Buchkultur im Mittelalter - Schrift - Bild - Kommunikation

von: Michael Stolz, Adrian Mettauer

Walter de Gruyter GmbH & Co.KG, 2006

ISBN: 9783110201536 , 382 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 210,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Buchkultur im Mittelalter - Schrift - Bild - Kommunikation


 

Margaret BridgesMehr als ein Text. Das ungelesene Buch zwischen Symbol und Fetisch (S. 103-104)

Die Auseinandersetzung mit der Buchkultur des Mittelalters erfordert die besondere Berücksichtigung der Gegebenheiten von der Produktion (Auftrag und Herstellung) über die Rezeption bis hin zur sozialen Funktion von Büchern. Die Forschung, die sich seit längerem mit den technischen Einzelheiten des Schriftwesens und mit der Identität der mittelalterlichen Schreiber und Leser befasst, ist in den letzten zwanzig Jahren fast beiläufig zur Feststellung gelangt, dass Bücher eine Vielzahl von sozialen Zwecken erfüllten, die mit Schreiben und Lesen wenig zu tun hatten. Im Folgenden habe ich die Absicht, einigen von diesen Zwecken nachzugehen, wobei ich mir bewusst bin, dass dies die Materialität des Buches betonen und seinen Inhalt vernachlässigen wird. Es mag unangebracht erscheinen, wenn eine Literaturwissenschaftlerin vorschlägt, über einen Gebrauch von Büchern nachzudenken, der losgelöst ist vom Inhalt derselben. Immerhin ist der Inhalt eines Buches Bestandteil der kommunikativen Tätigkeit des Lesens und Schreibens, wenn auch nicht immer der Literatur im engeren Sinne des Wortes. Hat nicht der Romanist Ernst Robert Curtius – der sich auf unvergessliche Weise mit dem Buchwesen und der Buchsymbolik im Abendland befasst hat – gemahnt, dass es die Aufgabe des Philologen sei, den Inhalt eines Buches zu erschliessen, da das Buch vor allem ein Text sei? »Ein Buch ist, abgesehen von allem anderen, ein Text. Man versteht ihn oder versteht ihn nicht.«1 Und doch ist es wohl eines der grossen Privilegien der Mediävisten, sich immer wieder auch mit der Materialität von Textproduktion und -vermittlung zu befassen. Schliesslich würde sich keine mittelalterliche Definition eines Buches auf dessen Inhalt beschränken. Sowohl in sprachgeschichtlicher Hinsicht als auch unter Berücksichtigung seiner literarischen Darstellung ist das (mit dem Christentum um 600 in die britischen Inseln eingeführte) Buch im eng lischen Mittelalter in erster Linie das Produkt von Handarbeit, wozu das Schreiben selber letztlich auch gehört.

Zur Sprachgeschichte des semasiologischen Feldes ›Buch‹ sei hier einerseits bemerkt, dass die Bezeichnung manuscript, welche die handschriftliche Eintragung im Artefakt hervorhebt, für England erstmals im Jahr 1600 belegt ist,2 während das Wort boc – belegt für die Gesamtheit des mittelalterlichen Englisch – von den Etymologen allgemein verstanden wird als Verweis auf beechwood, also das Buchenholz, aus welchem die Tafeln gemacht waren, auf die ursprünglich Runen geritzt wurden.3 Dieses Wort ist genauso in der Materie des schrifttragenden Objekts verwurzelt wie das Lehnwort codex (von lat. caudex, Baumstamm), das seit 1570 in der englischen Sprache belegt ist.4 Auch maken, ein Wort für ›komponieren‹, das für das ganze englische Mittelalter belegt ist, weist auf die Verwandtheit des Dichtens mit der Handarbeit hin.