Vertrauen als Erfolgsfaktor im Supply Chain Management

von: Stefan Lemke

Diplomica Verlag GmbH, 2008

ISBN: 9783836613606 , 98 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 29,99 EUR

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Vertrauen als Erfolgsfaktor im Supply Chain Management


 

Kapitel 5.1, Grundmodell einer Vertrauensbeziehung im SCM: Ausgangspunkt bildet wieder die Vertrauensdefinition. Die Transaktionsbeziehung zwischen Hersteller und Zulieferer einer SC kann analog zu dieser Definition als Vertrauensbeziehung modelliert werden, bei der ein Hersteller die Rolle des Vertrauensgebers und ein Zulieferer die des Vertrauensnehmers einnimmt (Abbildung 17: Vertrauenssubjekte im Supply Chain Management). Annahmegemäß initiiert der Hersteller als Vertrauensgeber den Aufbau einer Vertrauensbeziehung. Seine Entscheidung, ob er dem Zulieferer Vertrauen kann oder nicht (Vertrauensentscheidung) ist im Sinne des vorgestellten Vertrauensmodells als das Ergebnis eines rationalen Entscheidungsprozesses, der mit der Bildung einer subjektiven Vertrauenserwartung beginnt und zu einer Platzierung von Vertrauen (Vertrauensentscheidung) in Gestalt einer sichtbaren riskanten Vertrauenshandlung mündet, zu verstehen (Abbildung 18: Kooperationsmatrix im Entscheidungsraum des SCM). Wird allein auf das sichtbare, kooperative Verhalten als Vertrauenshandlung abgestellt, lassen sich im SCM anhand der Kriterien Vertrauenserwartung und Vertrauensentscheidung grundsätzlich vier potentielle Szenarien als Entscheidungsalternativen des Herstellers und des Zulieferers differenzieren. Es besteht die Möglichkeit, dass eine Kooperation aufgrund von positiver Vertrauenserwartung und anschließender Vertrauenshandlung entsteht (I), die Möglichkeit, dass die Kooperation ohne Vertrauenserwartung und nur aufgrund einer Vertrauenshandlung sich konstituiert (II), und die Möglichkeit der Unterlassung einer Kooperation, trotz des Vertrauens besteht (III), oder gerade weil Vertrauen fehlt (IV). Es ist festzustellen, dass sich Kooperationen auch ohne Vertrauenserwartung konstituieren können bzw. eine bestehende Vertrauenserwartung nicht ursächlich für eine Vertrauenshandlung sein muss. Im Rückgriff auf die Vertrauensdefinition, ist dann ein sichtbar kooperatives Verhalten als Vertrauenshandlung zur Konstitution einer echten Vertrauensbeziehung noch notwendiges, jedoch nicht mehr hinreichendes Merkmal. Die Bildung einer echten Vertrauensentscheidung ist somit nicht mehr unabhängig von der tatsächlichen Vertrauenshandlung, sondern liegt nur dann vor, wenn die Vertrauenshandlung durch die zuvor gebildete, positive Vertrauenserwartung motiviert wurde. Der Prozess einer Vertrauensentscheidung im SCM: Ob die Bildung einer positiven Vertrauenserwartung, auf Basis der geschilderten Quellen, in der Folge eine Vertrauenshandlung motiviert, wird aus ökonomischer Sicht vom Entscheidungskalkül des Herstellers abhängig sein. Im Bewusstsein der zunächst abstrakt existierenden Risikopotentiale steht der Hersteller am Beginn der Bildung einer subjektiven Vertrauenserwartung vor dem bekannten 'adverse-selection'-Problem, das er dadurch zu lösen versucht, indem er die Stärke und Stabilität der Motivation des möglichen Zulieferers sich vertrauenswürdig zu verhalten einschätzt und dessen Handlungsabsichten vor dem Hintergrund begrenzter Rationalität und Opportunismus antizipiert. Das temporäre Auseinanderfallen von Leistungsversprechen und Leistungserbringung führt ex post zu endogener Unsicherheit über die wahren Präferenzen des Zulieferers, dem Risiko, dass der Zulieferer das Vertrauen des Herstellers missbraucht, und objektiver Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger, exogener Umweltzustände (Marktentwicklung, Preisentwicklung, Kostenentwicklung, etc.) und den sich daraus ergebenden Handlungsrestriktionen. Ob die Vertrauenserwartung des Herstellers in einer konkreten Situation eine Vertrauenshandlung auslöst, ist eine Funktion des Erwartungsnutzens, des mit der Handlung verbundenen Schadensrisikos und der subjektiven Risikoneigung des Herstellers. Grundsätzlich wird der Hersteller sein Vertrauen nur dort platzieren, wo er eine vertrauenswürdige Motivation unterstellen kann, sein Nutzen aus dieser Transaktion positiv ist, und das mit der Handlung verbundene Risiko seine subjektive Risikoneigung nicht übersteigt. Ist das mit der Vertrauensentscheidung verbundene Risiko höher als die persönliche Risikobereitschaft des Herstellers, so wird er versuchen dieses durch den komplementären Einsatz expliziter vertraglicher Sicherungs- und Kontrollmechanismen (Mechanismen zur Steigerung der extrinsischen Motivation) in dem Maße zu verringern, solange die damit verbundenen Kosten nicht prohibitiv werden und seinen mit der Transaktionsbeziehung assoziierten Erwartungsnutzen übersteigen. Auf der anderen Seite muss der Zulieferer als Vertrauensnehmer entscheiden, ob er das vom Vertrauensgeber signalisierte Vertrauen annehmen oder ablehnen will. Durch die Annahme der Vertrauenshandlung wird eine Vertrauensbeziehung als impliziter Vertrag mit Rechten und Pflichten zwischen den Transaktionspartnern konstituiert, dessen Gegenstand die Erfüllung der Vertrauenserwartung des Herstellers ist. Aus ökonomischer Sicht wird der Zulieferer das Vertrauen jedoch nur annehmen und honorieren, wenn die Kosten eines vertrauenswürdigen Verhaltens niedriger sind als der daraus resultierende Nutzen. Ob dies der Fall ist, hängt von seiner intrinsischen Motivation und damit von seiner generellen Vertrauenswürdigkeit ab und den expliziten extrinsischen Anreiz- und Sanktionsmechanismen. Die Gefahr einer opportunistischen Vertrauensannahme durch den Zulieferer, ohne die Absicht sich vertrauenswürdig zu verhalten, begründet die zuvor beschriebenen Risikosituationen im SCM. Bislang wurde modellhaft davon ausgegangen, dass die Zuordnung der Rolle des Vertrauensgebers und Vertrauensnehmers auf Hersteller und Zulieferer statisch ist. Ein Rollenwechsel kann für eine dynamische SCM-Situation jedoch nicht negiert werden und tritt auf, wenn beide Seiten zur der Leistungserstellung beitragen müssen und eine partnerspezifische Zulieferleistung mit hoher Integration eines externen Faktors stattfindet. Im SCM finden sich diese Situationen bei Zulieferern, die eine durch den Hersteller beauftragte Leistung entwickeln und produzieren, gleichzeitig aber für die Leistungserstellung Informationen oder andere spezifische Komponenten vom Hersteller beziehen müssen (Abbildung 19: Die Vertrauensentscheidung als rationaler Prozess). Im Verlauf dieser Austauschbeziehung kann es dann mehrfach zum Rollenwechsel kommen und das fokale Netzwerk - Verständnis geht über in ein komplex-reziprokes mit kooperativen und gleichberechtigten Beziehungsstrukturen, in dem das Interaktionsmedium Vertrauen und personelle Verflechtung auf Ebene des sozialen Partialnetzes an Bedeutung gewinnt. Die Hersteller-Zuliefer-Dyade wird in eine kooperative SC-Netzwerk-Partnerschaft transformiert. Unter dieser Erweiterung kommt eine echte Vertrauensbeziehung nur zustande, wenn Hersteller und Zulieferer (Netzwerk-Partner) jeweils beide eine positive Vertrauensentscheidung im o.g. Sinne treffen und ein bilaterales, implizites Vertragsverhältnis durch eine gegenseitige Vertrauenshandlung begründen. Eine bilaterale Vertrauenshandlung könnte beispielsweise im Verzicht auf explizite Koordinationskontrolle bestehen und sich in intensiv gepflegten Kommunikationsbeziehungen zum selbstabgestimmten, SC-weiten Austausch wettbewerbsrelevanter Prozess-Informationen der einzelnen Unternehmen (mit der Intention eine integrierte Prozessoptimierung zur Effizienzsteigerung auf Datennetzebene zu erreichen), widerspiegeln. Der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen wird durch den gezielten bi- und multilateralen Aufbau von Vertrauenserwartungen befördert, und kann in einen Prozess sich selbst verstärkenden Vertrauens münden, in dem wichtige ex- und intrinsische Anreize für gegenseitiges, vertrauenswürdiges Verhalten implementiert sind. Vertrauen schafft dann selbst weiteres Vertrauen und erhält einen dynamischen Charakter. Die dabei möglichen Vertrauensszenarien innerhalb einer Hersteller-Zulieferer-Dyade (Netzwerk-Partner-Dyade) sind in nachstehender Abbildung zusammengestellt (Abbildung 20: Vertrauensszenarien im SCM). Zusammenfassend gilt im SCM, dass gegenseitiges Vertrauen als expliziter und gegenseitiger Verzicht auf Sicherungs- und Kontrollmechanismen unter dem Aspekt der Reduktion von Transaktionskosten effizient sein kann. Diese Konstellation wird sich nach dem Entscheidungskalkül des Herstellers und des Zulieferers jedoch nur etablieren, wenn das gegenseitig empfundene Risiko die subjektive Risikobereitschaft des einzelnen nicht übersteigt und die Vertrauensbeziehung einen beidseitig positiven Grenznutzen besitzt. Reicht das gegenseitige Vertrauen nicht aus die Risiken zu absorbieren, rentiert sich die Kooperationsalternative aber dennoch, kann die SC-Beziehung komplementär durch explizite Kontroll- und Steuerungsmechanismen stabilisiert bzw. substitut begründet werden. In diesem Fall wird das Risiko der SC-Partner reduziert, jedoch handelt es sich nicht um eine echte Vertrauensbeziehung, da die Prämisse einer riskanten Investition, die ohne Kontroll- und Überwachungsmechanismen auskommen, nicht erfüllt wird. In der Realität bilden sich daher in einer SC-Beziehung i.d.R. keine reinen Vertrauensbeziehungen aus auf deren Basis riskante Transaktionen abgewickelt werden, sondern bleibt ein Mindestmaß and Kontrolle erhalten. Die institutionellen Arrangements hängen dabei von den Transaktionsbedingungen ab und führen zu hybriden Verträgen mit mehr oder weniger expliziten und impliziten Regelungen, die als Indiz für die Vertrauensintensität in einer Vertrauensbeziehung gelten dürfen.