Geteilte Moral - Die westliche Wertegemeinschaft und der Streit um den Dritten Golfkrieg

von: Andreas Göttlich

Campus Verlag, 2012

ISBN: 9783593417059 , 376 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 41,99 EUR

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Geteilte Moral - Die westliche Wertegemeinschaft und der Streit um den Dritten Golfkrieg


 

Am 20. März 2003 begann mit dem Angriff alliierter Truppen auf den Irak der Dritte Golfkrieg - ein Ereignis von geopolitischer Bedeutung, dessen Nachwirkungen bis zum heutigen Tag andauern. Der militärische Konflikt war Folge einer politischen Auseinandersetzung, die sich an der vermuteten Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak entzündet hatte, mit denen der dortige Machthaber Saddam Hussein seine Nachbarstaaten hätte bedrohen können. War diese Angelegenheit über mehrere Jahre Gegenstand zahlreicher Debatten im UN-Sicherheitsrat, so ging die Initiative zu einem militärischen Vorgehen gegen den Irak von der damaligen US-Regierung unter Präsident George W. Bush aus, die von einer Gefährdung der eigenen Nation beziehungsweise des Westens im Gesamten ausging, insofern nachrichtendienstliche Informationen angeblich auf eine Verbindung hinwiesen zwischen der Hussein-Regierung und islamistischen Terrorgruppen, die in den Jahren zuvor verschiedentlich US-amerikanische Ziele attackiert hatten. Der Krieg endete nach nur wenigen Wochen mit einer Niederlage des Irak, Saddam Hussein wurde gestürzt und an seiner Stelle eine Übergangsregierung installiert. Diese wurde zu Beginn des Jahres 2005 von einer vom irakischen Volk gewählten Regierung abgelöst, später im gleichen Jahr erhielt das Land eine demokratische Verfassung. Die Besatzung gilt seit Juni 2004 offiziell als beendet; die letzten US-Kampftruppen verließen indes erst Ende des Jahres 2012 den Irak.

Aufgrund seiner Bedeutung bleibt der Dritte Golfkrieg auch Jahre nach seiner Beendigung Gegenstand öffentlicher Debatten, vor allen Dingen im Bereich der Politik. In der jüngeren Vergangenheit boten etwa der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf (2008) oder der deutsche Bundestagswahlkampf (2009) Anlässe zur Thematisierung seiner Folgen. Doch auch in der wissenschaftlichen Diskussion war und ist der Irak-Krieg Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, fächerübergreifend über verschiedene Disziplinen hinweg. Dementsprechend facettenreich gestaltet sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, zu der die vorliegende Studie ihren Beitrag leisten möchte.

Angesichts dieser bereits bestehenden Forschungsarbeiten mag der Leser fragen: Weshalb eine weitere Untersuchung des Dritten Golfkrieges? Die Antwort liegt im spezifischen Erkenntnisinteresse, das mit einem bestimmten Erklärungsansatz verknüpft ist. Die Studie beschäftigt sich nicht mit dem Krieg als solchem, sondern mit dem im Westen geführten Diskurs über den Militäreinsatz, und sie greift hierbei ein einzelnes Moment heraus: die Frage nach der moralischen Legitimität. Die entsprechende Debatte fand in den Wochen und Monaten vor Kriegsbeginn beziehungsweise in der Zeit kurz danach ihren Höhepunkt und bleibt bis heute unentschieden. Zwischen den westlichen Nationen, aber auch innerhalb derselben besteht nach wie vor kein Konsens über die Frage, ob der Angriff auf den Irak moralisch gerechtfertigt war oder nicht. Dies ist insofern bemerkenswert, als sich 'der Westen' vor allem anderen als eine Wertegemeinschaft versteht, insofern er also seine Zusammengehörigkeit von einer geteilten Menge von Wertvorstellungen herleitet. Wie ist es angesichts dessen zu erklären, dass innerhalb der sogenannten 'westlichen Wertegemeinschaft' ein und dasselbe Ereignis mit Bezug auf seine moralische Dimension diametral entgegengesetzt beurteilt wurde?

Das Forschungsziel besteht darin, eine Erklärung für den anhaltenden Widerspruch zwischen Befürwortern und Gegnern des Irak-Krieges zu finden. Hierbei setzt sich die Studie in zweierlei Hinsicht von der Mehrzahl der bestehenden Arbeiten ab: Sie intendiert erstens keine eigene Antwort auf die Frage, ob der militärische Einsatz im Irak moralisch legitim war oder nicht, sondern sie will die Antworten, die in der politischen Realität gegeben wurden, deskriptiv erfassen sowie wissenschaftlich erklären. Im Hinblick auf letzteren Anspruch ist die Grundannahme forschungsleitend, dass der Gegensatz zwischen den kontroversen Beurteilungen auf soziale Faktoren zurückzuführen ist, welche zwischen Kriegsgegnern und -befürwortern differieren und die Urteilsfindung maßgeblich beeinflussten. Somit nimmt die Arbeit zweitens einen spezifisch wissenssoziologischen Blickwinkel ein, indem sie die im Zuge der Legitimationsdebatte angeführten Argumentationen und Sichtweisen in Abhängigkeit vom sozialen Standort ihrer Träger untersucht. Hiermit verbindet sich die zusätzliche Annahme, dass moralische Urteile in der sozialen Praxis stets mit nichtmoralischen Momenten verknüpft sind und nur in dieser Verflochtenheit angemessen erklärt werden können. In der Kombination setzen der ausdrückliche Verzicht auf eine wertende Stellungnahme sowie der wissenssoziologische Erklärungsansatz die vorliegende Studie vom Mainstream der vorhandenen Literatur zum Thema ab.