Ich dachte immer, ich könnte fliegen - Das Leben der Ida Lüth

von: Hans-Uwe . Köhler

Gabal Verlag, 2010

ISBN: 9783862001217 , 160 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Ich dachte immer, ich könnte fliegen - Das Leben der Ida Lüth


 

11. Februar 1946 (S. 57-59)

Es war unglaublich! Der Krieg war doch erst wenige Monate vorbei, und hier auf der Vertens- Werft wurden Luxusmotorjachten für arabische Kunden gebaut! Ida Lüth kochte jeden Tag für die etwa 50 Arbeiter. Täglich um halb eins kamen sie in die Baracke, in der die Werksküche und der Speisesaal untergebracht waren. An der Essensausgabe bildete sich sofort eine Schlange. Die Arbeiter waren nicht nur hungrig, sie waren auch neugierig, denn neben der Essensration hofften sie alle, einen Blick auf Ida Lüth werfen zu können, obwohl das schwierig war, denn durch eine Holzblende war ihr Kopf halb verdeckt. Sie trug ihre blonden Haare, wie so viele Frauen in dieser Zeit, nach oben aufgesteckt.

Diese Frisur wurde spöttisch als »Entwarnung!« bezeichnet. Ida Lüth musste schnell arbeiten, schließlich sollten die Männer in nur einer halben Stunde das Essen entgegennehmen, verspeisen und die Teller zurückstellen. Die Männer nahmen sich von einem Stapel die Teller und stellten sich an. Mit einem aufmunternden Kommentar »Guten Appetit!« füllte sie das bisschen Essen auf. Die meisten hielten ihren Teller schnell und routiniert in die Essensausgabe.

Doch dann schob jemand seinen Teller mit einer vorsichtigen Bewegung über den Tresen. Er war neu unter den Arbeitern, ein eher kleiner Mann in den Resten einer Luftwaffenuniform – ein Flieger! Sie versuchte sein Gesicht zu sehen, beugte sich etwas tiefer als üblich und stellte fest, dass der Neue schwarze Haare mit Geheimratsecken hatte, eine sehr italienische Nase und schwarzbraune Augen. Als sie seine Hände sah, war sie überrascht.

Das waren zarte und feingliedrige Hände, wobei der rechte Zeigefinger eine deutliche Verletzung zeigte, die seitliche Kuppe fehlte. Bevor sie den neuen Arbeiter näher betrachten konnte, hatte ein anderer auf den Rücken des jungen Mannes geklopft und schob ihn mit den Worten voran: »Nu man to, ik will ok wat eten!« Als Feierabend war, versuchte sie einen Blick auf die Arbeiter zu werfen. Es war schon dunkel, und Schneegriesel erschwerte die Sicht zu der einzigen Laterne, die am Werfteingang baumelte und ein gelbes Licht streute. Die meisten Männer waren in Wehrmachtsmäntel gekleidet und gingen eilig davon. Sie konnte ihn nicht entdecken. Und sie wusste nicht, dass der neue Arbeiter acht Kilometer nach Schuby laufen musste, um zu seinem Quartier zu kommen.

3. März 1946

»Fräulein Ida, Sie hatten gestern Geburtstag! Herzlichen Glückwunsch und alles Gute! Ich habe Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht! « Auf einem kleinen Stück Brett, das als Abfall beim Innenausbau einer Jacht übrig geblieben war, hatte der ehemalige Flie ger einen Blumenstrauß gezeichnet. Das war aber nicht nur ein Blumenstrauß, sondern dieser wurde von einem jungen Mann überreicht, der in seiner karikaturistischen Art eben jenen Fähnrich zeigte, der sich dabei auch noch aus einem Flugzeug beugte! Es gab nichts. Und schon gar keine Blumen. Und dann kommt einer und malt auf ein Stück Holz, einfach so, mit einem Zimmermannsbleistift eine kleine Geschichte. Heinz-Werner Köhler hatte soeben ein Herz erobert.

Frühling 1946

Wann immer Ida Lüth mit diesem neuen Arbeiter sprach, wurde sie immer sicherer, seinem möglichen Werben nichts entgegensetzen zu wollen. Dieser Mann entsprach genau ihren Wünschen: kein Bauer, sondern ein intelligenter und gebildeter Mann, der feine Hände hatte und aus einer richtigen Stadt kam. Sie war sehr sicher, dass er nicht die Absicht haben würde, hier bei der Vertens-Werft zu bleiben. »Warum arbeitest du eigentlich hier auf der Werft?« »Es gibt für das Einbauen von Schiffsmotoren die meisten Lebensmittelmarken. So einfach ist das.«