Glücklich sein ist mehr als zufrieden sein - Dem Glück auf der Spur

von: Carmen Schüle

Verlag Die Silberschnur, 2019

ISBN: 9783898459839 , 280 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Glücklich sein ist mehr als zufrieden sein - Dem Glück auf der Spur


 

Eine Erfahrung

Mir geht es vor allem anderen um das Glück als inneren Wahrnehmungszustand. Dennoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass in unserer dualistischen Welt zum Glück auch das Unglück gehört. Um uns überhaupt glücklich fühlen zu können, müssen wir auch das zeitweise Unglücklichsein kennen lernen und annehmen, denn beide Bewusstseinszustände gehören zu ein und derselben Energieform. Erst das Akzeptieren, dass wir zwischen diesen zwei Zuständen hin- und herpendeln, bringt Sie in die Balance.

Ich könnte es nicht besser beschreiben, als in der Erfahrung und Spiegelung dessen, was mich der Jakobsweg gelehrt hat. Diese Geschichte beginnt mit Mühsal, wie im richtigen Leben, und endet mit der Erfahrung allumfassender Liebe, nach der wir alle letztendlich suchen. Ich habe alle Stadien durchlaufen: die Unbewusstheit, die Bewusstwerdung, die Entscheidung für Veränderung, das notwendige Handeln, ich musste mich zwingen, nicht aufzugeben – und letztlich konnte ich den Lohn für meine Mühen einfahren: Liebe und Glück.

Es ist wirklich noch ein kleines Abenteuer, sich auf den Jakobsweg in Spanien zu begeben. Ich startete schon mit anhaltenden Rückenschmerzen, die ich mir beim Probewandern zu Hause mit zu schwerem Rucksack geholt hatte. Ich hatte aber fünf Jahre zuvor eine schwere Bandscheibenoperation über mich ergehen lassen müssen und war daher entsprechend vorsichtig. Um weitere Rückenprobleme zu vermeiden, kaufte ich mir also noch kurz vor der Abreise einen Trekking-Kinderwagen. Damit brauchte ich meinen Rucksack nicht selbst zu tragen, sondern konnte ihn vor mir herschieben. – Doch der Jakobsweg scheint keine Hilfsmittel zu mögen, denn zuerst musste ich einen Tag im Hotel in Pamplona auf mein Gepäck warten, weil es nicht im Flugzeug gewesen war. Dann geriet ich gleich am ersten Wandertag in eine Schlechtwetterfront, quälte mich mit dem Wagen durch tiefe Schlammfelder, bergauf und bergab, und alle paar Meter klebten dicke Lehmkugeln an den Rädern, die ein Vorwärtskommen fast unmöglich machten. Dadurch kam ich nicht in einen Rhythmus, und Kontakte zu anderen Pilgern verlor ich immer wieder, weil ich wegen der Schlammpisten Umwege laufen musste. Schließlich verlor ich deswegen auch noch die Orientierung und lief teilweise auf Landstraßen, wo ich von riesigen und viel zu schnellen LKWs fast umgepustet wurde. Doch ich blieb verbissen dran, wollte keinesfalls aufgeben. Andere hatten den Weg schließlich auch geschafft… Doch es hörte nicht auf: Ein Herbergsvater, der es gut meinte, schloss meinen Wagen abends in seine Garage ein – und zog es morgens allerdings vor auszuschlafen. Somit kam und kam ich einfach nicht in einen geruhsamen spirituellen Wanderrhythmus, so sehr ich mich auch bemühte und durchhielt.

Doch nach drei Tagen war ich vollkommen entnervt, unzufrieden, erschöpft, wütend und aus der inneren Balance geraten. Eine Entscheidung war fällig. Die traf ich genau vor besagtem grünem Müllcontainer mitten in einem Industriegebiet. Mein schöner neuer Wagen flog hinein, ich leerte meinen Rucksack komplett aus, begutachtete Stück für Stück, ob ich es wirklich für meinen weiteren Weg brauchte – und so warf ich so manches neue Teil dem Wagen in den Container hinterher.

WAS FÜR EINE ERLEICHTERUNG: Eine völlig neue Energie erfasste mich. Nach einiger Zeit setzte ich mich einen Moment, um nachzuspüren. Plötzlich fand ich direkt neben mir im Gras einen großen Rückenwirbelknochen von einem Hund oder einer Kuh. Ich war erst überrascht – und dann überglücklich über diesen Fund, der bis heute mein Talisman ist. Ich wanderte nun wie die anderen Pilger auch mit Rucksack auf dem Rücken und fühlte mich erstmals dazugehörig und in der Energie dieses Weges. Doch nach fünf Kilometern kam dennoch das endgültige Aus. Der Rucksack war einfach immer noch zu schwer für meinen Rücken, ich bekam wieder Schmerzen und war verzweifelt. So verzweifelt, dass ich in Logrono durch die Stadt irrte und auf dem zentralen Busbahnhof landete, an einem Telefon hängen blieb, meinen Mann heulend anrief – ich wollte nach Hause, er sollte meinen Flug umbuchen, ich wollte nicht mehr. Nachdem ich mich bei ihm ausgeheult und er mich beruhigt hatte, meinte er: “Jetzt schläfst du eine Nacht drüber und dann sehen wir weiter. Geh zum Container zurück und hole den Wagen wieder raus, probiere es noch mal.” Also habe ich mich im nächsten Refugio, einer der Pilgerherbergen, eingemietet und bin brav die fünf Kilometer zurückgelaufen – aber das Müllauto hatte schon alles mitgenommen. Es sollte wohl so sein! Auf dem erneuten Rückweg überlegte ich, was von meinem Gepäck noch weg könnte, und so musste auch noch mein teurer aber schwerer Daunenschlafsack daran glauben. Danach suchte ich das nächste große Einkaufszentrum auf, das natürlich am anderen Ende der Stadt, bestimmt vier Kilometer Fußweg entfernt lag… Doch auch diesen Weg nahm ich nach den bereits zurückgelegten zwanzig Kilometern noch auf mich, denn auf die Idee, ein Taxi zu nehmen, kam ich nicht. Ich machte es mir lieber so schwer wie möglich… Doch ich hatte Glück und steuerte bereits nach einem Kilometer “zufällig” im Straßengewirr direkt auf ein Sportgeschäft zu und war schnell Besitzerin eines neuen Leichtschlafsackes.

Ab diesem Moment hatte ich die Talsohle durchschritten. Ich spürte, dass das nun der richtige Weg für mich war, und mir wurde leichter ums Herz. Ich fragte mich nochmals eingehend: Was will ich wirklich? Die Antwort war eindeutig: Diesen Weg laufen und erfahren. Daraufhin packte ich noch einmal meinen Rucksack aus und warf bestimmt weitere ein- bis zwei Kilo weg. Alles war ersetzbar, nur meine Reiseerfahrung und die Erfüllung meiner jahrelangen Vision nicht. Das war meine Motivation, wirklich alles loszulassen, auch neue Sachen.

Am nächsten Morgen war ich schon um 6.30 Uhr und bei vier Grad Kälte als Erste auf dem Weg. Ich marschierte vor sternklarem Himmel, bald würde die Sonne glutrot hinter Logrono aufgehen, ich durchwanderte eine wunderschöne Landschaft und war in dem Moment der glücklichste Mensch. ICH HATTE EINEN WEG GEFUNDEN. Plötzlich ging alles leicht. Bald fand ich noch einen Wanderstock im Wald, der eine Zeit mein Begleiter wurde, und wanderte Kilometer um Kilometer. Mein Rücken blieb ruhig. Ich kam durch einen Markt, frühstückte in herrlicher Sonne auf einer Bank, sah weitere Pilger an mir vorbeiziehen und ab da kam ich mehr und mehr in die Energie, die man sich auf dem Jakobsweg vorstellt. An diesem Tag wanderte ich fast dreißig Kilometer mit dem Rucksack auf dem Rücken!

Ab diesem Zeitpunkt erfuhr ich eine besondere Liebe, Wertschätzung, Freundlichkeit, Offenheit und eine nicht zu überbietende Herzlichkeit unter den Pilgern. Es waren alle Altersgruppen vertreten. Jeder hatte eine bestimmte Absicht auf diesem Weg, und das machte die Begegnungen so tiefgründig. Hatte man Lust auf Gesellschaft, brauchte man sich nur in die Küche oder an die großen Tische in den Refugios zu setzen, und bald war man in tiefsinnige Gespräche verwickelt – im Kontakt mit der ganzen Welt. Wollte man allein sein, legte man sich einfach ins Bett. Alle waren rücksichtsvoll und liebenswert. Wanderte man im zeitlichen Rhythmus der anderen, hatte man immer eine nette Wegbegleitung. Wollte man dies aber an einem Tag weniger, lief man einfach später los, wenn der Hauptstrom schon weg war oder übernachtete in kleinen Refugios – und man war sofort wieder allein. Wir, ich lief abwechselnd mit mir sehr lieb gewordenen Wegbegleiterinnen, wanderten in der Regel fünf Stunden und zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Kilometer am Stück mit kleinen Pausen. Danach waren unsere Füße oft derart platt, dass wir sofort das nächste Refugio ansteuerten, duschten, uns genüsslich in die Sonne legten oder es uns, wenn es regnete, einfach im warmen Bett gemütlich machten, zusammen aßen, erzählten… Es war nie langweilig, sondern die Zeit war von einer wohltuenden Ruhe und Harmonie geprägt. Den Wechsel zwischen körperlicher Verausgabung und wohltuender Entspannung am Nachmittag empfanden wir als ausgesprochen erholsamen Rhythmus für Körper und Geist.

Für mich persönlich kann ich nur sagen, dass im Nachhinein gesehen alles richtig war. Mein ganzer Lese- und Schreibvorrat war im Container gelandet. Einschließlich meines Reiseführers, davon hatte ich nur noch ein paar einzelne Blätter rausgerissen und aufgehoben. Ich hatte mir “Arbeit” mitgenommen, wollte auch unterwegs “immer etwas tun” – aber auch das war alles im Container gelandet. Dank meines empfindlichen Rückens wurde ich gezwungen, nichts zu denken, ich konnte es ja ohnehin nicht mehr aufschreiben, wodurch ich zu einer unglaublichen inneren Ruhe und zu Frieden fand. Ich bemerkte, wie ich ausschließlich nur noch im Hier und Jetzt lebte: jetzt wanderte, jetzt eine der vielen wunderschönen Wiesenblumen betrachtete, jetzt die einzigartige Landschaft in mich aufnahm, jetzt ganz einer Person zugewendet war, jetzt den Geruch des Landes wahrnahm, jetzt die schmerzenden Füße von den Wanderstiefeln befreite, jetzt...