Gesundheit - Lernen - Kreativität - Alexander-Technik, Eutonie Gerda Alexander und Feldenkrais als Methoden zur Gestaltung somatopsychischer Lernprozesse

von: Wolfgang Steinmüller, Karin Schaefer, Michael Fortwängler

Hogrefe AG, 2009

ISBN: 9783456947273 , 268 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 17,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Gesundheit - Lernen - Kreativität - Alexander-Technik, Eutonie Gerda Alexander und Feldenkrais als Methoden zur Gestaltung somatopsychischer Lernprozesse


 

Künstlerische Dimensionen und Anwendungsmöglichkeiten (S. 173-174)

Irene Sieben

Zum Kunstbegriff

Kunst, Kreativität und kinästhetisches Lernen scheinen einander so verwandt wie der Puls des arteriellen Blutes dem Pochen afrikanischer Trommeln. Der Künstler als Meister von Licht und Schatten, Raum und Zeit, als Schöpfer von Bewegung und Stille flieht permanent den Stillstand, die Statik, die Starre. Er sucht nach dem Geheimnis Leben: Bewegung, Veränderung, Wandel. Er transformiert Materie, materialisiert Gedanken. Die Transparenz, Durchlässigkeit und Wandlungsfähigkeit des Körpers im Tanz, seine Öffnung zum Resonanzraum für eine künstlerische Aussage beim Singen, sein Einssein mit einem Text und Charakter beim Schauspiel, sein Verschmelzen mit einem Musikinstrument oder mit bildnerischem Material wie Ton, Stein, Farbe legt den Vergleich nahe, der Körper selbst müsse wie ein Instrument gestimmt werden. Ein Instrument freilich mit Geist, Gefühl, Gespür, Gedankenkraft.

Die psycho-physische Einheit, von der F. M. Alexander spricht. Bewusstheit und Achtsamkeit sind Schlüssel für die Verfeinerung menschlicher Fähigkeiten, wie sie in den Künsten notwendig sind. Sie zu erlangen, dazu ist intelligentes Lernen unerlässlich. So wie es die Forscherinnen und Forscher auf dem unendlich weiten Terrain der Selbstentfaltung des Menschen unabhängig voneinander, aber aneinander interessiert vorschlugen, ohne selbst je mit dem neugierigen Lernen aufzuhören. Sie lebten und bewiesen die Untrennbarkeit von Körper, Geist, Denken, Fühlen und Handeln. Es scheint, als hätten die Reisenden in die Tiefe des menschlichen Potentials Künstler damit magnetisch angezogen.

Vielleicht, weil einige selbst Künstler waren oder durch ihr achtsames Tun unter den erweiterten Kunstbegriff fielen, im Sinne des Philosophen und Reformpädagogen John Dewey, der der Erfahrung selbst einen ästhetischen Wert verlieh und sie damit zur Kunst erhob. Zuviel stört Die Kunst des Bildhauens bestehe vor allem darin, Überflüssiges wegzunehmen. Michelangelo sagte damit nicht nur Wesentliches über sein eigenes Werk aus, sondern zugleich über das Kunstwerk schlechthin, über zweckmäßiges Handeln, die Ökonomie von Bewegung.

Jedes Zuviel an Stein, Klang, Gestik, Spannung, Farbe übertönt die Grundidee, verhindert die Transformation. Peter Brook, einer der Väter des modernen europäischen Theaters, vermutet: «Ein großer Teil unserer übermäßigen, unnötigen Entäußerungen rührt von der Horrorvorstellung her, wir würden, wenn wir nicht ständig irgendwie signalisieren, dass wir existieren, auf einmal nicht mehr da sein.» Im Theater sei die Erkenntnis wichtig, «dass man völlig ‹da› sein kann, auch wenn man anscheinend nichts ‹tut›» (Brook 1994, S. 35).

Der Komponist György Kurtág möchte «mit möglichst wenig Tönen so viel wie möglich sagen, und es so dicht als möglich sagen.» Aber wie ist das möglich? Durch Reduktion. Es gilt zu erkennen, was überflüssig ist – im Denken und im Tun, denn «jeder Muskel, der nicht nützt, hindert», so die Bewegungsforscherin Bonnie Bainbridge Cohen. «Parasitäre Bewegungen» nennt Moshé Feldenkrais die Störfaktoren eines fließenden Ablaufs. Für einen Musiker oder Tänzer haben sie schwerwiegende Folgen. Sie hemmen die Vervollkommnung einer Technik und verengen den Erlebnisraum, den Empfindungsreichtum in ästhetische Dimensionen hinein.