Rute raus, der Spaß beginnt - Warum Angeln die schönste Nebensache der Welt ist

von: Heinz Galling, Horst Hennings

Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, 2019

ISBN: 9783841907028 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Rute raus, der Spaß beginnt - Warum Angeln die schönste Nebensache der Welt ist


 

Kapitel 1


Mit Weidenrute und Sektkorken – Kindheit und Jugend als Angler in Lübeck


Sieht man mal von den ständigen Mandelentzündungen ab, hatte ich eine wunderbare Kindheit. Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Siedlung am Stadtrand von Lübeck. Kaum einen Kilometer weiter östlich begann die „Ostzone“, wie die DDR in dieser Zeit im Westen genannt wurde.

Einmal in der Woche kam der Milchmann, Briketts gab es einmal im Monat. Und wenn der Fahrer vom Kohlenauto gut drauf war, durfte ich mit ihm eine Runde durch die Siedlung fahren. Das war schon etwas Besonderes, denn ein Auto war in dieser Zeit ein Luxusgegenstand.

Mein Opa Richard war eigentlich immer da. Bastelte im Schuppen, fütterte die Kaninchen oder wühlte im Garten. Der war riesig. So groß wie ein halbes Fußballfeld. Mit Stangenbohnen, einem großen Misthaufen, Plumpsklo, Kartoffeln, Gemüsebeeten und einem knorrigen Pflaumenbaum. Ganz am Ende war eine kleine Holzpforte und dahinter die Kuhkoppel. Hier habe ich stundenlang gewartet, bis Opa von seinen Angelausflügen an der Wakenitz zurückkam.

Die Wakenitz ist ein etwa 14 Kilometer langer Fluss, der vom Nordzipfel des Ratzeburger Sees bis vor die Tore der Stadt fließt und dann über den Düker durch ein Rohrsystem unter dem Elbe-Lübeck-Kanal durch in den Krähenteich und in die Lübecker Innenstadt. Was viele nicht wissen: Ursprünglich mündete die Wakenitz in die Obertrave. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts begann man, den Fluss zu stauen, um in Kriegszeiten Wassermühlen innerhalb des Stadtgebiets betreiben zu können.

Opas Lieblingsfisch war Hecht. Wenn er einen gefangen hatte – und das passierte häufig –, sah man ihm das schon von Weitem an. Freudestrahlend kam er über die Wiese gelaufen, im Mundwinkel eine Weiße Eule – sein Lieblingszigarillo.

Der Raubfisch mit seinen 700 messerscharfen Zähnen wurde Oma Lisbeth übergeben, die umgehend den Speiseplan änderte. Zwei Stunden später standen Stampfkartoffeln und Hecht mit Speckstippe in Butter gebraten auf dem Küchentisch. „Gute Butter“ – wie meine Oma stets betonte.

Montags gab es „Bonanzasuppe“. Ich glaube, Oma tat alles in einen Topf, was vom Wochenende übriggeblieben war: Bohnen, Kartoffeln, Speck, Möhren, Erbsen, Sellerie. Und manchmal war auch noch ein bisschen Hecht dabei.

Es war so Mitte der 1960er-Jahre, als ich mit meinen Freunden aus der Siedlung loszog, um selbst einen Fisch zu fangen. Treffpunkt war ein Weltkriegsbunker am Ende der Siedlung, unser Lieblingsspielplatz. Von dort waren es noch ein paar hundert Meter, und dann standen wir an einem kleinen Wiesenbach. Und tatsächlich fingen wir auch was. Ohne Angel. Nur mit der Hand. Aber der Fisch, den wir für einen Aal hielten, stellte sich hinterher als Blindschleiche heraus. Auweia!

Opa war sauer. „Du bist wohl unklug!“ Das sagte er immer, wenn ich etwas ausgefressen oder Mist gebaut hatte.

Fische und die geheimnisvolle Welt unter Wasser haben mich schon immer fasziniert. Von den Abenteuern des Fernsehtauchers Jaques Costeau, der mit seiner Calypso auf den Weltmeeren unterwegs war, durfte ich keine Folge verpassen. Zum Fernsehpflichtprogramm gehörte auch Flipper. Porter Ricks und seine Söhne Sandy und Bud – das waren meine Helden. Die Küste Floridas und der schlaue Delfin waren wie eine Droge. Schon bei der Erkennungsmelodie bekam ich eine Gänsehaut: „Man ruft nur Flipper, Flipper, bald wird er kommen, jeder kennt ihn – den klugen Delfin …“

Vielleicht lag es auch daran, dass ich als kleiner Junge häufig Probleme mit den Mandeln hatte. Im Wartezimmer unseres HNO-Arztes stand ein großes Aquarium mit Afrikanischen Buntbarschen und Prachtschmerlen aus Südostasien. Ich klebte mit der Nase an der Scheibe, bis der große dünne Mann im weißen Kittel und dem silbernen Blechauge mich in den Behandlungsraum holte.

Als kleiner Butscher bin ich mit meinem Opa häufig losgezogen, um Butterstecker und frisches Gras für die Karnickel zu holen. Die beste Stelle dafür war neben einem kleinen Wiesenbach. Da fingen wir dann auch noch ein paar Stichlinge mit dem Eimer. Ein perfekter Fisch fürs Aquarium, dachte ich. Ein bisschen Kies in eins von Omas Weckgläsern, eine kleine Muschel dazu, ein paar Bachflohkrebse und eine Wasserpflanze – fertig war mein erstes Aquarium. Fassungsvermögen etwa drei Liter.

Begeistert beobachtete ich die Fische, wie sie ihre Runden drehten. Am nächsten Morgen waren alle Stichlinge tot, erstickt. Unter Tränen begrub ich die armen Stichlinge im Garten unter dem Pflaumenbaum.

Wenn ich heute mit meinen Kindern am Schweriner See auf dem Steg neben dem Bootshaus stehe, muss ich oft an meine eigene Kindheit zurückdenken. Ich versuche, an sie weiterzugeben, was mich selbst so geprägt hat: die Liebe zur Natur und meine Faszination fürs Angeln.

Liebe auf den ersten Biss


1966: England war gerade Weltmeister geworden, und obwohl der Ball gar nicht drin war, war es ein herrlicher Sommer. Aus einem Weidenstock hatte ich mir eine Angel gebaut, doppelt so lang wie ich. Eine Angelschnur hatte ich an der Wakenitz gefunden, die Pose aus einem kleinen Sektkorken selbst gebastelt. Das Wickelblei fand ich bei Poggensees, unseren Nachbarn, die gerade ihre Dachrinne erneuerten. Da blieb reichlich Blei für mich übrig. Den Angelhaken gab mir Opa als Belohnung für das Unkrautjäten in seinem Gemüsebeet.

So zog ich dann wieder mal los mit meinen Kumpels aus der Siedlung. Über die Kuhkoppel, am Bach entlang, über einen schmalen Trampelpfad durch den Brook, vorbei an einer knorrigen alten Eiche, am Kartoffelfeld ein beherzter Sprung über einen anderen kleinen Bach, schließlich noch ein kleiner Weg durch den Sumpf, und dann waren wir da: an der Rotaugenstelle.

Jeder Angelplatz meines Opas hatte einen besonderen Namen: Kannengießers Stelle, Müggenbusch, Toter Arm, Poggensee-Platz, Aalbucht oder eben Rotaugenstelle.

Die Wasserfläche war spiegelglatt wie ein Ententeich. Keine Ringe, die einen fressenden Fisch verrieten. Oma hatte mir eine Scheibe Feinbrot mitgegeben. Die Rinde schnell abgeknabbert, das Brot kurz ins Wasser gestippt, zu einem festen Teig geknetet und zwischen Daumen und Zeigefinger eine kleine, etwa erbsengroße Kugel geformt – wie mein Opa mir das beigebracht hatte. Die Teigkugel durfte nicht zu feucht und nicht zu trocken sein. Gerade so, dass er sich auf der Hakenspitze hält. Rute in die rechte Hand, die Schnur etwas oberhalb des Hakens gegriffen und Schwung geholt. Die Pose landete genau neben einem Weidenbusch, dessen Zweige bis weit ins Wasser hineinragten. Ein gutes Versteck für Fische.

Ich ließ den kleinen Korkproppen nicht aus den Augen. „Tucke“ sagten wir dazu. So sagt man im Lübecker Raum noch heute, wenn Pose, Schwimmer oder Flott gemeint sind.

Es dauerte nur wenige Minuten, dann begann der Korken auch schon zu tänzeln. Jetzt nur nicht ablenken lassen! Die kleine Sektkorkenpose verschwand unter der Wasseroberfläche, ich spürte einen pulsierenden Widerstand. Und da war es, das Gefühl, das jeder echte Angler kennt: Wenn Adrenalin ins Blut schießt. Ich setzte den Anhieb – Liebe auf den ersten Biss! Einen Augenblick später segelte ein etwa 20 Zentimeter großes Rotauge in hohem Bogen direkt neben mir ins knöchelhohe Gras neben die Sumpfdotterblumen. Mein erster mit der Angel gefangener Fisch! Ich war stolz wie Bolle.

Ende der Schonzeit


Solange ich denken kann, gibt es am 1. Mai nur ein Thema: Hecht! An diesem Tag des Jahres endet die Schonzeit.

Opa besaß vier Angelruten: Eine Stipprute aus Bambus für Köderfische, eine Makrelenangel, eine Aalrute mit einer uralten Nottingham-Holzrolle und eine Hechtrute. Diese Angel hat mich immer am meisten fasziniert. So eine wollte ich später auch mal haben! Sie kam am 1. Mai zum Einsatz.

Es war eine Rute aus Glasfaser mit Stationärrolle, die immer etwas quietschte, ausgerüstet mit 40er-Angelsehne, einer roten Hechtpose aus Kork, so groß wie ein Frühstücksei, darunter eine Bleikugel, dann ein Tönnchenwirbel mit Karabiner und darunter ein Stahlvorfach mit Drilling.

Ganz wichtig beim Hechtangeln: Immer den Bügel der Angelrolle aufgeklappt lassen, damit der Hecht, wenn er ruckartig die Schnur von der Rolle zieht, keinen Widerstand spürt. Das habe ich schon als kleiner Junge von Opa Richard gelernt.

Immer, wenn wir uns durch den sumpfigen Erlenbruchwald an unseren Angelplatz heranpirschten, war die bange Frage: Ist schon ein anderer Angler da? Gerade am 1. Mai sind die besten Plätze schon früh besetzt.

Diesmal hatten wir Glück: Nur eine leere Schachtel Juno und zwei in den Sumpfboden gesteckte Astgabeln erinnerten daran, dass Kannengießer erst kürzlich hier seine Ruten in Position gebracht hatte.

Fast jeder Angler nimmt immer seine eigenen, selbst geschnitzten Astgabeln als Rutenhalter. Die meisten verstecken die Stöcke ganz in der Nähe vom Angelplatz, um sie nicht jedes Mal mitschleppen zu müssen. Ich mache das auch so. Wenn man lange nicht da war, kann es passieren, dass der Weidenstock schon wieder Wurzeln geschlagen hat.

Opas Hechtangel hatte schon einige Belastungstests hinter sich. In den 1950er-Jahren ist er im Ratzeburger See sogar mit ihr baden gegangen, um einen 15-Pfünder ans Ufer zu drillen. Für einen großen Fisch wird fast alles riskiert.

Inzwischen hatte ich schon das erste Rotauge verhaftet. Der Fisch harrte seines weiteren Schicksals in einem mit frischem Wasser gefüllten Marmeladeneimer. Die gute Schwartauer Marmelade gab es damals in Fünf-Liter-Blecheimern, der ideale...