Blutige Strandhochzeit. Ostfrieslandkrimi

Blutige Strandhochzeit. Ostfrieslandkrimi

von: Dörte Jensen

Klarant, 2020

ISBN: 9783965862265 , 200 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Blutige Strandhochzeit. Ostfrieslandkrimi


 

Strandhochzeit


 

Norderney, August

 

»Ist die Aussicht nicht traumhaft?« Die Schauspielerin Henrike Sattler stand am Fenster ihres Zimmers in der Pension Friesenbrise und deutete auf die Nordsee, deren Wellen sich an diesem lauen Sommerabend am Strand brachen. Die untergehende Sonne zauberte ein farbenfrohes Gemälde an den Himmel, dessen Pracht kein Maler auf eine Leinwand bannen konnte. Selbst eine meisterhafte Fotografie wirkte wie die billige Kopie dieses faszinierenden Naturschauspiels.

»Eine perfekte Nacht für eine Hochzeit«, mutmaßte ihre Freundin Ricarda Albers.

»Ich bin schon ganz aufgeregt.« Henrike strich sich eine Strähne ihres rotblonden Haares aus dem Gesicht. »Eine Mitternachtstrauung habe ich noch nie erlebt.«

»Wo bleibt ihr denn? Wir wollten doch längst am Strand sein.«

Ricarda drehte sich zu der Modedesignerin Wiebke Dierksen um, die in das Zimmer gekommen war. Die Muster ihres figurbetonten Kleides schienen sich je nach Betrachtungswinkel und Lichteinfluss zu verändern. Auch Henrike und sie trugen an diesem festlichen Tag Kleider aus der neuen Kollektion der Edition Federkleid, die ihre Freundin entworfen hatte. Henrike schloss das Fenster und zog den Vorhang zu. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel richtete sie sich die Haare und griff nach ihrer Handtasche.

Wenige Minuten später verließen die Freundinnen die Pension und gingen über die Kaiserstraße Richtung Milchbar. Von dort aus folgten sie der Strandpromenade bis zum Weststrand, an dem die Feierlichkeiten stattfinden sollten. Schon von Weitem konnten sie die weißen Partyzelte sehen, die am Strand aufgebaut worden waren. Etwa siebzig Hochzeitsgäste flanierten zwischen ihnen hindurch. Die Flammen der im Sand steckenden Fackeln flackerten in einer lauen Abendbrise und ließen in der einsetzenden Dunkelheit Schatten auf dem Sand tanzen.

»Sieht das nicht toll aus?«, schwärmte Wiebke und deutete auf den festlich geschmückten Strandabschnitt.

»Das ist unglaublich romantisch«, stimmte Henrike zu, bevor sie fortfuhr: »Ich freue mich so für Elske. Mit Achim hat sie endlich die Liebe ihres Lebens gefunden.«

»Der Kerl ist wirklich eine Sahneschnitte.« Ricarda deutete auf einen Mann, der die meisten Gäste mit seinen fast zwei Metern Körpergröße überragte und einem Modemagazin entsprungen zu sein schien. Obwohl er seine Hosenbeine hochgekrempelt hatte und barfuß durch den Sand lief, strahlte er eine würdevolle Eleganz aus. »Zudem sieht er nicht nur verdammt gut aus, sondern verfügt als Inhaber des Friesenwerks auch über ein beachtliches Vermögen. In der letzten Woche hat er einen riesigen Auftrag an Land gezogen.«

»Du bist aber gut informiert«, stichelte Wiebke. »Weiß Joost, dass du anderen Männern hinterherspionierst?«

»Ich spioniere nicht, sondern halte mich nur auf dem Laufenden. Zudem muss der Kommissar nicht alles wissen.« Ricarda grinste.

»Hört ihr die Musik? Sie spielen White Wedding von Billy Idol. Das ist einer meiner Lieblingssongs.« Die Schauspielerin bewegte sich im Takt der Musik. »Mädels, in dieser Nacht will ich barfuß im Nordseesand tanzen.«

»Da vorne ist die Braut.«

Die Freundinnen folgten Wiebkes Fingerzeig und betrachteten eine Frau in einem weißen Kleid, das ihre Rundungen sanft umschmeichelte. Die Hände steckten in langen, dünnen Handschuhen. Auf dem Kopf trug sie einen Hut, ein Schleier verdeckte ihr Gesicht. Als der Bräutigam seine Zukünftige in die Arme zog, lachte sie auf. Die glücklichen Laute verschmolzen mit der Musik und dem Rauschen der Brandung zur Melodie einer unbändigen Lebensfreude.

»Das Hochzeitskleid ist fantastisch«, stellte die Modedesignerin fachmännisch fest.

»Es ist ein Unikat. Achim hat es bei der Emder Schneiderei Küstengarn extra für Elske anfertigen lassen.«

»Ricarda, woher weißt du das alles?«, fragte Henrike.

»Ich war vor drei Tagen beim Friseur. In den Klatschblättern wurde ausführlich über die Trennung von seiner langjährigen Freundin und der bevorstehenden Hochzeit berichtet.«

»Ich wusste gar nicht, dass der Bräutigam ein Promi ist.« Wiebke musterte den großgewachsenen Mann.

»Er steht erst seit der Firmenübernahme im Rampenlicht. Seine Tante Marita war in den neunziger Jahren ein richtiges It-Girl und ständig in den Klatschblättern, weil ihr Affären mit Filmstars und Musikern nachgesagt wurden. Damals war die Anwältin eine hinreißende Schönheit mit einer Vorliebe für lange Kleider und Schlaghosen. Meines Wissens gibt es kein Bild, das sie im Minirock oder in knappen Shorts zeigt. Dafür sind ihre Dekolletés oft sehr gewagt.«

»Weshalb zeigt sie ihre Beine nicht?« Wiebke runzelte die Stirn.

»Keine Ahnung.« Henrike zuckte mit den Schultern und sah Ricarda an.

»Gerüchten zufolge hat sie sich als Jugendliche geritzt und will ihre Narben nicht zeigen. Selbst wenn das nicht stimmen sollte, hat sie inzwischen wahrscheinlich Krampfadern.« Ricarda grinste, bevor sie fortfuhr: »Anfang der Nullerjahre hat sie einen Schlagerfuzzi geheiratet und ist mit ihm nach Ibiza gezogen. Dort hat Marita das Jetset-Leben in vollen Zügen genossen. Anscheinend ist sie eine der Frauen, die ständig im Mittelpunkt stehen müssen. Nach der Scheidung hat sie ihren Mädchennamen wieder angenommen und ist mit ihrer Tochter an die Nordseeküste zurückgekehrt. Seitdem arbeitet sie als Anwältin für das Friesenwerk.«

»Redest du etwa von der alten Fregatte da vorne?« Henrike deutete auf eine etwa sechzigjährige Frau mit einem puppenhaft geschminkten Gesicht. »In ihrem langen Fummel sieht sie aus wie eine klapperdürre Vogelscheuche, die beim kleinsten Luftzug in sich zusammenfällt.«

»Alte Fregatte?« Ricarda schüttelte amüsiert den Kopf. »Für diese Bemerkung würde sie dich wahrscheinlich verklagen. Der Fummel ist übrigens ein sündhaft teures Designerkleid. Selbst bei einer Strandhochzeit verzichtet sie nicht auf ihre eleganten Schuhe.«

»Wiebkes Kollektion gefällt mir deutlich besser. Zudem laufe ich im Sand am liebsten barfuß.« Die Schauspielerin stieg die Stufen der Treppe von der Promenade zum Strand hinab. Kurz darauf zogen sich die Freundinnen ihre Schuhe aus und gingen zum Hochzeitskarren, in dem die Trauung um Mitternacht stattfinden sollte.

»Henrike!« Wie auf ein unsichtbares Kommando hin drehten sich alle gleichzeitig zu der Braut um, die zunächst die Schauspielerin und danach die beiden anderen herzlich umarmte. »Schön, dass ihr gekommen seid.«

»Eine solche Einladung können wir uns unmöglich entgehen lassen«, entgegnete Henrike mit gespielter Empörung. »Wir werden deine Hochzeit ordentlich rocken.«

»Das will ich hoffen. Heute Nacht will ich nur glückliche Gesichter sehen.« Elske winkte einen der Bediensteten herbei, die den Gästen auf silbernen Tabletts Fingerfood und Champagner reichten. Jede nahm sich ein Glas und sie stießen miteinander an.

»Ich habe immer noch das Gefühl, in einem Traum zu leben.« Die Braut trank einen Schluck.

»Dann hoffen wir, dass du niemals daraus erwachen wirst.« Ricarda hob ihr Glas.

»Ich werde unsere gemeinsame Zeit am Oldenburgischen Staatstheater niemals vergessen. Mit Henrike habe ich am liebsten zusammengearbeitet«, schwelgte Elske in Erinnerungen und wandte sich dann an Ricarda. »Wie oft habe ich eigentlich nach wilden Nächten auf eurem Sofa in der Wohngemeinschaft gepennt?«

»Keine Ahnung.« Ricarda lachte. »Unsere Partys waren zu gut, als dass ich mich daran erinnern könnte.«

»Wir hatten eine tolle Zeit«, bestätigte die Braut, bevor sie fortfuhr: »Was macht ihr …«

»Sind Sie Henrike Sattler?« Eine etwa dreißigjährige Frau mit einer wasserstoffblonden Löwenmähne und auffälligem Make-up trat zu der Gruppe. Sie trug ein eng anliegendes Kleid, das ihre grazile Figur betonte. Die lackierten Nägel wirkten wie blutrote Krallen. Die Schauspielerin musterte die auffällige Erscheinung, die Elske unterbrochen hatte, missmutig.

»Darf ich euch Alice Kersting vorstellen? Sie ist Achims Cousine. Alice, das sind Henrike, Ricarda und Wiebke. Könnt ihr mich kurz entschuldigen? Marita will mir anscheinend etwas sagen.« Die Braut deutete mit einem Kopfnicken zu Alice’ Mutter und verschwand zwischen den Feiernden.

»Früher wollte ich auch immer Schauspielerin werden«, flötete die Blondine und reichte Henrike die Hand, ohne Ricarda und Wiebke zu beachten. »Stattdessen bin ich jetzt im Finanzbusiness. Meine Firma Renditekönig verwaltet millionenschwere Anlagegelder. Wenn Sie sich nicht mehr mit den mageren Zinsen der Banken zufriedengeben wollen, kann ich Ihnen ein lukratives Investment empfehlen. Für einen Star wie Sie ist die Beratung...