Ungebremst leben - Wie ich mit 77 Jahren die Freiheit suchte und einfach losfuhr

von: Heidi Hetzer

Ludwig, 2018

ISBN: 9783641234799 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Ungebremst leben - Wie ich mit 77 Jahren die Freiheit suchte und einfach losfuhr


 

Ich kann nur Auto

Wenn Sie mich nach den tollsten Momenten meines Lebens fragen, sind drei Dinge garantiert mit im Spiel. Ein Gaspedal, ein Lenkrad und eine ordentliche Kühlerhaube vor der Nase. Und dazu: Frau am Steuer – nämlich ich!

Bei mir war das schon so, als ich noch ein Mädchen war. Ich hatte immer besondere Freude an Autos und auch Motorrädern. Sie haben mir so viele schöne Stunden beschert. Ja, es ist wirklich so: Die allermeisten schönen Zeiten in meinem Leben waren immer irgendwie auch mit einem Fahrzeug verbunden. Meine Güte, sich da reinzusetzen, Gas zu geben und frei zu sein. Sich zu bewegen und durch die Gegend zu preschen! Mal hierhin, mal dorthin, quer durch das wenn auch vom Krieg zertrümmerte Berlin. Einmal durch Deutschland von Norden nach Süden oder auch mal mitten durch die Mongolei bis nach China.

Die Welt mit dem Auto entdecken. Die kleine und die große. Und dabei auch noch um die Wette fahren. Gibt es etwas, das mein Herz noch höher hüpfen lässt? Nein. Das war damals so, als ich das Opel-Haus Hetzer von meinem Vater übernahm, das war in all den Jahren so, als ich das Unternehmen führte und nebenbei regelmäßig Rallyes fuhr. Und das ist heute so.

Und so bin ich dazu gekommen, mit meinem Hudo nun einmal um den gesamten Globus zu fahren. Mit meinem alten blau lackierten Hudson Great Eight Coach, Baujahr 1930. Einem Wagen, der noch deutlich älter ist als ich selbst. Hubraum 3 197 Kubikzentimeter, Leistung 44 Kilowatt, 3 600 Umdrehungen, dazu eine Trockenkupplung mit unsynchronisiertem Drei-Gang-Getriebe. Der Gute fährt auf einer Reifengröße von 5.5 auf 18 Zoll durch die Weltgeschichte und besitzt noch heute seine originalen abnehmbaren Holzspeichen auf dem festen Radstern.

Ich lasse Hudo freien Lauf und fahre, fahre, fahre. Ein Traum. Die Welt sehen, diesen tollen Film, der da nonstop auf der Windschutzscheibe läuft. Herrlich sitzt es sich am großen Steuer, in meinem eigens eingebauten Schalensitz, in dem mich ein Vierpunktgurt hält, auch wenn es über Buckelpisten geht. Oder über steile Kurvenstraßen, durch Dörfer, Täler und weites Land. Und Hudo fährt sich super und sehr bequem. Bodenwellen nimmt er weich und ohne Probleme. In den Kurven muss man ein wenig aufpassen, wegen der hohen Gepäckbrücke auf dem Dach. Da oben sind immerhin vier Ersatzreifen verzurrt, neben zwei weiteren an den Seiten vor den beiden Türen.

In Berlin bin ich im Juli 2014 vom Brandenburger Tor losgefahren – gen Osten. Durch Tschechien, Österreich und die Slowakei. Durch Serbien, Montenegro und die Türkei. Durch noch zig andere Länder. Wir fuhren gute Straßen, schlechte Straßen. Und dann hinein nach Asien. Der größte Kontinent der Erde öffnete sich vor Hudos langer blauer Kühlerhaube. Der gute Hudo. Mein Weggefährte. Nein, viel mehr. Mein Geliebter, mein Mann, könnte man fast sagen. Aber ich schweife ab. Dabei schweife ich beim Fahren so gut wie nie ab. Im Gegenteil, ich konzentriere mich. Fast ununterbrochen. Zweieinhalb Jahre werde ich ein komisches Gefühl im Bauch haben. Und das geht richtig an die Nerven. Es ist die ständige Angst, dass mit Hudo etwas nicht stimmt. Jedes kleine Hüsteln, das aus seiner Motorhaube kommt, verfolge ich voller Sorgen. Und nicht ein Mal werde ich das Radio beim Fahren anschalten, ich schwöre, nicht ein Mal. Ich muss doch immerzu auf den Motor hören. Muss lauschen und spüren, wie er klingt und ob er rund läuft. Oder ob wir womöglich bald mal wieder liegen bleiben.

Über zweieinhalb Jahre werde ich am Ende unterwegs sein und immer schön Tagebuch führen. Jeden Tag einen Kilometereintrag. Jeden Tag die wichtigsten Notizen. Sonst gehe ich mir noch selbst verloren.

Wo bin ich gerade? Ich weiß es nicht. Irgendwo in der Welt auf Achse. Manchmal weiß ich kurz wirklich nicht mehr, in welchem Land ich mich gerade befinde. Welche Währung ich in Händen halte, wann das nächste Visum ansteht oder auch schon wieder abläuft. Ich werde nachts wach und liege da, überlege: Wo ist Hudo? Ich habe schon in so vielen Betten geschlafen, so viele Nächte in meinem Hudo verbracht oder in Häusern von Menschen, die mich einluden, dass die einzelnen Tage und Etappen verschwimmen. Ich wohne gern privat, viel lieber als in einem Hotel. In ein Hotelzimmer trittst du ein, machst die Tür zu und bist allein. Bei anderen Leuten sitze ich mit am Tisch, kann erzählen, darf zuhören. Das gefällt mir. Das ist Leben.

Und überhaupt: Auf Luxus bin ich nicht aus. Ich schlafe auch mal in meinem orangefarbenen Zelt. Oder in kleinen Pensionen, in Backpacker-Hostels und hier und da auch mal in einer Absteige. Ich habe mir außerdem ein Limit gesetzt: Pro Tag will ich nicht mehr als fünfzig Euro ausgeben.

Nein, viel lieber will ich mich aufs Fahren konzentrieren. Denn nichts auf der Welt macht mir mehr Spaß. Ich werde mich und den armen Hudo über den 3 750 Meter hohen Torugart-Pass quälen, von Kirgisistan nach China. Die Strecke über die Tianshan-Berge ist im Winter wegen Schnee und Lawinengefahr oft nicht passierbar, Schmuggler fahren durch die karge und baumlose Steinwelt, und ja: ziemlich dünne Luft da oben. In Australien hingegen darf mein Hudo über die längste Piste brettern, die immerzu nur geradeaus führt: 144 Kilometer schnurstracks durch die Nullarbor-Wüste. In Nevada werde ich aus dem Wagen steigen und spüren, wie mir ein fünfundfünfzig Grad heißer Wind ins Gesicht bläst. Fürchterlich heiß! Also für mich ist das eine Spur zu heftig.

Was noch? Nun, wie soll ich es erklären? Die Welt ist groß – sie mit meinem Hudo zu bereisen aber scheint mir angemessen. Wir kommen mit maximal 95 km/h voran, oft aber auch nur mit vierzig Sachen. Und manchmal kriechen wir. Wenn ein Zylinderkopf reißt oder es hoch in die Berge geht. Es wird gute Zeiten geben und nicht ganz so schöne. Ich werde einen Finger verlieren und eine böse Diagnose bekommen. Aber auch damit muss man fertigwerden. Man hat ja keine Wahl.

Und was werde ich noch alles verlieren? Mir werden drei meiner schönen Autohandtaschen geklaut, ich verliere auf der Reise mehrmals meine Computer und in einer heißen Quelle Neuseelands meinen einzigen Ring. In Florida fällt mir eine Kamera ins Hafenbecken, genau zwischen Pier und Schiff. Da liegt sie heute noch, im Matsch des Meeresgrunds. Im südafrikanischen Santa Lucia, zwischen Durban und Swasiland, wird mir der gesamte Wagen ausgeräumt. Acht Taschen, alle weg. Bücher, Kreditkarten, Landkarten, Autogrammkarten, Pässe, Elektronik, Klamotten. Tja, Heidi muss einfach besser aufpassen, Hudo – wenn auch nur für kurz – allein zu lassen geht einfach nicht. Zwei Taschen aber standen plötzlich wieder auf der anderen Straßenseite. Weil die Diebe sie in der Hektik dort einfach zurückgelassen hatten? Zum Glück waren es die beiden wichtigsten: mit allen Papieren drin.

Ich freute mich wie ein Itsch. Denn ja, Glück brauchst du natürlich auch auf so einem Trip.

Vor allem aber werde ich unterwegs immer wieder reich beschenkt. Mit unglaublichen Eindrücken und unbezahlbaren Erlebnissen. Und die Reise wird lang und länger. Viel länger als geplant. Auch das habe ich schnell gelernt: Planen ist schön und gut – aber über nichts lachen Gott und die Welt am Ende doller als über meine Pläne. In allen fünf Kontinenten werden sie über den Haufen geworfen, von mindestens tausend Zufällen, zahllosen Problemen, Umständen und Begebenheiten. Da gibt’s nur eins: Man muss flexibel bleiben. Irgendwo kam mir mal ein Spruch unter: »Wenn einer eine große Reise tut, muss er mit allem rechnen. Vor allem, wenn er nicht damit rechnet.«

Trotzdem: Immer will ich weiter. Will sehen, wie es aussieht und was passiert, wenn ich über den nächsten Berg komme, ins nächste Land fahre, wieder neue Menschen treffe. Diesen Drang nach Bewegung und Fortbewegung habe ich schon jahrelang beim Rallyefahren ausgelebt. Und bei meiner Liebe zu Fahrzeugen. Es steckt ja im Wort: Fahrzeuge und nicht Stehzeuge!

Und dabei habe ich keinen blassen Schimmer von dem, was auf meiner großen Reise vor mir liegt. Noch habe ich keine Ahnung, dass ich 84 000 Kilometer zurücklegen, achtmal den Äquator (Hudo viermal) überqueren, durch über vierzig Länder fahren und am Ende genau 960 Tage unterwegs sein werde. Ich werde die Kondore über die Anden gleiten sehen, in Neuseeland wochenlang die langen weißen Wolken betrachten und in Namibia die wilden Tiere auf der roten Erde bestaunen.

Ich erinnere mich noch gut: Als ich losfahren wollte, bekam ich mehrmals zu hören, ich sei plemplem, das Ganze viel zu gefährlich und sowieso gar nicht machbar. Mit einem uralten Auto um die ganze Erde! Nun, ich war wohl schon immer ein bisschen verrückt. Aber ein bisschen verrückt, das kann nicht schaden. Viele Leute sagen immerzu: »Ich müsste mal, ich sollte mal, ich würde ja so gern mal.« Und? Warum denn nicht? Wann geht’s los? Einfach endlich hoch mit dem Hintern! Sicher, das ist nicht ohne, denn wie soll das gehen? Mit Kindern, Familie, Haus, Miete, Beruf und Karriere? Geht kaum, konnte ich auch nicht. Aber die Jungen, die können das. Und die Alten, die können es auch. Die haben Zeit, die haben Muße. Und so teuer ist es am Ende nicht. Mein Gott, ich würde auch mit einem alten Opel losfahren. Man muss sich das Abenteuer nur nehmen. Und vielleicht ein ganz klein bisschen was wagen.

Sechzehn Beifahrerinnen und Beifahrer werden mich zwischendurch auf den verschiedensten Etappen begleiten. Mit manchen verstehe ich mich sehr gut, mit anderen nicht so gut. Manche steigen gleich wieder aus, andere bleiben über...