LEXIKON DES PHANTASTISCHEN FILMS, BAND 1 - Horror, Science Fiction, Fantasy

von: Rolf Giesen

BookRix, 2019

ISBN: 9783743861183 , 490 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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LEXIKON DES PHANTASTISCHEN FILMS, BAND 1 - Horror, Science Fiction, Fantasy


 

stereoskopischer Filme standardisiert. Die Quoten werden in den Zentralen in New York vorgegeben. Der deutsche Manager einer großen amerikanischen Filmgesellschaft wurde durch eine andere Person ersetzt, als er beim Start eines VFX-Hits nach deutschen Maßstäben zwar erfolgreich war, aber nach amerikanischen Zahlenvorgaben um anderthalb Millionen Besucher unter den Erwartungen blieb.

 

 

Independence Day

 

Wenigstens einen dieser Blockbuster hat ein deutscher Regisseur geschaffen. 1984 war auch für mich ein aufregendes, sehr arbeitsreiches Jahr: Ein Verlag, für den ich das Pamphlet Kino - wie es keiner mag geschrieben hatte, ließ mich im Regen des Rechtsstreits stehen, der auf mich niederprasselte. »Dieses eine Mal wolltest du zur Vordertür rein«, lächelte der Direktor der Deutschen Kinemathek, mit dem ich 1984 eine große Special-Effects-Ausstellung vorbereitete für die Berlinale im kommenden Jahr: mit Objekten aus Filmen von Georges Méliès, George Pal, Ray Harryhausen, Ferdinand Diehl, Rob Bottin und vielen anderen. Er meinte wohl, dem phantastischen Film gebühre in der seriösen Filmgeschichtsschreibung allenfalls die Hintertür. Er drückte es nicht ganz so aus. In diesem Jahr spielte ich auch den kleinen Spiegeltrick-Part eines Geistes, der nicht realisiert, dass er tot ist und darüber von seiner Unheil stiftenden Bauchredner-Puppe belehrt wird. Die Rede ist von Roland Emmerichs Joey. Fast alle Szenen mit mir wurden herausgeschnitten, und ich wurde durch einen anderen Darsteller ersetzt. Emmerich werte, so wurde in der deutschen Kritik behauptet, allein Kinoerfahrungen und Bilder aus, die er von George Lucas oder Steven Spielberg abgeschaut habe. Nie hätte ich gedacht, dass der Billigfilmer Emmerich eine solche Karriere hinlegen würde. Als er merkte, dass er in Deutschland unter diesen Umständen keine Chance hatte, beteiligte sich sein Vater über die familieneigene Centropolis Filmproduktion an Hollywood-Finanzierungen. Universal Soldier und der astroarchäologisch inspirierte Stargate, dessen Konzept Roland Emmerich seit zehn Jahren mit sich herumtrug unter dem Titel Necropolis, waren so erfolgreich, dass sich Emmerich erstmals an einen wirklichen Big-Budget-Blockbuster wagen konnte: Independence Day war eine Neufassung von Invasionsfilmen aus den 1950er-Jahren, besonders dem von einem deutschen Emigranten, Curt Siodmak, für Charles H. Schneer und VFX-Animator Ray Harryhausen geschriebenen Earth vs. the Flying Saucers (Fliegende Untertassen greifen an). In beiden Filmen greift eine Armada fliegender Untertasse Washington D.C. an. Harryhausen ließ seine UFOs nur vor dem Weißen Haus landen, Emmerich ließ das Gebäude von den Strahlenwaffen kilometerlanger fliegender UFO-Festungen in die Luft blasen. 

 

Independence Day ist kein deutscher Film, aber er ist wie ein Durchhaltefilm mit starker deutscher Beteiligung. Obwohl genremäßig der Science Fiction zuzuordnen, steht er doch in einer Reihe mit Werken wie Veit Harlans Kolberg und Wolfgang Petersens Das Boot. 

 

Führende Special-Effects-Leute hatte Emmerich aus Deutschland geholt: Volker Engel hatte im heimischen Bremerhaven mit Modellbau begonnen und seine Raumschiffe mit einer 16mm-Kamera aufgenommen. Er hatte mit Emmerich in Magstadt an Moon 44 gearbeitet und war ihm nach Hollywood nachgereist in der Hoffnung, dass der einen Job für ihn haben werde. Zuerst wurde er von den Bürokräften nicht vorgelassen, doch wartete er so lange, bis Emmerich das Gebäude verließ, und gehört seitdem zum Team der meisten Emmerich-Blockbuster. Von der Filmakademie Ludwigsburg hatte Engel Anna Förster als Kamerafrau mitgebracht, die heute selbst Regie führt. Während des VFX-Drehs von Independence Day gab es das geflügelte Wort eines Berliner Perry-Rhodan-Schmalfilmers: Wir wissen zwar, wie es geht, aber wir können es nicht. 

 

Der fiktive Alien-Anschlag auf das Weiße Haus wurde dann in ganz anderer Weise furchtbare Realität: 9/11. Der Angriff auf die Twin Towers in Manhattan hat in den Explosiv- und Special-Effects-Medien vor dem 11. September 2001 begonnen: In Jack Golds The Medusa Touch (Die Schrecken der Medusa) von 1978 rammt ein Passagierflugzeug ein Hochhaus ebenso wie in einem perfiden Werbespot eines deutschen Telekommunikationsunternehmens, der kurz vor dem Terroranschlag gesendet und dann zurück- und aus dem Verkehr gezogen wurde, bis er irgendwann wieder auf YouTube auftauchte. Visuell betreut wurde der Spot von Joachim Grüninger, der gelegentlich auch mit Roland Emmerich gearbeitet hat. Der »KulturSpiegel« verwies in seiner Ausgabe 10/2001 auch auf die Die Hard-Reihe: »Zusammengenommen und um die Happy Ends gekürzt, ergeben diese Filme eine gruselige Blaupause für den Terroranschlag vom 11. September.«

 

»Wir sehen gegenwärtig Bilder, die Geschichte nicht abbilden, sondern sie erzeugen«, kommentierte Horst Bredekamp den rituellen Tötungsakt des Bildermachens. Hier streifen wir  Fragen der Ethik.

 

Den Einfall, in einem Spot ein Flugzeug in ein Hochhaus fliegen zu lassen, hatte der Manager einer Hamburger Werbefirma: Die Idee, etwas Großes zerstören zu müssen, um zu signalisieren, dass man etwas Neues machen muss. Vielleicht haben diese Terroristen drüben in Hamburg-Harburg ja eines Abends in ihren Pluderhosen und Turbanen auf dem Teppich gesessen und einfach nur dasselbe gedacht: Wir müssen mit einem Big Bang etwas Großes, Altes zerstören, um den Platz frei zu machen für unser Neues. 

 

 

Oculus

 

Oculus ist kein Monster, sondern ein Hersteller von Spezialbrillen. Aber nicht den 3D-Brillen, wie wir sie aus dem Kino kennen. 2015 berichtete die Presse über das Unternehmen Oculus VR, das eine Brille entwickelt hat, die den Träger in ein virtuelles Universum katapultieren will:

 

Seit Jahrzehnten wird damit experimentiert, Menschen in virtuelle Welten eintauchen zu lassen, mit Sinnestäuschungen, 3-D-Filmen, Computertechnik, schließlich den ersten Brillen. Richtig gelungen ist es bislang nicht. Die Illusion war nie perfekt. Das soll sich mit dieser neuen Brille ändern. Sie macht mit einem besonders großen Display vor den Augen sogenanntes stereoskopisches Sehen möglich, ihre hochsensiblen Sensoren reagieren sofort auf Rotation, Position und Beschleunigung. Kilometer und Jahrhunderte, der eigene Körper, die Gesetze der Physik - all das spielt so keine Rolle mehr. Alles wird sich simulieren lassen, so wie im Holodeck auf Raumschiff »Enterprise«.

 

Längst ist aus der Science Fiction Science Fact verloren. Nur wenige SF-Autoren dürfen heute noch als Visionäre bezeichnet werden. Einer von ihnen war Philip K. Dick. Ein anderer hieß Galouye. Die Frage, wie man mit einer digitalen Matrix aus künstlichen Geschöpfen umgeht, hatte der 1976 verstorbene Daniel Francis Galouye in seinem Buch Simulacron-3 aufgeworfen, das von Rainer Werner Fassbinder unter dem deutschen Titel Welt am Draht verfilmt worden war und gewiss auch die Matrix-Trilogie beeinflusst hat.

 

Befinden wir uns womöglich erst in der Steinzeit des virtuellen Zeitalters, das à la longue mit Entkörperlichung [disembodiment] verbunden ist? (Ein Zwischenschritt auf dem Weg zum synthetischen Menschen, wie ihn die Dystopie eines Finney bereits in den Body Snatchers des Kalten Kriegs vorausahnt, ist die Prothesisierung.)

 

Raymond Kurzweil, Googles Director of Engineering, erwartet, dass das menschliche Gehirn bis zum Jahr 2039 in allen Einzelheiten erfasst und nachgebildet sein wird.  

 

In der Cyberpunk-Science-Fiction eines William Gibson ist der Mensch direkt mit dem Rechner verbunden. Er muss lediglich ein Kabel in sein zentrales Nervensystem einführen. 1984, in seinem Roman Neuromancer, hatte Gibson dafür den Begriff Virtual Reality übernommen: ein kybernetischer Weltraum, der über eine direkte Schnittstelle zum Gehirn bereist werden kann. Jaron Lanier von der Firma VPL, der in Kalifornien an einer neuen Form »post-symbolischer Kommunikation« arbeitete, übernahm den Terminus technicus für eine von ihm angestrebte Symbiose von Interaktion und Austausch grafischer Simulationen. Zwar scheiterte die VR mit Datenhelm und Handschuh an den hohen Kosten der Systeme und der mangelnden Akzeptanz der teuren Headsets, aber die Grundidee, das Gehirn direkt zu vernetzen, blieb.  

 

Tatsächlich hat die Projektion von Bildern ins menschliche Gehirn schon begonnen, wenn auch nur im medizinischen Bereich: als Sehhilfe für Blinde (Artificial Vision). Auch das Brain-computer interface (BCI) oder Mind-machine interface (MMI) ist Science Fact. Erste Forschungen begannen schon in den 1970er-Jahren an der University of California in Los Angeles, ein Teilgebiet der Neuroprosthetics (auch: neural prostethics).  

 

Neue mediale Ressourcen werden interdisziplinär geortet. Auch George Lucas spekulierte über Virtuelle Realität oder Simulator Rides, die man mit Biotechnik verbinden kann, um Nicht-...