Die Welt des Baedeker - Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830-1945

von: Susanne Müller

Campus Verlag, 2012

ISBN: 9783593417103 , 354 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 30,99 EUR

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Die Welt des Baedeker - Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830-1945


 

Es ist nur eine kurze Reise - von Mainz nach Köln; 180 Kilometer weit, 378 Buchseiten lang. Autor der 1828 im Koblenzer Verlagshaus Röhling erschienenen Rheinreise von Mainz bis Köln ist der Koblenzer Gymnasiallehrer Johann August Klein. Es ist unwahrscheinlich, dass die Menschheit gerade auf dieses Buch gewartet hat, denn im Wesentlichen unterscheidet es sich kaum von anderen zeitgenössischen Abhandlungen über das Rheinland. Es mag etwas handlicher sein als Aloys Schreibers Anleitung auf die nützlichste und genußvollste Art den Rhein [...] zu bereisen, doch seine Aufmachung ist bei weitem nicht so spektakulär wie Friedrich Wilhelm Delkeskamps Rhein­panorama von 1825. Auch sind die beigefügten Ansichten vom Mittelrhein nicht so pittoresk und farbenfroh wie die 1822 erschienen Kupferstiche in den Rheingegenden von Mainz bis Cöln des Malers Christian Georg Schütz. Eine Besonderheit weist das Buch allerdings auf: Im Innenumschlag trägt es den Titelzusatz Ein Handbuch für Schnellreisende - eine eilige Reaktion des Röhling-Verlags auf den seit 1827 stattfindenden Linienverkehr der Preußisch-Rheinischen Dampfschifffahrtgesellschaft. Wie eigentlich jede Rheinbeschreibung dieser Zeit verkauft sich das Buch außerordentlich gut. Das entgeht auch dem jungen Buchhändler Karl Baedeker nicht, der das Buch in seiner Sortimentsbuchhandlung am Koblenzer Paradeplatz führt. Als der Röhling-Verlag Konkurs anmeldet, kauft Baedeker 1832 die Rechte an dem Buch des inzwischen verstorbenen Johann August Klein und überarbeitet es für eine Neuauflage. Diese erscheint 1835 und bildet den Ausgangspunkt für eine der größten verlegerischen Erfolgsgeschichten im deutschsprachigen Raum. Das Buch bildet gleichsam den Ausgangspunkt für diese Geschichte des Reiseführers, die man vieldeutig auch eine Reise nach Baedeker nennen kann. Natürlich handelt es sich bei der vorliegenden Studie um kein Reisehandbuch, dennoch beschreibt sie ein Unterwegssein - im Raum wie in der Zeit. Die Reise führt in die expandierenden europäischen Großstädte, in die Bergwelt der Alpen und durch vornehmlich deutsche Landschaften. Insbesondere durch die, wie es immer wieder heißt, schönste Landschaft von allen: das Rheinland. Gereist wird zu Fuß und mit der Pferdekutsche - vor allem aber mit den neuen Verkehrsmitteln des 19. Jahrhunderts, dem Dampfschiff und der Eisenbahn. Später werden Fahrräder und Automobile, ja sogar Luftschiffe und Flugzeuge bestiegen. Gereist wird auch durch die Zeit. Die Reise beginnt am Vorabend des Tourismus und endet um 1945. Doch obwohl das Medium Reisehandbuch nach dem Zweiten Weltkrieg einen Aufschwung erlebt, ist die große Zeit des Baedekers, der für diese Mediengeschichte fast immer beispielgebend sein wird, nach 1945 abgelaufen. Der Mythos von der Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit des Buches ist nicht mehr glaubwürdig, der klassische bürgerliche Reisende gehört der Vergangenheit an. Die Reise nach Baedeker muss, wenn sie auf die entscheidenden Fragen zum Reisehandbuch eine Antwort finden will, auch eine Reise durch beinahe zwei Jahrhunderte Kulturgeschichte sein. Man kann die Geschichte eines Mediums nur erzählen, wenn man sich den Aspekten zuwendet, die seinen Erfolg bedingen und tragen. Das können soziale oder politische Umstände sein, aber auch technische Errungenschaften, andere Medien im weitesten Sinne und natürlich die Menschen, die das Reisehandbuch benutzen. Somit handelt es sich auch um eine Reise zu den Wünschen und Träumen der Menschen; der Menschen nämlich, die den Baedeker lesen, um sich von der Welt ein Bild zu machen, die - von der Kulturkritik verhöhnt - von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen, aber auch derjenigen, die den Baedeker zu Hause lesen, auf dem Sofa sitzend, von der Ferne träumend, wohlwissend, dass sie die vertraute Heimat nie verlassen werden. So oder so: Die Reise nach Baedeker ist eine Geschichte der Sehnsucht und der Seh-Sucht. Am Ende steht das Ziel, einem Medium näher zu kommen, seine Entwicklung zu verfolgen, sein Wesen zu konturieren und die Gründe für seinen Erfolg zu finden. Ein solches Vorhaben kann nur gelingen, wenn es sich einschränkt. Damit ist nicht nur die bereits erwähnte Tatsache gemeint, dass diese Reiseführergeschichte mit dem Zweiten Weltkrieg enden wird. Sie bezieht sich auch vornehmlich auf die Reisehandbücher aus dem Baedeker-Verlag. Der Grund für die Wahl liegt nicht nur im unbestreitbaren bibliophilen Wert der roten Bücher und der Tatsache, dass es sich wohl um die berühmtesten Reisehandbücher überhaupt handelt, sondern vor allem in der bis heute andauernden lückenlosen Erscheinungsweise. Zudem liegen dieser Studie einige methodische Besonderheiten zugrunde, die im Folgenden kurz umrissen werden.