Die Frühzeit des Menschen - Der Weg zum Homo sapiens

von: Friedemann Schrenk

Verlag C.H.Beck, 2019

ISBN: 9783406736018 , 137 Seiten

6. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,49 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Frühzeit des Menschen - Der Weg zum Homo sapiens


 

2. Ursprünge: Die Wurzeln der Homininen


Von Feuchtnasen-, Altwelt- und Menschenaffen


Die Säugetiere entstanden etwa zur gleichen Zeit wie die Dinosaurier, also vor ungefähr 240 Millionen Jahren. Während die Evolution im 200 Millionen Jahre währenden «Zeitalter der Reptilien» 20 neue zoologische Ordnungen hervorbrachte, entstanden im sehr viel kürzeren «Zeitalter der Säugetiere» der letzten 66 Millionen Jahre immerhin 35 Säugetierordnungen. Dies mag auf die nach dem Aufbrechen und Auseinanderdriften der großen Landmassen stärkere Fragmentierung der Lebensräume und der Klimaunterschiede zurückzuführen sein. Eine der 18 lebenden Säugetierordnungen ist die Ordnung der Primaten. Sie wird untergliedert in die Strepsirhini (Feuchtnasenaffen) und die Haplorhini (Trockennasenaffen), je nach Vorhandensein oder Fehlen eines Rhinariums (Nasenspiegels). Zu den Strepsirhini gehören die frühen fossilen Primaten und die heute lebenden Lemuren, Loris und Galagos; zu den Haplorhini zählen Tarsier und eine Gruppe, in der sich im Verlauf der letzten 50 Millionen Jahre die menschenähnlichen Bauplanmerkmale herausbilden. Zu der großen Gruppe dieser anthropoiden Primaten zählen die Alt- und Neuweltaffen, die Menschenaffen und die Menschen.

Der Stamm der Primaten reicht zurück bis in die Kreidezeit vor über 80 Millionen Jahren. Enge verwandtschaftliche Beziehungen bestehen zu ursprünglichen Säugetiergruppen wie den Scandentia (Spitzhörnchen) und den Dermoptera (Pelzflatterer).

Eine frühe Entwicklungsphase der Primaten fand im Paleozän (66–​56 Millionen Jahre) in Nordamerika, Europa und Asien statt, damals noch ein gemeinsamer Kontinent (Laurasia), der durch ein Meer von den südlichen Kontinenten (Gondwana) getrennt war. Weder aus Südamerika noch aus Afrika oder anderen Südkontinenten sind Funde bekannt. Die Fossilien der frühen primatenähnlichen Plesiadapiden zeigen noch kaum anatomische Merkmale, die heute zur Unterscheidung der Primaten von anderen Säugetieren benutzt werden. Die Plesiadapiden sind in der Gebisskonstruktion eher vergleichbar mit heutigen Nagetieren. Sie besaßen große Schneidezähne mit weitem Abstand zu den Backenzähnen, haben noch Krallen, und im Schädel ist die Augenöffnung von der Kaumuskulatur noch nicht mit einer Knochenspange abgetrennt.

Spätestens aus dem Eozän (56–​33,9 Millionen Jahre) sind echte Primaten bekannt, zum Beispiel aus dem ca. 48 Millionen Jahre alten Ölschiefer der Grube Messel bei Darmstadt. Gegenüber den früheren Formen lassen sich anhand von Fossilien eine zunehmende Ausrichtung der Augen nach vorn mit knöcherner Abgrenzung der Augenöffnung nach hinten, eine Verkürzung der Schnauze, eine Vergrößerung des Gehirns und die Ausbildung von Fingernägeln nachweisen. So reflektieren die eozänen Primaten im Wesentlichen die Unterschiede, die heute lebende Primaten von den übrigen Säugetieren trennen. Als Baumbewohner sind sie gute Kletterer, ihre Hände und Füße sind zum Greifen geeignet, der große Zeh ist opponierbar. Die sich ausbreitenden neuen Waldtypen mit blüten- und fruchttragenden Bäumen sorgten für ein reichhaltiges Nahrungsangebot, durch die damit verbundene starke Zunahme von Pollen auch an Insekten.

Die heutigen Strepsirhini (Loris, Galagos und Lemuren) geben einen Eindruck von der Vielfalt der frühen Primaten. Die meisten sind nachtaktive Tiere, oft leben sie einzelgängerisch und ernähren sich überwiegend von Insekten. Die Schneide- und Eckzähne sind zu einen Zahnkamm umgeformt, der u.a. zur Fellpflege dient, die Backenzähne sind mit ihren Spitzen gut dazu geeignet, Insektenchitin zu knacken Die frühen Primaten waren zwar flinke Insektenjäger, ernährten sich insgesamt aber als Allesfresser, besaßen zwar schon gute Augen, aber ebenso ein noch gut ausgebildetes Geruchssystem. Der Geruchssinn spielt eine große Rolle bei Nahrungssuche und Individualerkennung. Die Bildung stabiler sozialer Gruppen ist selten.

Die überwiegend tagaktiven Haplorhini (Trockennasenaffen) dagegen sind geselliger, Nahrungssuche und Schlafen geschehen oft in Gruppen. Neben den Tarsiern gehören hierzu vor allem die Anthropoidea, deren Wurzeln möglicherweise mehr als 60 Millionen Jahren zurückreichen. Sie besitzen keinen Zahnkamm mehr, die Eckzähne sind vergrößert und die Backenzähne bilophodont (mit zwei Schmelzgraten). Der Geruchssinn bildet sich weiter zurück, während der visuelle Kortex im Gehirn vergrößert ist. Im Gegensatz zu der schräg nach vorn außen gerichteten Stellung der Augen bei den Strepsirhini ist bei den Anthropoidea ein volles stereoskopisches Sehen möglich. Beide Augen sind nach vorn ausgerichtet und liegen geschützt in rückwärtig knöchern umschlossenen Augenhöhlen, die gleichzeitiges Fixieren und Kauen ermöglicht. Die Anthropoidea ernähren sich vermehrt von Früchten. Der größere Körperbau ermöglicht eine effektivere Thermoregulation, ein größeres Gehirn steigert das Lernvermögen. Sie leben in größeren sozialen Gruppen, deren Mitglieder untereinander kommunizieren. Als erste farbensehende Primaten sind die Altweltaffen die erfolgreichsten und abgesehen vom Menschen die zahlenmäßig größte Primatengruppe überhaupt. Sie kommen in einer Vielzahl von Lebensräumen vor – vom tropischen Regenwald über die Savanne bis in die hohen Berge und sogar in Schneegebieten. Seit ungefähr 15 Millionen Jahren sind zwei Hauptgruppen mit unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe, den blätterfressenden Affen, gehören die Languren Asiens und die Colobus-Affen Afrikas. Zur zweiten Gruppe, hauptsächlich Fruchtfressern, zählen Meerkatzen, Paviane, Mandrills und Makaken. Gegen Ende des Eozän vor ca. 36 Millionen Jahren verdrifteten Altweltaffen – ebenso wie Nagetiere – vermutlich auf ins Meer gestürzten Bäumen von der Ostküste Afrikas an die Westküste Südamerikas. Die Gründerpopulationen entwickelten sich zu den heute dort weitverbreiteten Neuweltaffen.

Im Oligozän (33,9–​23 Millionen Jahre) finden sich fossile Belege für die weitere Entwicklung der anthropoiden Primaten hauptsächlich in Nordafrika und in Südamerika. Afrika war im Oligozän eine Insel, getrennt von Europa, aber verbunden mit Arabien. Eine berühmte Fundlokalität ist Fayum in Ägypten, ca. 100 km südwestlich von Kairo. Eine Expedition des American Museum of Natural History, New York, entdeckte in den Schichten eines ehemaligen Flussdeltas bereits 1906 Primatenfossilien, die zwischen 35 und 25 Millionen Jahre alt sind. Ab den sechziger Jahren kamen weitere Funde hinzu, so dass heute mindestens 17 Primatengattungen aus Fayum bekannt sind. Die Fayum-Primaten stehen wahrscheinlich der gemeinsamen Ursprungsgruppe von Altweltaffen und Menschenaffen noch sehr nahe.

Aus Affen werden Menschenaffen


Zwar sind die Menschenaffen («apes») von den Altweltaffen («monkeys») seit etwa 20 Millionen Jahren stammesgeschichtlich getrennt, doch entstanden die modernen Menschenaffen erst vor ungefähr 15 Millionen Jahren. Heute sind sie in Asien verbreitet (Gibbons, Siamangs und Orang-Utans) und in Afrika (Schimpansen, Zwergschimpansen und Gorillas).

Die Unterschiede der Menschenaffen zu den Altweltaffen werden vor allem im Gebiss, in der Fortbewegung und der Skelettanatomie deutlich. Die Nahrungsquellen sind ähnlich, auch die Menschenaffen bevorzugen Früchte und Blätter. Jedoch unterscheidet sich die Art der Nahrungsbeschaffung deutlich. Während sich die leichten Altweltaffen mühelos auf den Zweigen bewegen und sich die Nahrung greifen, hängen die schweren Menschenaffen an den Zweigen oder sitzen auf ihnen, um sich in stabiler Lage die Nahrung zu angeln. Dadurch wird ein größerer Bereich zugänglich, zum Beispiel auch unter den Ästen. Die hangelnde Fortbewegung wird als Brachiation (Armtechnik) bezeichnet. Anatomisch äußert sich dies in einem gedrungenen Körper, dem im Gegensatz zu den Altweltaffen der Schwanz fehlt. Allerdings sind die Arme der Menschenaffen besonders lang, im Ellenbogengelenk streckbar und im Unterarm mehr als 180 Grad und mit dem gesamten Arm sogar fast 360 Grad drehbar. Im Gebiss zeigen sich ebenfalls Unterschiede, wodurch Zahnfragmente von Altweltaffen und Menschenaffen auch von Laien leicht zu bestimmen sind: Die unteren Backenzähne aller Menschenaffen weisen, wie beim Menschen, fünf Höcker auf, die Furchen dazwischen bilden die Form eines Y («Y-Muster»). Dagegen tragen die Backenzähne der...