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2. Verdrängung und Aufarbeitung (S. 48-49)
2.1 „Unfähigkeit zu trauern" Die Verdrängung von Shoah und Porrajmos im Nachkriegsdeutschland
Entgegen vielen nachträglichen Schutzbehauptungen war die nationalsozialistische Judenverfolgung in ihren Grundzügen in Deutschland bekannt. Dies galt selbstverständlich auch für das Ausland. Doch obwohl die Regierungen und auch Medien der westlichen Länder über erstaunlich genaue Kenntnisse über den Juden- und Rassenmord der Nationalsozialisten verfügten, wurden diese Nachrichten, wenn schon nicht bewußt unterdrückt, so doch insgeheim angezweifelt und als weniger wichtig dargestellt. Derartiges wollte kaum jemand „wissen". Um so schockierter reagierten vor allem die Soldaten der westalliierten Armeen, als sie bei der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Berge von Leichen und damit die unumstößlichen Beweise dafür antrafen, daß „die Deutschen" nicht nur einen Angriffskrieg vom Zaum gebrochen, sondern ihn zugleich als beispiellosen „Rassenkrieg" geführt hatten.
Noch unter dem Eindruck dessen, was sie entweder selber (wie General Eisenhower) miterlebt oder auf Bildern und Filmen gesehen hatten, bereiteten die Sieger des Zweiten Weltkrieges den Nürnberger Prozeß gegen die „Hauptkriegsverbrecher" vor. Unter „Kriegsverbrechen" wurden die „Vorbereitung eines Angriffskriegs" und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verstanden. Darunter wurden sehr unterschiedliche Dinge subsumiert. Angefangen von der Erschießung von kriegsgefangenen alliierten Soldaten und andern Verstößen gegen die Haager Landkriegsordnung bis hin zu den Massenmorden an vornehmlich jüdischen Zivilisten hinter der Front und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Der Holocaust galt als „Kriegsverbrechen". Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daß er eine singuläre Bedeutung hatte oder gehabt haben soll, war den alliierten Anklägern und Richtern nicht bewußt.
Der Holocaust stand auch keineswegs im Mittelpunkt des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Dennoch hatten die alliierten Ermittler und Ankläger so viele Dokumente über ihn gesammelt und vorgelegt, daß es zunächst niemand wagte, seine Existenz zu leugnen. Selbst die Angeklagten des Nürnberger und der verschiedenen Nachfolgeprozesse versuchten dies nicht. Allerdings trachteten sie danach, die Verantwortung für die „NS-Verbrechen" (worunter keineswegs nur der Holocaust verstanden wurde) von sich auf andere abzuwälzen und mit dem Hinweis auf einen nicht existierenden Befehlsnotstand zu entschuldigen. In diesem Bestreben wurden sie sehr bald von großen Teilen der (west-) deutschen Öffentlichkeit unterstützt, die sich, angeführt von Repräsentanten der Kirchen und der alten Eliten aus Bürokratie, Wirtschaft und Wehrmacht für eine Beendigung der Prozesse und die Begnadigung der schon verurteilten Täter einsetzten. Das Interesse an dem Schicksal der Opfer nahm dagegen sukzessive ab.
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