Was am Ende bleibt - Geschichten über die Liebe

Was am Ende bleibt - Geschichten über die Liebe

von: Marija Barisic, Laura Fischer

edition a, 2019

ISBN: 9783990013649 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Was am Ende bleibt - Geschichten über die Liebe


 

Freiheit


Hilde ist siebzig Jahre alt und hat nur noch 17 Prozent ihrer Lunge. Nach einer Stunde fällt ihr das Atmen so schwer, dass sie ihre Sauerstoffmaske wieder aufsetzen muss. Sie hat nicht Angst vorm Tod, sagt sie, sie hat Angst vorm Sterben, weil sie nicht ersticken will. Sonst denkt Hilde nicht viel an den Tod, lieber füllt sie Kreuzworträtsel aus – für die gibt es eine Lösung, für den Tod nicht.

Aufgeschrieben von: Marija Barisic

Meinen Mann habe ich mit 18 Jahren geheiratet, weil ich auf Skiurlaub fahren wollte. Natürlich klingt das absurd, es ist auch absurd. Aber damals wäre es nicht denkbar gewesen, als junge, unverheiratete Frau einfach mal die Sachen zu packen und alleine wegzufahren. Ich habe geglaubt, dass Heiraten eine Form von Freiheit ist. Dass ich dann aber in keinem flauschigen Daunenbett, sondern in einem Bett voller Dornen aufwachen könnte, darauf hat mich kein Mensch vorbereitet. Stattdessen hat man uns lieber zu stillen, gehorsamen Ehefrauen erzogen. Im Alter von drei Jahren habe ich meinen ersten Schal gestrickt. Parallel dazu wurde mir eingeredet, dass Männer kein so gutes Händchen dafür haben. Natürlich nicht, denke ich mir heute, sie haben ja auch nicht mit drei Jahren schon zu üben angefangen.

Umgekehrt wurde den Männern eingeredet, dass wir Frauen alle Dummerchen waren, um die man sich kümmern muss. Und so wurden wir dann auch von ihnen behandelt. Das hat schon im Kindesalter begonnen, als mein Bruder uns Töchtern immer vorgezogen wurde. Nach meiner Geburt hat die Hebamme sich ja nicht einmal getraut, meinem Vater zu sagen, dass er schon wieder eine Tochter bekommen hat. Als wären wir Menschen zweiter Klasse, die es nur halb so sehr verdienten, auf der Welt zu sein.

Viele Frauen, die meisten von uns, haben die von ihnen erwartete Rolle sogar freiwillig angenommen: die Hausfrau als unfähiges Dummerchen. Man konnte es ihnen gar nicht übelnehmen, die Einstellungen wurden uns quasi mit der Muttermilch mitgegeben und zu Hause vorgelebt. Dieses unterwürfige Verhalten hat sich in den kleinsten Alltagssituationen gezeigt. Dass eine Frau zu ihrem Mann nicht einfach sagen konnte: »Ich will jetzt rechts abbiegen und du kommst bitte mit mir mit«, sondern sich vornehmen musste, ihn bis zur Weggabelung in ein Gespräch zu verwickeln, damit er dann gar nicht mitkriegen würde, dass sie gerade rechts abgebogen sind. Das Ergebnis dieser Fremdbestimmtheit, jeder Fremdbestimmtheit eigentlich, ist die Manipulation. Wie setzt du deinen Willen durch, ohne zu zeigen, dass du einen hast? Du manipulierst! Einen anderen Weg gibt es nicht. Das Sprichwort: »Der Mann ist der Kopf, die Frau der Hals« ist somit zum dümmsten und wahrsten Spruch unserer Zeit geworden.

Selbst meine Mutter, eine ausgesprochen starke Frau, hat meinen Vater immer als Heiligtum und Hausherren hochgehalten. Dabei war ich immer der Meinung, dass mein Vater einen Vollklescher hatte und meine Mutter weitaus intelligenter war. Vieles an diesem Verhalten hatte auch mit der Angst zu tun, keinen Mann zu finden, sobald man den Vorstellungen einer anständigen Frau nicht mehr entsprach. Und was ist eine Frau schon ohne Mann? Auch so ein Schwachsinn, der uns eingeredet wurde und den ich nach meiner Scheidung immer wieder zu hören bekam.

Ich wusste nämlich, dass ich kein Dummerchen bin und habe nie verstanden, warum ich so tun sollte als ob. Meine Ehe ist an diesem Unverständnis zerbrochen und meine anderen darauffolgenden Beziehungen auch. Wie eine Frau zu sein hat und ein Mann zu behandeln ist. Nichts, was mir dahingehend beigebracht wurde, hat jemals Sinn für mich gemacht. Nach fünf Jahren Ehe wusste ich dann: Entweder ich rette jetzt meine Ehe oder mich selbst. Ich habe mich für mich entschieden.

Dabei hat mein Mann mir wirklich nichts Schlimmes angetan, zumindest für die damaligen Verhältnisse nicht. Geschlagen hat er mich nicht, nur einmal, da ist ihm die Hand ausgerutscht, nachdem ich mich geweigert hatte, mit ihm zu schlafen. Davor hatten wir noch einen großen Streit, weil er mir nicht glaubte, dass ich bei meiner Schwester zu Besuch im Krankenhaus war. Die hatte zu der Zeit eine Nierenbeckenentzündung und lag im Spital. Nach dieser Diskussion wollte er allen Ernstes noch mit mir schlafen. Ich habe ihm gesagt: »Zuerst bezeichnest du mich als Lügnerin und dann willst du Sex? Das empfinde ich jetzt ehrlich gesagt als Frechheit.« Zack! Da hat er mir auch schon eine Ohrfeige verpasst. Das war ihm zu aufmüpfig. Böse war ich ihm nicht, aushalten wollte ich es aber auch nicht. Er hat mich so behandelt, wie vermutlich hundert Millionen andere Männer ihre Frauen damals auch behandelt haben. Ich war nur eine von wenigen, die für sich beschlossen hat, einen anderen Weg zu gehen.

Als ich ihm sagte, dass ich mich scheiden lassen will, hat er sich ein Jahr lang geweigert, die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Irgendwann hat es mir gereicht, ich habe meinen dreijährigen Sohn an der Hand gepackt und bin in eine andere Wohnung gezogen. Mein Mann wollte mir noch beim Übersiedeln helfen und hat mir nachgerufen: »In 14 Tagen bist du eh wieder bei mir, weil du bist zu blöd, um alleine zu leben!« Natürlich habe ich ihm das Gegenteil bewiesen, mir sagt man so etwas nicht zweimal.

»Du kannst doch einen Mann nicht verlassen!« Das war die Reaktion meines Vaters, als er von der Scheidung erfuhr. Ich dachte noch, dass er sich freuen würde, weil er mich die ganze Ehe über immer wieder gegen meinen Mann aufgestachelt hatte und der Meinung war, ich würde mir viel zu viel von ihm gefallen lassen. Das waren diese Diskrepanzen meiner Zeit, die ich nie verstanden habe: »Mach doch, aber wehe du machst es!«

Die Zeit nach der Scheidung war furchtbar. Nicht, weil ich meinen Mann vermisste, sondern das Geld. Die finanzielle Sicherheit. Ich arbeitete damals als Technische Zeichnerin, hatte einen kleinen Sohn, um den ich mich kümmern musste und nahm Aufputschmittel, um die Nächte durchzuarbeiten und neben meiner offiziellen Arbeit zusätzliches Geld zu verdienen. Eine Zeit lang hatte ich zwei Jobs gleichzeitig. Irgendwann konnte ich nicht mehr und brach vor meiner Arbeitskollegin in Tränen aus. Sie schleppte mich zu einem Psychologen. Ein Dreivierteljahr ging ich einmal die Woche zur Gesprächstherapie und kämpfte nebenbei um die Alimente für meinen Sohn.

Mit der Psychotherapie brach ich ein weiteres Tabu meiner Zeit, was in einer Zeit voller Tabus nicht schwierig war. »Du musst deppert sein, dass du einen Psychologen brauchst!«, haben sie alle zu mir gesagt, aber ihrer Meinung nach war ich ja auch deppert, dass ich mich freiwillig von meinem Mann geschieden hatte, also fiel es mir nicht schwer wegzuhören. Die Therapie war gleich nach der Scheidung die beste Entscheidung meines Lebens: Ich sage es Ihnen, der hat mich da heil herausgeholt, dieser Psychologe. Zu allen Menschen, die heute überlegen, ob sie eine Therapie machen sollen oder nicht, sage ich: im Zweifel immer ja. Es ist unglaublich, was man da alles über sich lernt. Ohne die Therapie und meine Mutter, die am Wochenende immer auf meinen Sohn aufgepasst hat, wäre damals gar nichts gegangen.

Die Alimente habe ich mir dann mühsam mit der Hilfe eines Freundes, der Rechtsanwalt war, erstritten, weil mein Mann, gekränkt in seinem Stolz, sich wochenlang weigerte zu zahlen. Letztlich musste er sogar noch mehr Alimente zahlen, als wir ursprünglich vereinbart hatten, weil er leider, leider zu viel verdient hat. Natürlich habe ich ihm das gegönnt! Dieses Neidigsein seinem eigenen Kind gegenüber habe ich ihm nicht so leicht verziehen.

Nach dem Scheidungsdrama schaffte ich mir ein kleines Auto an und lernte, nur das zu kaufen, was ich wirklich brauchte. Mit diesen Rabattgutscheinen hätten Sie mich quer durch die Stadt jagen können, die haben mich nicht interessiert, wir hatten ja alles, was wir brauchten. Jahre später sagte mein Sohn, mittlerweile ein erwachsener Mann, zu mir: »Mama, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der sparen kann, ohne zu sparen.«

Ihn lieferte ich am Wochenende und in den Ferien immer bei meiner Mutter im niederösterreichischen Wieselburg ab, was mir Zeit und Raum zum Atmen verschaffte. So konnte ich dann nachts durch die Innenstadt ziehen, das Leben und meine wiedererlangte Freiheit genießen. Ich war ja noch jung, hatte eine recht gute Figur und war auch wirklich nicht hässlich. Nach meinem Mann hatte ich noch mehrere andere Beziehungen, die aber nicht länger als drei Jahre dauerten. Damals alleinerziehend zu sein, war nicht nur aus finanzieller Sicht schwierig, sondern vor allem auch, was andere Männer betraf. Wir unverheirateten Alleinerzieherinnen wurden ja wie Freiwild behandelt. Einmal, ich kann mich noch gut erinnern, hat ein Mann zu mir gesagt: »Du bist ja jetzt frei, du kannst ja zu mir sagen.« Ich habe mich damals nur umgedreht und gemeint: »Stell dir vor, ich bin sogar so frei, dass ich nein sagen kann.« Die dachten, wir wären offen für jeglichen Sex, nur weil wir zu Hause niemanden hatten, der auf uns wartete.

Zweimal ging das sogar so weit, dass ich auf der Straße überfallen wurde. Beim ersten Mal habe ich nur meinen Hut verloren, sonst bin ich glimpflich davongekommen. Der andere Mann wollte in meine Wohnung einbrechen, hat es aber Gott sei Dank nicht geschafft, weil ich mich rechtzeitig aus seinen Armen befreien und flüchten konnte. Der hätte mich sonst sicher vergewaltigt. Und wissen Sie, was mein Vater dazu gesagt hat? »Was hast du denn um neun am Abend alleine auf der Straße gemacht?« Das war sein Kommentar dazu, dass seine Tochter fast vergewaltigt worden wäre. Und er war damals nicht der Einzige mit dieser Meinung. Die Schuld wurde immer bei uns Frauen...