Erfahrungen des Heiligen - Religion lernen und lehren

von: Helga Kohler-Spiegel

Kösel, 2009

ISBN: 9783641036171 , 176 Seiten

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Erfahrungen des Heiligen - Religion lernen und lehren


 

Eingangstext

Seit meiner Kindheit

Seit meiner Kindheit
bin ich den Menschen auf der Spur.
Ich fragte viel.
Ich blieb sitzen, wo viele gingen.
Ich lasse die Menschen nicht aus den Augen.
Seit meiner Kindheit
bin ich den Menschen auf den Fersen.
Auf diesem Weg hab ich
viel von Gott entdeckt.

Vorbemerkung
Vielleicht denken Sie beim Lesen dieses Buches manchmal: »Das ist wie bei mir, das kenne ich. Dieses Beispiel, das könnte ich sein ...« Ich kann Ihnen versichern, es sind keine konkreten Einzelpersonen in den Beispielen beschrieben. Es sind zu Szenen verbundene Situationen aus unterschiedlichen Kontexten, die zusammen gesehen und gebündelt wiederum Szenen ergeben, die sich erzählen lassen, weil sie nicht mehr von einer konkreten Person handeln, sondern von dem, was Menschen, vielleicht Sie, vielleicht ich, in bestimmten Situationen erleben - und insofern hoffe ich, dass Sie beim Lesen manchmal denken: »Dieses Beispiel, das könnte ich sein .«
Ich wünsche Ihnen gute Begegnungen mit sich und gute Erfahrungen mit dem »Heiligen«.

Dem Heiligen auf der Spur

Hinführung

Wie spatzen sind meine wünsche
freche unmusikalische vögel
oft habe ich sie weggescheucht
auch den einen oder anderen zu boden getroffen
mit meiner analytischen schleuder
und mir einfach vorgenommen
ohne spatzen zu leben
in einem wohnschacht zum beispiel
hell erleuchtet gar nicht besonders schmutzig
hübsche sachen zum aussuchen und einwickeln
finde ich dort die trag ich
von einem ende der u-bahnstation
zum andern
warum nicht gleichmäßig mein leben zubringen
ohne die störenfriede
arglos kommen sie wieder
suchen mich auf und besetzen das land
wie oft habe ich sie weggescheucht
freche unmusikalische vögel
wie spatzen ihr meine wünsche

Dorothee Solle
»Wie spatzen ihr meine wünsche...« - Es ist in unserer Kultur gut möglich, »gleichmäßig das leben zuzubringen«, ohne Störenfriede, ohne innere Sehnsucht wahrzunehmen. Es ist in unserer Kultur gut möglich, auch ohne Religiosität, ohne Spiritualität, ohne Transzendenz - »ohne Spatzen« zu leben. Und doch gibt es Momente, in denen eine Dimension spürbar wird, die faszinierend ist, oft schwer zu benennen, eine Begegnung vielleicht, in der es um dich und um mich geht, in der ich erkannt werde, in der ich dich wirklich wahrnehme, ein Erlebnis von Versöhnung, oder ein Abschied, der traurig und verzweifelt und dankbar zugleich macht. Wir haben manchmal alte Worte, die diese Dimension erfassen sollen, »Gnade« zum Beispiel, oder »Schuld«, auch »Liebe«, irgendwie etwas »Heiliges«.

Mich interessiert, wie dieses »Heilige« erfahrbar ist, wie dieses »Heilige« präsent ist in einer Welt, die - wie gesagt - auch ohne »Heiliges« funktioniert, in der Menschen ohne »Heiliges« leben können. Mich interessiert, was sich verändert - in meinem Leben, in meinem Handeln, in meinem Denken, in meinem Empfinden -, wenn ich mit dem »Heiligen« rechne. Und mich interessiert auch, wie ich das denken kann, ohne meine aufgeklärte Vernunft zu missachten, wie ich das erfahren kann, auch wenn es vor der aufgeklärten Vernunft manchmal schwer einzuordnen ist. Die Gegenwart ermöglicht ein »Sowohl-als-auch«, vielleicht ist es gegenwärtig auch gefordert, diese Spannung auszubalancieren, auszuhalten. Beides ist möglich, kritisch bewusst und zugleich »fromm« zu sein. In der Musik, in der Kunst, in der Natur, im Versunkensein, im Lesen und Nachdenken . - wenn ich ganz bei mir bin, kann ich ganz in »Andacht« sein, um das alte Wort zu nutzen. In einer Ordnung, in einem Rhythmus aufgehoben sein, auch wenn heute
Rhythmisierungen von Zeit verloren gehen und gemeinsame Rhythmen weniger werden, - wir können uns am eigenen Rhythmus orientieren: meine eigene Tagesgestaltung, meine Wochenend-, meine Sonntagsgestaltung. Mir ist wichtig, den eigenen Rhythmus zu finden, in einer, in meiner »Ordnung« aufgehoben zu sein.

»Heilig« - ein paar Stichworte geben uns eine Spur zum Verstehen: Im Hebräischen meint die Wortwurzel »q-d-sch« »getrennt sein«, »anders sein«. Gelesen als »qadosch« wird das Wort übersetzt mit »heilig« und beschreibt »das Besondere«. Im 3. Buch Mose, im Buch Levitikus 19,2, ist Israel gerufen: »Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin Ich, der Ewige, euer Gott.« »Kiddusch« - Segen, Heiligung geschieht in jedem jüdischen Gottesdienst. Und bei der jüdischen Hochzeit wird die Zeremonie des Ansteckens des Hochzeitsrings als »kidduschin« bezeichnet: »Heiligung«, weil Braut und Bräutigam einander »etwas Besonderes« sind. Der Begriff kann differenziert werden, doch eine gemeinsame Definition, wo sich »das Heilige« zeigt, eine Verbindlichkeit in Wahrnehmung, Definition und Ausdruck des Religiösen ist verloren, sie gilt - wenn überhaupt - für Teilgruppen. Darin liegt viel Freiraum und Freiheit. Diese Pluralisierung erlaubt eine selbstverständliche Vielfalt, sie erlaubt Auswahl und verlangt Entscheidung.
Präsenz des »Heiligen« - es ist lohnend, diesem »Heiligen« auf die Spur zu kommen, etwas zu entdecken, was - in anderer Form - sehr wohl immer wieder da ist, Momente von »Andacht«, von »Ergriffensein«. Sie sind lohnend - diese Momente, in denen wir eine Dimension über uns selbst hinaus erahnen, in denen wir erleben, berührt und begleitet zu sein. Vermutlich gibt es diese Momente auch in Ihrer Erfahrung? Wenn Sie in Ihrem Alltag berührt sind von einem Hauch, einer Spur von Glück und Liebe und Gnade ... Wenn Sie dem begegnen, was von vielen Menschen »Gott« genannt wird ... Wenn für einen Moment spürbar wird, dass Zuwendung ein Geschenk ist: Nicht-verdient ist es einfach da, das Gefühl, da mag mich jemand wirklich ... Vielleicht gibt es solche Momente, in denen bewusst wird, dass viel Wichtiges im Leben nicht selbst erarbeitet und verdient ist - ein Lächeln, ein unerwarteter Anruf und die Nachfrage »Wie geht es dir?«.