Von Prüfungsangst zu Prüfungsmut, von Lampenfieber zu Auftrittslust

von: Cersten Jacob

Schattauer, 2018

ISBN: 9783608169300 , 262 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 27,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Von Prüfungsangst zu Prüfungsmut, von Lampenfieber zu Auftrittslust


 

1 Was ist eigentlich Lampenfieber?


Was ist Lampenfieber? Gute Frage. Vielleicht kennen Sie Synonyme für Lampenfieber wie: Auftrittsangst, Podiumsangst und Präsentationsangst und andere.

Und Prüfungsangst – was ist das eigentlich? Prüfungsangst, könnte man ganz einfach sagen, ist die Angst, die lange vor oder während einer Prüfung auftritt, die Prüfung nicht zu bestehen oder deutlich unter seinen Fähigkeiten abzuschneiden. Der Prüfling befürchtet, nicht alle Ressourcen zur Verfügung zu haben, nicht das schreiben oder sagen zu können, was er eigentlich ganz genau weiß. Oder nach Dingen gefragt zu werden, die er prinzipiell weiß, aber genau jetzt gerade kommt ihm keine Inspiration. Oder nach etwas gefragt zu werden, wovon er plötzlich (und irrtümlicherweise) denkt, es noch nie gehört zu haben. Oder doch? Da war doch mal was …

Und dieses ominöse Lampenfieber? Kann man das auch vor einer Prüfung haben?

Und wie erklärt man das überhaupt? Die Interpretationen sind sehr, sehr unterschiedlich, wenn ich prominenten oder weniger prominenten Kandidaten so zuhöre.

Exkurs

Zur Wortherkunft von „Lampenfieber“

Der Begriff Lampenfieber ist in dieser Form im Theateralltag entstanden und daran angelehnt.

Früher hatten Theaterräume noch keine Klimaanlage und die alten Scheinwerfer entwickelten, wenn man auf der Bühne in deren Kegel stand, sehr große Hitze. Sie waren zeitweise mit echtem Kohlebogenfeuer ausgestattet und Spiegeln, die das Licht bündelten. Sie bildeten sozusagen einen Brennpunkt.

Im ganz alten Theater kam noch hinzu, dass am Bühnenrand, also der Rampe, unten eine Leiste mit zusätzlichen Lampen angebracht war, damit keine Schatten, z. B. unter dem Kinn, entstanden. Daher auch der Begriff „Rampenlicht“.

Ich spielte als Schauspielstudent in einer Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ mit, im Goethe-Theater in Bad Lauchstedt. Dort ist die denkmalgeschützte Bühnentechnik auch heute noch erhalten und zu bestaunen, dabei auch die Lampen an der Rampe.

Ältere Schauspielerinnen brachten für den Fall, dass dieses „Rampenlicht“ nicht schon eingebaut war, eine Lichtleiste mit. Diese wurde extra vorn an die Rampe gelegt, damit man nicht die Hals- und Gesichtsfalten sah, die mit der Schminke nicht zu kaschieren waren.

Solche Tricks benutzt man heute noch immer professionell bei Film und Fernsehen.

Die schon als Kind europaweit berühmte Multi-Künstlerin Catharina Valente wird gern zitiert mit: „Lampenfieber ist einfach Teil des künstlerischen Erlebnisses. Man sollte es sich nicht abgewöhnen.“ Wohingegen der Sänger Klaus Hofmann über seinen Freund Reinhard Mey bemerkte: „ … der hat ja solche Angst vor dem Moment des Hinausgehens, der kotzt ja fast“ (Mey 2005, S. 256). Und Reinhard Mey selbst in seiner Autobiografie:

„Aber diesen ersten Abend vor Menschen kannst du nicht simulieren, das ist der Sprung ins kalte Wasser. Dieser Moment ängstigt mich so sehr, vor dem hab ich so viel Angst, der beeindruckt mich so sehr, dass es wirklich schon zwei Monate vor einer Tournee anfängt und sich steigert bis zu dem Tag, an dem es losgeht, bis zum Wahnsinn …

Ich hab immer Lampenfieber, aber diese panikartigen Zustände, die so schlimm werden, dass sich die Gedärme umdrehen und mir übel wird, das hab ich nur beim ersten Mal … Ich brauche jetzt nur daran zu denken, dann brummelt es wieder.“

(Mey 2005, S. 207)

Ganz anders reagierte Peter Kraus in einem Interview für den Radiosender Bayern 3, als er gefragt wurde: „Sie haben heute immer noch Lampenfieber?“

„Wenn ich jetzt die Routinenummer abziehen würde, dann hätt ich auch kein Lampenfieber. Wenn ich kein Lampenfieber hab, besteht die Gefahr, dass ich in Routine rutsche. Also, ich erzeuge mir eigentlich ein geringes, keine wirkliche Art Lampenfieber, aber eine Spannung, eine leicht nervöse Spannung: Wird das funktionieren?“

(Peter Kraus in einem Interview in BR3 am 11.10.2009)

Und wiederum ein Gegenbeispiel von dem Schauspieler Sven Martinek, der sicherlich aus diesem gleich genannten Grund nur noch in Fernsehen oder Film seinen Beruf ausübt (z. B. in den Serien „Tierärztin Dr. Mertens“, „SOKO Rhein-Main“ oder „Die Landärztin“):

Martinek: „Im Theater bin ich gestorben. Da ging nichts mehr.“

Katarina Witt (mitleidig): „Oh nee …“

Martinek: „Fürchterlich, das war ganz schlimm.“

Moderatorin: „Und was haben Sie gemacht, Gymnastik auch?“

Martinek: „Nö, ich hab einfach nur Angst gehabt. Ich konnte nix mehr machen. Ich war machtlos. Auf der Bühne hatte ich nur Angst vor dem schwarzen Loch.“

(Sven Martinek im MDR-Riverboat, 25.09.2009)

Und den Vogel schießt schließlich Thomas Gottschalk ab, einer der erfolgreichsten deutschen Showmaster. Ich habe ihn mehrmals in Talkrunden in den 1990ern sagen hören, mit Lampenfieber könne er gar nicht arbeiten. Und sein Umfeld bestätigt, dass er in der Show „Wetten dass?“ im Prinzip genauso gewesen sei wie als Privatperson.

Die Autorin und Musikerin Irmtraud Tarr Krüger formuliert: „Es ist die Angst, sich bloßzustellen, das Gesicht zu verlieren, so dass auf peinliche Art ans Licht kommt, was und wer wir sind“ (Tarr Krüger 1993).

Es besteht also offensichtlich große Uneinigkeit darüber, was eigentlich dieses merkwürdige Lampenfieber ist und welche Wirkung es hat.

Zitiert nach der Brockhaus-Enzyklopädie (1989) ist Lampenfieber ein „innerer Erregungszustand vor öffentlichem Auftreten“ eine „Form der Erwartungsangst.“

Meyers Lexikonredaktion (1987) definiert es als „Zustand von Erregung und Angst, durch den das Leistungsvermögen einer Person gemindert wird und der eintritt, bevor oder wenn sich die Person allein bzw. nicht anonym vor einem Publikum schauspielerisch, verbal, vokal oder instrumental darstellen, eine bewertbare oder zu bewertende Leistung erbringen will oder soll, wodurch die Selbstwertthematik dieser Person stark angeregt werden kann.“

Während manche Autoren zwischen den Begriffen Lampenfieber und Prüfungsangst unterscheiden, sehe ich sie in einem Zusammenhang: Lampenfieber lässt sich in nützliches und behinderndes Lampenfieber aufgliedern. Prüfungsangst ist dabei ein Teil des behindernden Lampenfiebers.

Zusammenfassung

Der Begriff „Lampenfieber“ wird unterschiedlich interpretiert. Für den Einen ist es eine notwendige „Erhöhung der Betriebstemperatur“, um fit zu sein für die Leistung, für den Anderen ein Zustand krankhafter Aufregung und damit ein Hindernis, seine Leistung zu erbringen.

1.1 Nützliches Lampenfieber?


Viele Künstler sagen, sie brauchen Lampenfieber. Was sie mit Lampenfieber meinen, ist eine „Erhöhung der Betriebstemperatur“, die ausgelöst wird durch verschiedene Hormone. Das bekannteste Stresshormon ist bekanntlich Adrenalin. Und so beschreiben viele Performer, dass sie diesen „Adrenalin-Kick“ brauchen. In der Zwischenzeit sind auch weitere wichtige Leit-Hormone allgemein bekannt, die unter anderem zu einer gesteigerten Konzentrationsfähigkeit führen, zum Beispiel Dopamin. Diese bewirken eine erhöhte Aufmerksamkeit, Schnelligkeit in den Gedanken und Reaktionsfähigkeit. Auch tragen sie zu der nötigen Spannung im Körper bei, die die Aufmerksamkeit des Publikums für den Präsentator steigen lässt. Die Körpertemperatur und der Herzschlag erhöhen sich. Viele, die diese „Erhöhung der Betriebstemperatur“ mögen, beschreiben es auch als eine Art Rausch. Und das ist es letztlich auch, ausgelöst durch körpereigene berauschende Substanzen. Kommt dann noch Erfolg dazu, dass der Präsentierende also spürt, dass er bei Zuhörern oder Zuschauern gut ankommt, werden noch weitere berauschende Hormone ausgeschüttet wie z. B. Serotonin, das uns dann zusätzlich sicher fühlen lässt, und Endorphine, die einen „Freudenrausch“ auslösen. Der Nucleus Acumbens im „Belohnungssystem“ unseres Gehirns schüttet eine weitere Droge aus, die das Gefühl der Belohnung und damit den Abhängigkeitsfaktor auslöst. Dies führt manchmal zu einer regelrechten Sucht nach den sprichwörtlichen „Brettern, die die Welt bedeuten“. Menschen, die diese Art von Lampenfieber haben, lieben es, ihr Leben lang auf der Bühne zu stehen. Selbst wenn sie aus verschiedenen Gründen eine Zeit der Bühnenabstinenz pflegen, müssen sie immer wieder auf diese zurückkehren. So erklärt sich auch, dass manche Künstler mehrere Abschiedstourneen absolvieren und dann doch noch ein weiteres Comeback planen. Sie brauchen einfach diesen Kick vorher und den berauschenden Erfolg am Ende. Altmeister Bob Dylan beispielsweise hört gar nicht auf mit seiner Tournee. Er spricht sogar von einer „Never Ending Tour“, auf der er sei. Und er mache nur Platten, um diese dann live auf der Bühne zu präsentieren und damit Werbung für seine Live-Gigs zu haben.

Zusammenfassung

Nützliches Lampenfieber

  • macht wach,
  • putscht auf,
  • schafft die nötige Spannung in Körper und Geist,
  • setzt Energie frei,
  • macht im Kopf fitter,
  • beschleunigt somit die Denkfähigkeit und
  • stärkt uns für den Auftritt.

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