Hierbleibenden Stück für Stück beim Abschied von demjenigen, der ins Jenseits überwechselt, begleiten« und sie damit für den weiteren Trauerweg stärken.

Smeding gibt Trauernden ein anschauliches Bild mit auf den Weg: Wenn jemand gerade gestorben ist, sitzt er sozusagen schon im Zug des Todes. Der ist bereits angefahren, Fenster und Türen aber stehen noch offen. »Man kann noch ein Stück weit am Zug entlanglaufen und ein paar liebe Worte nachrufen, bis man selbst zum Bahnhof zurückkehren muss.« Dieser Abschied mache die nächsten Wochen und Monate nicht unbedingt leichter, könne aber stärken wie ein Päckchen Proviant.

Die langjährige Hospizleiterin und Psychologin Dr. Daniela Tausch-Flammer fasst ihre Erfahrungen in einem Interview mit BR-Alpha so zusammen: »Ich denke, gerade dieses Abschiednehmen ist sehr wichtig: Man merkt, dass der Körper kalt wird und dass man nichts dagegen tun kann. Er wird kälter und kälter. Das ist eine wichtige Erfahrung, um den Tod wenigstens ahnungsweise begreifen und spüren zu können. Aber ich will hier keinesfalls eine neue Norm setzen in dem Sinne, dass man jemanden unbedingt 24 Stunden lang zu Hause aufbahren muss. Ich würde stattdessen sagen, dass man ganz einfach seinem Herzen folgen und sich vielleicht jemanden suchen sollte, der dabei ein wenig erfahrener ist, der ruhiger ist. Da braucht man oftmals einen Menschen, der einen an die Hand nimmt und sagt, ›du, wollen wir das so und so machen? Wollen wir noch eine Kerze anzünden und vielleicht noch dieses oder jenes lesen?‹«

Eine Organspende verändert den Abschied

Wenn jemand zu Lebzeiten entschieden hat, Organe oder Gewebe zu spenden, und einen entsprechenden Organspendeausweis besaß, steht sie oder er nach dem Hirntod für Organentnahmen zur Verfügung. Das verändert den Abschied natürlich erheblich. Den Zustand des Hirntods müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander bestätigen, um den Kreislauf aufrechtzuerhalten und für eine künstliche Beatmung zu sorgen, die Voraussetzung für eine Organentnahme ist.

Damit ist ein Abschied in den ersten Stunden nach dem Tod vorübergehend unterbrochen. Die Ärzte sind jedoch verpflichtet, die Operationswunde wieder sorgfältig zu verschließen und den Verstorbenen in einen »würdigen Zustand« zu versetzen, so dass sich die Angehörigen auch danach noch verabschieden können. Dies sollte man vor der Übergabe des Toten gegenüber den Ärzten mit aller Deutlichkeit auch einfordern.

(Weitergehende Informationen stehen auf der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eingerichteten Website www.organspende-info.de.)

»Sie haben alle Zeit der Welt«
Jürgen Wälde, Christophorus-Hospiz-Verein München


»Ruhe – das ist das, was die Menschen nach dem Tod eines Angehörigen am meisten benötigen. Daher sagen wir immer, Sie haben bei uns alle Zeit der Welt, die Sie für Ihren Abschied brauchen. Viele verfallen aus Unsicherheit und Anspannung in totale Hektik, wollen gleich die Behörden benachrichtigen und den Sarg aussuchen. Das hat alles Zeit. Ein Arzt kommt zum Ausstellen des Totenscheines ohnehin erst nach einigen Stunden, wenn die sicheren Todesanzeichen erkennbar sind. Wir bieten den Angehörigen an, den Verstorbenen gemeinsam zu waschen und anzukleiden, und fragen, wen sie vielleicht zum letzten Abschied dazuholen möchten. Manche wünschen sich den Beistand eines Seelsorgers oder möchten mit unseren Ehrenamtlichen etwas singen oder ein Vaterunser beten. Wir versuchen, ein Gespür dafür zu entwickeln, was den Menschen in diesem Moment guttut. Wir schlagen vor, Kerzen anzuzünden, Duftessenzen aufzustellen oder Blumen zu verteilen. Dabei ermutigen wir die Besucher, den Verstorbenen noch einmal anzufassen und zu streicheln. Wir raten auch, Kinder jeden Alters mit dazuzunehmen, wenn sie es selbst möchten. Kinder haben ein gutes Gespür dafür, was für sie das Richtige ist.

Egal, ob im Hospiz oder bei der Aufbahrung zu Hause – ich empfehle, sich möglichst schon vor dem Tod ein Bestattungsunternehmen zu suchen und bei dessen Auswahl weniger auf seine Präsentation nach außen als auf gute Erfahrungen von Bekannten und Verwandten zu hören. Wenn der Bestatter dann trotzdem drängen sollte, schicken Sie ihn wieder weg und bitten ihn, später wiederzukommen. Wenn er nicht einsichtig ist, sagen Sie, dass Sie einen anderen Anbieter wählen werden. Dann sind sehr viele Dinge möglich!

Aus langjähriger Erfahrung heraus rate ich auch dazu, sich schon zu Lebzeiten mit dem eigenen Tod und der gewünschten Bestattung zu beschäftigen. Menschen, die sich vor dem Thema scheuen, könnten zumindest schon einmal eine Patientenverfügung ausfüllen. Das ist sozusagen ein niederschwelliger Zugang zu dem Thema, ein erstes Herantasten. Wichtig wäre auch, sich mit seinen Nächsten darüber zu unterhalten. Ich habe einmal erlebt, wie die Vorstellungen eines Vaters gar nicht zu denen seiner Tochter passten. Kurz vor seinem Tod sagte er dann: ›Ich werde tot sein, aber du musst weiterleben, also gehe ich auf deine Wünsche ein.‹«

»Mit uns sprechen sie über ihre Wünsche«
Eva-Maria, Krankenschwester und Hospizhelferin, Aachen


»Ich arbeite seit Jahren als Krankenschwester, zunächst auf einer Palliativstation, dann in der Onkologie und jetzt auf einer Schwerstpflegestation. Nebenbei arbeite ich ehrenamtlich bei der Aachener Hospizgruppe. Das Begleiten nach dem Tod ist in allen Bereichen völlig unterschiedlich. Während wir in der Klinik die Wünsche unserer Patienten meist kennen, werden wir als Hospizhelferinnen oft sehr spät gerufen und können nur versuchen, zusammen mit den Angehörigen das Richtige zu tun.

Auf der Palliativstation oder in der Onkologie war es für uns leichter. Die Patienten waren uns lange Zeit vorher bekannt und das Vertrauensverhältnis sehr groß. Dort sprachen die Patienten sehr offen mit uns über ihre Ängste und ihre Wünsche nach dem Tod. Das fällt vielen deutlich leichter als mit der Familie zu sprechen. Zu groß ist die Angst, jemanden mit dem Thema zu verletzen oder zu überfordern, weil der Tod über Jahrzehnte einfach aus dem Leben ausgeklammert wurde.«

»Man muss die Verschiedenheit der Leute achten«
Valerija Schmitz, Städtischer Bestattungsdienst Augsburg


»Ich bin jetzt seit 31 Jahren im Dienst. Wir hören oft, dass uns die Angehörigen vor allem deshalb rufen, weil in unserem Städtischen Bestattungsdienst nur Frauen arbeiten. Seit einigen Jahren beobachten wir den Trend, dass die Toten ein bisschen länger zu Hause gelassen werden. In Kliniken und Altenheimen ist das nicht so leicht möglich, dort heißt es nach dem Arztbesuch meist, wir brauchen den Platz, wir haben kein Zimmer mehr...