Mehr als genug - Frei von der Angst, zu kurz zu kommen Vorwort von Timothy Keller

von: Jack Alexander

Brunnen Verlag Gießen, 2019

ISBN: 9783765575242 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mehr als genug - Frei von der Angst, zu kurz zu kommen Vorwort von Timothy Keller


 

Einführung


Auf der Suche nach „genug“


Jaden Hayes hatte eine schwere Kindheit. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war. Nur zwei Jahre später fand er die Leiche seiner Mutter, die im Schlaf gestorben war.

Der Sechsjährige überstand die beiden Beerdigungen mit erstaunlicher Gefasstheit und lebte fortan bei seiner Tante. Mehrere Medien berichteten, dass er zu seiner Tante gesagt habe, er habe „all die traurigen Gesichter satt“. Er wollte wissen, wie man Menschen wieder glücklich machen kann. Die Tante antwortete, die beste Methode, jemanden zum Lächeln zu bringen, sei, ihm mit einem Lächeln zu begegnen.

Und so begann Jaden nur wenige Wochen nach dem Tod seiner Mutter mit dem „Lächel-Experiment“, wie es später genannt wurde. Dazu fuhr er mit seiner Tante in die Stadt Savannah, die in der Nähe ihres Wohnortes im US-Bundesstaat Georgia liegt. Dort gingen sie auf Leute zu, die traurig oder ernst aussahen. Jaden lächelte sie an und schenkte ihnen ein kleines Spielzeug, um seine Erfolgschancen noch zu erhöhen.

„Es war, als ob die reine Freude aus diesem Kind strömte“, erzählte seine Tante. „Und je mehr Leute er zum Lächeln brachte, desto heller schien dieses Licht.“1

Vor gut einem Jahr hörte ich zum ersten Mal von Jaden und seinem Experiment. Es treibt mir noch heute jedes Mal die Tränen in die Augen, wenn ich darüber nachdenke. Und ich war nicht der Einzige, den dieser Bericht berührte. Landesweit griffen die Medien Jadens Geschichte auf. Wildfremde Menschen schickten Jaden Geschenke und Fotos, auf denen sie selber lächelten.

Was war an Jadens Geschichte so besonders, dass sie eine landesweite Bewegung auslöste? Ich glaube, sie hat die Leute an ihre eigenen Verluste und ihre eigene Hoffnungslosigkeit erinnert. Sie fragten sich: Wie kann ein Junge, der so viel verloren hat, so viel weiterschenken?

Statt aufzugeben, wozu wir oft versucht sind, wurde er zum Überwinder. In einer Welt, die von Isolation, Zweifeln und vor allem von einem Gefühl des Mangels geprägt ist, fand dieser Junge einen Ausweg.

Nicht genug


Mangel ist ein Wort, das seit dem letzten Jahrzehnt häufig verwendet wird. Alle – ob Psychologen, Werbefachleute oder Talkshow-Gäste – versuchen zu erklären, auf welche Weise der Mangel uns als Menschen prägt, und nicht selten schlagen sie auch Kapital daraus. Doch wenn wir einmal von all dem wissenschaftlichen Gerede absehen, was bedeutet Mangel wirklich?

Eine einfache Definition lautet: Das Gefühl des Mangels ist die Furcht, dass von etwas nicht genug für alle vorhanden ist – dass es nicht für alle reicht.

Was ist, wenn ich nicht genug Geld habe, wenn ich in Rente gehe?

Wie soll ich all diese Rechnungen bezahlen?

Können wir uns wirklich ein Kind leisten?

Doch die heimtückischen Folgen der Mangelmentalität gehen noch tiefer. Die Furcht, nicht genug zu haben, wirkt sich nicht nur auf unseren Geldbeutel aus, sondern auch auf unseren Geist.

Habe ich genug Zeit, mich in diesem Projekt zu engagieren?

Besitze ich genug seelische Kraft, um diesem Menschen in Not zu helfen?

Was ist, wenn ich für mich selbst nichts mehr übrig habe?

Diese und viele ähnliche Fragen belasten unsere Kultur. Seit der letzten großen Wirtschaftskrise haben zahlreiche Menschen, die ich kennengelernt habe, mit einem Gefühl des Verlusts und einer pessimistischen Sicht der Zukunft zu kämpfen. Ich habe mit Dutzenden von Familien gesprochen, die den Eindruck haben, am Rand eines Abgrunds zu leben. Sie fürchten, eine unerwartete Rechnung oder Krise könnte sie in eine Situation bringen, in der sie finanziell nicht mehr klarkommen. Und wenn man sich die Zahlen ansieht, erkennt man schnell, warum.

Der technologische Fortschritt hat die Erwartung der ständigen Erreichbarkeit geschürt, wodurch sich die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Amerikaner verlängert hat, bei gleichzeitiger Senkung der Gehälter. Für den durchschnittlichen Amerikaner hat sich das Realeinkommen unter Berücksichtigung der Inflation seit dem Jahr 2000 nicht mehr erhöht. Die Rentenansprüche schrumpfen und Arbeitnehmer, die sich bisher finanziell sicher fühlten, müssen sich inzwischen tief verschulden, um die rasant wachsenden Ausbildungs- und Gesundheitskosten stemmen zu können. Der Klassenkampf bestimmt das gesellschaftliche Klima, da der Graben zwischen Arm und Reich mittlerweile so breit ist wie nie zuvor. Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte wird die nächste Generation aus der Arbeiter- und Mittelschicht ihre Eltern im Blick auf Ausbildung, Einkommen und berufliche Chancen wohl nicht mehr übertreffen.

Die Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen, betreffen jedoch weit mehr als nur die Höhe unseres Bankguthabens. Der Stresslevel steigt und unsere mentale Kraft wird ebenso überstrapaziert wie unser Budget. Die Nachrichten sind voll von Tragödien und Skandalen, sie hinterlassen bei uns ein Gefühl der Ohnmacht, sodass wir unsere Türen doppelt verriegeln und jeden Fremden misstrauisch beäugen. Unsere Kultur fordert, dass wir niemanden beleidigen, und doch wird der Ton der öffentlichen Debatten von Tag zu Tag rauer. Kurz: Wir sind von Botschaften umgeben, die allesamt lauten: „Fürchte dich!“, und es fällt leicht, ihnen Glauben zu schenken.

Die Furcht ist ein erstickendes Gefühl. Sie lässt uns egoistisch, verbittert und von anderen entfremdet zurück. Das Mangeldenken ist ein Ableger der Furcht; es bringt uns dazu, die Welt als Nullsummenspiel zu betrachten: Alles, was andere bekommen, bedeutet, dass für mich weniger vorhanden ist. Wenn ich etwas von mir selbst oder von meinen Ressourcen verschenke, dann bleibt nicht mehr genug für meine eigenen Bedürfnisse übrig. Es ist einfach nicht so viel vorhanden – ob Geld, Vertrauen oder sogar Liebe –, dass es für alle reicht. Das daraus resultierende Gefühl des Mangels treibt uns Schritt für Schritt in die Hoffnungslosigkeit. Das war jedenfalls meine persönliche Erfahrung.

Mir ist wichtig, dass Sie wissen: Dies ist kein Buch über die Probleme anderer Leute. Über große Strecken meines Lebens waren Furcht und Mangel meine ständigen Begleiter. Ich lernte sie kennen, als mein Vater, so wie Jadens, unerwartet verstarb. Ich war erst neun Jahre alt. Meine Mutter heiratete erneut, aber es war keine glückliche Beziehung. Ja, meine Mutter und ihr Mann schienen sich sogar die meiste Zeit zu hassen. Ich wuchs in einer Familie auf, in der ständig über Geld gestritten wurde. Die beiden zankten sich um jede Kleinigkeit, zum Beispiel von welchem Konto man welche Rechnungen bezahlen oder was man mit kleinen, sentimentalen Erbstücken machen sollte. Wenn es nach meinem Stiefvater ging, gab es nie genug.

Mit seinen Gefühlen war er ebenso sparsam wie mit dem einen Dollar, den er jeden Sonntag in den Klingelbeutel warf. Meine Schwestern und ich wurden nicht zum Träumen ermutigt. Stattdessen wurden wir ausgeschimpft, wenn wir nicht die erforderlichen Leistungen erbrachten. Es gab keine Gnade und kein Sicherheitsnetz.

Ich reagierte darauf, indem ich schon als Junge hart arbeitete. Wenn ich nicht darauf vertrauen konnte, dass andere meine Bedürfnisse erfüllten, so dachte ich, dann musste ich es eben selbst tun. Im endlosen, eisigen Winter von New England trug ich Zeitungen aus und während der langen, feuchtwarmen Sommermonate verdingte ich mich als Caddie auf den Golfplätzen. Ich arbeitete bis spät in die Nacht als Hilfskellner und fuhr mit dem letzten Bus nach Hause.

Meine Welt war eine Welt des Mangels. Wir hatten weder Geld noch Liebe noch Trost zu verschenken. Ich lernte, dies von niemandem zu erwarten. Also arbeitete ich während meiner ganzen Collegezeit und studierte Wirtschaft und Rechnungswesen – eine sichere, clevere, vernünftige Wahl. Nach dem College nahm ich einen Job in einer Buchführungsfirma an. Davon konnte ich gut leben.

Nach außen hin war alles in Ordnung. Aber innerlich war es nicht so. Was wir als Kinder lernen, vergessen wir nie – und meine Lehrerin war die Angst gewesen. Sie hielt mich davon ab, Risiken einzugehen und meinem Herzen zu folgen. Sie ließ mich das ganze Leben als Konkurrenzkampf sehen. Ich fing an, mein Gehalt beim Poker aufs Spiel zu setzen. Wenn ich nicht gewann, meinte ich, sterben zu müssen.

Etwas fehlte in meinem Leben und ich hatte immer das Gefühl, ich müsse kämpfen, um nicht in ein Loch zu fallen.

Als ich fünfundzwanzig war, verfasste ich die „10 Alexander-Regeln“, eine Liste mit idealistischen Anregungen zur Selbstmotivation, die mich aus meinem Trott herausholen sollten. Eine Regel lautete: Wenn ich jemals 10 000 Dollar habe – das entsprach damals fast einem Jahresgehalt –, dann gebe ich meinen Job auf und mache, was ich...