Weltnaturschutz - Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920-1950

von: Anna-Katharina Wöbse

Campus Verlag, 2012

ISBN: 9783593411446 , 364 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 41,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Weltnaturschutz - Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920-1950


 

1. Einleitung: Die Erde als Gemeinschaftsraum Beim Durchblättern eines vergilbten und etwas zerfledderten 'Volksbuches' über das Werden, Wesen und Wirken des Völkerbundes aus dem Jahre 1930 stieß ich auf eine seltsam anrührende Illustration, die den Gemeinschaftsraum Erde visuell auf den Punkt zu bringen versuchte. Ein auf Wolken gebetteter Planet war dort zu sehen, freundlich gewärmt und sanft beleuchtet von der aufgehenden Sonne der Völkergemeinschaft. Es war die verblüffende Zukunftsvision einer besseren und friedlicheren Welt. Verblüffend deshalb, weil sie wie eine Vorläuferin der Ikone des ?Blauen Planeten? wirkte, eine visuelle Vorwegnahme um mehrere Dekaden: Erst 40 Jahre später sollte eine Weltall-Fotografie der Erde zum Symbol einer bedrohten Umwelt und zum Medium 'für alle Arten von globalem Bewusstsein' werden. Der ökologische Subtext, den wir heute mit dem Motiv Erdball verbinden, konnte den Urhebern dieser frühen Version nicht bewusst sein. Und dennoch birgt es eine spannende umwelthistorische Spur. Denn hätte man sich damals interaktiv an diese Illustration heranzoomen können, um dort mit Links, Netzwerken und Zusatzdaten versorgt zu werden, wäre man auf erstaunlich ?grüne? Visionen gestoßen, über die damals im Völkerbundsitz in Genf diskutiert wurde. Der Begriff des 'Weltnaturschutzes' machte die Runde. Es war die Rede von der Solidarität mit gejagten Walen, von gerechter Nutzung der Rohstoffe und vom endgültigen Stopp der Öleinleitungen in die Meere. Tiertransporte ohne Qual lautete eine der Forderungen, grenzübergreifende Naturreservate eine andere. Die Appelle zum weltweiten Schutz von Naturschönheit und zum Aufbau eines gemeinsamen Managementsystems waren Auslöser teils kontrovers geführter Debatten. Diese Visionen wurden verschriftlicht und erörtert, sie erreichten die Agenda des Völkerbundes und inspirierten Konventionen. Gewiss, Tiere, Pflanzen oder Lebensräume als Bedeutungsträger mit eigener ökologischer und historischer Dimension waren dem Völkerbund fremd. Die Bedeutung nichtmenschlicher Wirklichkeit und Phänomene war in Genf kaum politikrelevant. Wohl aber manifestiert sich in den Quellen, dass der Völkerbund Anlass sah, sich mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur auseinanderzusetzen. Als die Staatengemeinschaft in den 1920er-Jahren begann, ein neues Verständnis integraler Weltpolitik zu propagieren, kündigte sich an, dass aufgrund eines sich rasch ändernden Mensch-Natur-Verhältnisses Konflikte zu bewältigen sein würden. Sie wurden zum Gegenstand diplomatischer Aushandlungen. Der Völkerbund spielte eine wichtige Rolle als Austragungsort der ersten Auseinandersetzungen, aus denen die heutige Umweltdiplomatie resultiert. Noch vor Aufnahme der offiziellen Geschäfte begannen hoch motivierte Freunde und Freundinnen der Natur 1919, dem Völkerbundsekretariat mit ihren Anliegen die Aufwartung zu machen. Die Affinität der international versierten Naturschützerinnen und Naturschützer zum Völkerbund kam nicht von ungefähr. Er diente nach dem Ersten Weltkrieg als Projektionsfläche für Weltverbesserungsideen aller Art. Die neue Diplomatie, die hier installiert werden sollte, so die Ursprungsidee, würde nicht nur die Beauftragten der nationalen Regierungen einbeziehen, sondern auch Akteure, die bisher kaum Einfluss auf die zwischenstaatliche Politik hatten nehmen können. Die kleine international orientierte Naturschutzszene versuchte, das neue Forum der Weltpolitik für sich zu nutzen - ein Hinweis darauf, dass die diplomatischen Verhandlungen über den Schutz von Natur schon in den Anfängen zivilgesellschaftlich geprägt waren. Diese Impulse stießen auf Expertengremien und eine Beamtenschaft, die sich nun auch mit der Nutzung der natürlichen Gemeingüter der Welt beschäftigten sollten. Der Völkerbund in Genf wurde zum Ort für die Konfiguration eines die Meere und Kontinente übergreifenden, grenzüberschreitenden Umweltregimes, das Prinzipien, Normen und Verfahren für den Umgang mit Natur mit dem Anspruch auf internationale Verbindlichkeit zu entwickeln begann. Gleichzeitig entspann sich zwischen den unterschiedlichen Akteuren, nämlich Regierungen, internationalen Institutionen, Individuen und informellen Zusammenschlüssen, eine Auseinandersetzung über gemeinsame, nachhaltig zu nutzende und zu schützende Räume und Güter, die sich in ihrer Vielfalt recht treffend mit dem heutigen Begriff der Global Environmental Governance beschreiben lässt. Zwar erzielten aus der Vielzahl anfänglich mit großem Enthusiasmus verfolgter Initiativen nur wenige unmittelbaren Erfolg. Wer aber nach Geschichte und Wirkungen großer Ideen sucht, kommt nicht umhin, zu untersuchen, wie sie sich im Räderwerk der Realpolitik aufspalteten. Es wird schnell klar, dass von den vollmundig vorgebrachten Verheißungen nur wenige diese Prozedur überlebten. Der Völkerbund betrieb jedoch nicht nur internationale Umweltdiplomatie, sondern schuf auch eine entsprechende bürokratische Infrastruktur. Für die Historikerin bedeutet das, dass sie den Akteuren und ihren oft hoch motivierten Projekten durch die Mühlen trockener Verwaltungsvorgänge folgen muss, um diese Projekte am Ende in aller Regel verhältnismäßig entstellt und bar ihrer ursprünglichen Radikalität wiederzufinden. Es ist eine Forschungslandschaft, in der sich die historischen Akteure selten offen verhalten. Vielmehr müssen ihre Motive und Interessen aus einem Gestrüpp von Wiedervorlagen, Nachfragen, Erörterungen und nationalstaatlichem Kalkül freigelegt werden. Erst bei der Sezierung der dichten Lagen von Verwaltungsvorgängen kristallisieren sich die entscheidenden Auseinandersetzungen heraus, die für eine Nachhaltigkeit der Diskussionen sorgten.