Mobilisierung der Diaspora - Die moralische Ökonomie der Bürgerkriege in Sri Lanka und Eritrea

von: Katrin Radtke

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593407524 , 264 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 35,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mobilisierung der Diaspora - Die moralische Ökonomie der Bürgerkriege in Sri Lanka und Eritrea


 

8. Die transnationalen Mobilisierungsstrukturen der bewaffneten Gruppen und die politischen Gelegenheitsstrukturen der Gastländer In diesem Kapitel wird die organisatorische Seite des Mobilisierungsprozesses in den Blick gerückt. Es soll geklärt werden, welche Strukturen eine Mobilisierung der Diaspora möglich machen und wie sich Unterschiede zwischen den beiden bewaffneten Gruppen erklären lassen. Den Ausgangspunkt für die Bearbeitung dieser Fragen bietet die Forschung über soziale Bewegungen. Unter dem Begriff der Mobilisierungsstrukturen werden hier jene Gruppen, Organisationen und informellen Netzwerke in den Blick gerückt, die die kollektiven Bausteine von sozialen Bewegungen darstellen. In Anlehnung an die Erkenntnisse der Theorien sozialer Bewegungen wird in diesem Kapitel argumentiert, dass für die Ausdehnung der Mobilisierungsstrukturen bewaffneter Gruppen in den transnationalen Raum die bereits vorhandenen institutionellen Strukturen der Diaspora eine entscheidende Rolle spielen. Wie in den Fallbeispielen des vorangegangenen Kapitels deutlich wurde, drückt sich die moralische Ökonomie der Diaspora in Form von verschiedenen ethnischen Organisationen und informellen Netzwerken aus. An diese Institutionen können bewaffnete Gruppen nicht nur anknüpfen, sondern sie sind in vielen Fällen an ihrem Ausbau selbst beteiligt. Dies gilt insbesondere, wenn die Entstehung der Diaspora weitgehend mit dem Bürgerkrieg zusammenfällt. Gleichzeitig werden von den bewaffneten Gruppen jedoch auch hoch formalisierte Organisationen ausgebaut, die die Institutionen in der Diaspora stabilisieren. Während die Mobilisierung der tamilischen Diaspora zusehends über Organisationen ausgeführt wurde, die formal in keinem Zusammenhang mit der LTTE standen, trat die EPLF in der eritreischen Diaspora während des gesamten Krieges als wichtigste Organisation in Erscheinung. Die Zusammensetzung der Mobilisierungsstrukturen, d. h. die Frage, ob die Organisation der bewaffneten Gruppe oder formal unabhängige Organisationen überwiegen, hängt, so die These dieses Kapitels, entscheidend von den politischen Gelegenheitsstrukturen ab, die das Gastland bietet. Im Folgenden wird zunächst das aus der Forschung über soziale Bewegungen stammende Konzept der Mobilisierungsstrukturen vorgestellt. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend werden die beiden Fallstudien untersucht. Dabei wird insbesondere das Ineinandergreifen von formellen und informellen Teilstrukturen sowie von solchen, die der bewaffneten Gruppe zuzuordnen sind und solchen, die unabhängig von ihr bestehen, in den Blick gerückt. Im Fazit werden die eingangs vorgestellten Überlegungen zu den Mobilisierungsstrukturen sozialer Bewegungen vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Fallstudien reflektiert und im Hinblick auf den Sonderfall der bewaffneten Gruppen spezifiziert. 8.1.Mobilisierungsstrukturen und ethnische Kolonien In der Forschung über soziale Bewegungen besteht weitgehende Einigkeit über die Bedeutung von Mobilisierungsstrukturen für den Verlauf einer sozialen Bewegung (McAdam u.a. 1996: 2). Die Literatur zu Mobilisierungsstrukturen ist im Wesentlichen durch zwei theoretische Perspektiven inspiriert. Den wichtigsten Einfluss übt die von McCarthy/Zald (1973, 1977) entwickelte Theorie der Ressourcenmobilisierung aus. Auf der anderen Seite rückt auch das 'political process' Modell (Tilly u.a. 1975, Tilly 1978; McAdam 1999) Mobilisierungsstrukturen in den Blick. Beide Theoriestränge gehen davon aus, dass eine Bewegung bestimmte Ressourcen (z. B. Geld und Arbeit) benötigt, um handlungsfähig zu bleiben. Die Aggregation von Ressourcen erfordert jedoch die Entwicklung formaler Organisationen. Die Bedeutung dieser so genannten 'Social Movement Organisations' (SMO) (McCarthy/Zald 1977: 1216) wird besonders im Ressourcenmobilisierungsansatz hervorgehoben. McAdam (1999: 44) auf der anderen Seite hebt die Bedeutung einer in der aufgebrachten Bevölkerungsgruppe bereits vorhandenen Infrastruktur hervor, die benutzt werden kann, um Teile dieser Bevölkerung in eine organisierte Kampagne von politischem Massenhandeln einzubinden (vgl. auch Freeman 1973). Unter Mobilisierungsstrukturen werden daher in Anlehnung an McAdam, McCarthy und Zald (1996: 3) verstanden: 'those collective vehicles, informal as well as formal, through which people mobilize and engage in collective action'. Aus der Perspektive der Mobilisierungsstrukturen werden meso-level Gruppen, Organisationen und informelle Netzwerke in den Blick gerückt. Neben den so genannten 'Social Movement Organisations' (SMOs) können sie Aktivisten-Netzwerke, Freundschaftsnetzwerke, Nachbarschaft, Arbeitsnetzwerke, Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbände und andere umfassen. In dem Versuch, die empirischen Muster von Mobilisierungsstrukturen in kohärente Konfigurationen zu aggregieren schlägt McCarthy (1996: 145) vor, Mobilisierungsstrukturen nach ihrem Grad der Formalisierung und Zentralisierung sowie durch ihr formales Engagement in der Bewegung voneinander zu unterscheiden. An dem am wenigsten formalisierten Ende des Kontinuums und unabhängig von der Bewegung stehen Familien und Freundschaftsnetzwerke sowie Netzwerke, die im Arbeitszusammenhang entstehen. Ebenfalls informell organisiert, jedoch formal der sozialen Bewegung zuzuordnen, sind Aktivistennetzwerke und so genannte 'Erinnerungsgemeinschaften' (Woliver 1993). Auf der formellen Seite der Mobilisierungsstrukturen, jedoch nicht direkt der Bewegung zuzuordnen, stehen beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Berufsverbände. Schließlich lässt sich noch eine große Vielfalt unterschiedlicher formeller Organisationen unterscheiden, die der sozialen Bewegung direkt zugehören. Dazu zählen auf der einen Seite die Bewegungsorganisationen in ihren unterschiedlichen institutionellen Formen. Angefangen mit unabhängigen lokalen auf ehrenamtlicher Arbeit beruhenden Gruppen, bis zur nationalen professionellen Organisationen (McCarthy 1996: 142 ff).