Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit - Das schwere Erbe von Unrechts-Staaten

von: Ralf K. Wüstenberg, Michael Bongardt

Edition Ruprecht, 2010

ISBN: 9783767571327 , 198 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 30,00 EUR

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Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit - Das schwere Erbe von Unrechts-Staaten


 

Gibt es eine Politik der Versöhnung? Theologische Anmerkungen zu den Aufarbeitungsanstrengungen in Südafrika und Deutschland (S. 79-80)

Ralf Karolus

Wüstenberg Gibt es eine „Politik der Versöhnung“? In dieser Frage gingen und gehen die Ansichten in der politischen Debatte auseinander. Der anglikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu forderte in die Situation des gesellschaftlichen Aufbruchs in Südafrika hinein: „Ohne Vergebung gibt es keine Zukunft.“

Der ehemalige sächsische Justizminister Steffen Heitmann soll geäußert haben: „Für den gesellschaftlichen Integrationsprozess, den wir in Deutschland brauchen, ist der Begriff der Versöhnung nicht brauchbar.“ Um in der Leitfrage nach einer „Politik der Versöhnung“ weiterzukommen, bedarf es der genaueren Betrachtung der Erscheinungsformen politischer Versöhnung. Dazu sollen im Folgenden die Beispiele der politischen Umbrüche in Südafrika nach dem Ende der Apartheid und in Deutschland nach dem Ende der SEDDiktatur herangezogen werden.

Auf den Kausalzusammenhang zwischen dem Fall der Mauer und dem Ende der Apartheid hatte der Ex-Präsident Frederik de Klerk bereits in seiner Rede vom 2. Februar 1990 hingewiesen, in der er die Freilassung Nelson Mandelas ankündigte: Es sei fortan nicht mehr in gleicher Weise wie zuvor notwendig, sich vor dem Kommunismus zu schützen.

1. Erscheinungsformen politischer Versöhnung – Die Diskussion von Handlungsoptionen im Kontext Südafrika und Deutschland

Eine Analyse der Erscheinungsformen politischer Versöhnung führt zunächst zu der Frage nach den Ausgangsbedingungen für den Umgang mit Schuld in den beiden Kontexten. Vom Charakter des Systemwechsels hängen nämlich die Rationalitätskriterien für den Umgang mit der Vergangenheit ab.

In Anlehnung an globale Transformationsprozesse kann man drei Grundformen des Systemwechsels unterscheiden, nämlich Umsturz, Reform und politischer Kompromiss („overthrow, reform, compromise“5). Diese Grundtypen treten in realen politischen Prozessen in der Regel in Mischformen auf. Der südafrikanische Übergangsprozess, gekennzeichnet von symmetrischen Machtverhältnissen, lässt sich, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, am ehesten in die Kategorie politischer Kompromiss („compromise“) einordnen.

Der deutsche Transformationsprozess, gekennzeichnet durch asymmetrische Machtverhältnisse, würde sich im Spiegel internationaler Systemwechsel am ehesten in die Kategorie Umsturz („overthrow“) einordnen lassen, da sich das SED-Regime „bis zuletzt jeder Reform widersetzt“6 hat. Die Weichen für den Umgang mit der Vergangenheit stellen sich in Südafrika im Unterschied zu Deutschland langsam. Die entscheidenden Ereignisse fallen in den Zeitraum zwischen der Freilassung Nelson Mandelas am 11. Februar 1990 und seiner Vereidigung als erster Präsident eines demokratischen Südafrika am 10. Mai 1994.

In dem mehrjährigen Prozess werden Schritt für Schritt der alten Regierung Zugeständnisse abgerungen, die im Herbst 1993 in die erfolgreiche Aushandlung einer Übergangsverfassung münden und im Frühjahr 1994 die ersten freien Wahlen am Kap ermöglichen. Im Vergleich zu Südafrika werden die Weichen in Deutschland rasch gestellt.

Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 ist der weitere Weg vorgezeichnet: – Strafverfolgung der DDR-Regierungskriminalität, – Regelung für die Stasiakten, – Wiedergutmachung für die Opfer, sowie – Überprüfungen bei der Übernahme in den öffentlichen Dienst. In dem Katalog an Weichenstellungen spiegeln sich viele der prinzipiellen Handlungsoptionen, die einem Land beim Übergang zur Demokratie zur Verfügung stehen. Ergebnis des Rechts- und Politikwissenschaft übergreifenden international geführten Transformationsdiskurses7 ist die Systematisierung von fünf Handlungsoptionen: