Auf dem Parkett - Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens

von: Enrico Brissa

Siedler, 2018

ISBN: 9783641221843 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Auf dem Parkett - Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens


 

A

ABENDLAND

Dass mit der Sonne und dem beklagten Sittenverfall im Schutze der Dunkelheit gleich das ganze A. untergeht, ist genauso zweifelhaft wie das Lamento, die Unterschiede zum islamisch und griechisch-orthodoxen Morgenland würden sich allmählich auflösen. In jüngerer Zeit ist von einer angeblichen »Islamisierung« des A. die Rede – ein fataler Missbrauch des Begriffs.

Jedenfalls ist das A. ein – zumeist mit dem Adjektiv christlich versehener – Teil Westeuropas, der als Herkunftsort der Beobachtungen und Empfehlungen gelten mag, die in diesem Handbuch versammelt sind. Das A. ist unser gemeinsames, sich aber auch stetig wandelndes kulturelles Fundament. Das Motto der Europäischen Union »In varietate concordia« fasst dies prägnant zusammen ( Symbol). Die Vielfalt der »westlichen Welt« bringt dabei ebenso vielfältige Verhaltensnormen mit sich ( Manieren; Protokoll).

ABLAUF

Eine Art Regieanweisung des Protokolls, damit die Ausgestaltung von Ereignissen einer strengen Ordnung folgt ( Zeremoniell). Dass es nicht »Ablaufplan« heißt, weist auf den protokollarischen Imperativ hin. Früher sprach man von »Hof-Ansage«, »Reglement« oder »Ceremonial«.

Doch widersetzt sich die Realität regelmäßig diesem Befehl. Durch das Verhalten der Beteiligten, durch technisches Versagen – etwa steckenbleibende Aufzüge – und andere Überraschungen. So gesellen sich immer wieder Unbekannte zu den für ein sog. Familienfoto aufgereihten Regierungschefs, wo sie erstmal gar nicht auffallen. Unvergessen – aber nicht für alle damals im Schloss Bellevue Beteiligten komisch – ist auch der Auftritt des als Königin Beatrix verkleideten Hape Kerkeling 1991 (»Ich will lecker essen mit dem Präsidenten«).

Ausgewachsene Exemplare des A. bringen es auf ein Taschenbuchformat. Die Adressaten haben bisweilen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen Leitfäden. Einerseits wissen sie die Perfektion der Ablaufgestaltung zu schätzen. Andererseits stöhnen sie über die Fülle der zu beachtenden Details. Protokoll liebt Details. Nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sich die erforderliche »Ablaufsicherheit« nur erreichen lässt, wenn die mit der Vorbereitung Betrauten an jede Einzelheit gedacht, alles abgesprochen und in einem A. festgelegt haben. Eine kurze Begrüßungsszene könnte in einem A. so formuliert werden:

»Eintreffen I. M. Königin Soundso und S. K. H. Prinz XY an der …

(Das Fahrzeug hält vor dem roten Teppich, I. M. Königin Soundso sitzt im Fond rechts.)

Hinweis:

(Blickrichtung zum Gebäude) links: Medienvertreter, rechts: Zuschauer.

Der Bundespräsident und Frau N. N. begrüßen I. M. Königin Soundso und S. K. H. Prinz XY.

Gang I. M. Königin Soundso, des Bundespräsidenten, S. K. H. Prinz XY und Frau N. N. über den roten Teppich zum Haupteingang des …-Gebäudes.«

Die Klagen über diese Detailversessenheit sind jedoch nicht ganz neu. So schrieb der Journalist und Schriftsteller Fedor von Zobeltitz im Jahre 1904: »Die Hofansagen sind in letzter Zeit eindringlicher geworden; sie sind zuweilen mit Erläuterungen versehen, zuweilen muten sie wie freundliche Warnungstafeln an!«

ABSAGE

Wenn Rücksicht und Verbindlichkeit Voraussetzung für souveräne Umgangsformen und gute Manieren sind ( Höflichkeit), sollte es für uns alle selbstverständlich sein, dass wir getroffene Verabredungen im Verhinderungsfalle absagen. Ein schwerer Fauxpas ist es, durch ein bloßes Fernbleiben abzusagen.

Man könnte annehmen, bei der A. einer Verabredung gehe es nur um das Wie, also den Zeitpunkt und die äußere Form, nicht um das Ob. Die Realität sieht aber anders aus. Häufig bekommt man weder eine Antwort noch eine A. Die no-show desjenigen, der zugesagt hat, dem Ereignis aber fernbleibt, scheint heute in Deutschland ebenso beliebt zu sein wie die spontane Anwesenheit des Gastes, der nie zugesagt hat.

No-shows in Berlin sind ein Thema für sich. In der unverbindlichen Berliner Republik scheint das Gebot der Stunde zu sein, sich bloß niemals festzulegen. Alles soll immer möglich sein, Pläne dürfen ruhig Pläne bleiben. Wer umsetzt, legt sich fest, schränkt seine Optionen ein. Je mehr Möglichkeiten der A. dem Eingeladenen zur Verfügung stehen (Brief, Fax, Telefon, E-Mail, SMS, Kalendereinladungsfunktion, Doodle und zahlreiche Apps), desto weniger erfährt der Gastgeber von dem nicht ganz unerheblichen Umstand, dass er einen Gast weniger zu bewirten hat ( Einladung; Gast und Gastgeber).

Ein Beispiel für diese Kommunikation à la Boheme: Vor wenigen Jahren lud in Berlin eine jüngere Dame aus Anlass ihres 40. Geburtstages einen größeren Kreis von Freunden und Bekannten in ein italienisches Restaurant ein. Geantwortet hatten nur wenige. Von diesen hatten zwölf zugesagt. Als gute Gastgeberin erschien sie kurz vor 20 Uhr – der verabredeten Zeit –, um ihre Gäste zu begrüßen. Zunächst kam jedoch niemand. Daran änderte sich auch lange nichts. Kurz vor halb zehn Uhr waren fünf gut gelaunte Gäste im Lokal erschienen. Sie fanden ihre Gastgeberin betrunken am Tresen vor.

In der digitalen Welt bleibt offenbar alles im Fluss, verbindliche Verabredungen, Zusagen oder A. gelten womöglich deshalb als spießig und altbacken, weil soziale Netzwerke die Raum-Zeit-Koordination in Echtzeit zu übernehmen scheinen. Solange Apps jedoch nicht in der Lage sind, die logistischen Voraussetzungen eines Ereignisses zu schaffen und zu bezahlen, ist eine solche digitale Laissez-faire-Haltung grob unhöflich. Jeder, der selbst schon einmal der schwindenden Gruppe der Gastgeber angehört hat, wird dies verstehen. Die eigene Zeit und die eigenen Ressourcen können demnach nie kostbarer sein als die Zeit und Ressourcen der Mitmenschen.

Bevor man sich Gedanken zu den angemessenen Modalitäten der A. macht, sollte man sich vor Augen führen, dass nicht jeder Grund zur A. berechtigt. Notlügen taugen nicht, auch sie haben kurze Beine. Abgesehen davon kann es ratsam sein, die A. mit einer Geste der Entschuldigung zu verbinden ( Blumen).

ADEL

Für Etikette, Manieren und Protokoll ist der A. – oder das, was von ihm übrig blieb – noch immer von Bedeutung. Und zwar in mehrfacher Hinsicht: Als herrschende Klasse prägte er wie keine andere diese Disziplinen, die sich allesamt auf die höfischen Kulturen zurückführen lassen.

Und oft ist der A. auch heute noch ein Reservat, in dem die vom Aussterben bedrohten Verhaltensweisen der Höflichkeit, vor allem im Verhältnis des Herrn zur Dame, geübt werden. Bälle, Hochzeiten und Familientage in Adelskreisen legen hiervon Zeugnis ab. Gute Umgangsformen sind im A. Teil des Selbstverständnisses. Was nicht ausschließt, dass in dieser Gruppe schwarze Schafe grasen. Im Gegenteil: Es scheint, als dominierten sie die Berichterstattung der Klatschpresse.

Ob man »von Familie« ist, zeigt sich zuerst durch das Verhalten, nicht durch eingetragene Namensbestandteile.

Die korrekte Anrede von Mitbürgern adeliger Herkunft ist im Einzelfall schwierig. Im Gegensatz hierzu pflegt man in bestimmten Kreisen des deutschsprachigen A. gerne das Du. »Bürgerliche« werden jedenfalls eher gesiezt. Dieses Duzen hat seine Wurzeln wohl im Sprachgebrauch der k. und k. »Gemeinsamen Armee«, in der sich die Offiziere als ihresgleichen duzten, allerdings unter Verwendung der Titel.

Gleiches galt für das Wiener »Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern«, in dem die wenigen Diplomaten ohnehin fast alle miteinander verwandt waren. Diese Duztradition wurde dann in die Republik übernommen. Nachdem sich der (österreichische) auswärtige Dienst für Frauen geöffnet hatte, wurden die neuen Kolleginnen zunächst konsequent gesiezt, während sich die Ehefrauen der Diplomaten untereinander duzten. Eine diskriminierende Praxis, die tatsächlich erst in den 1980er Jahren abgeschafft wurde.

In Österreich kann man auch heute noch die Anreden »Du Herr General« und »Du Herr Botschafter« hören. Allerdings nur »nach oben«; »nach unten« genügt das des Titels entledigte Du. Den spanischen Habsburgern (Casa de Austria) sei es gedankt, dass diese besondere Form des Du noch heute in Spanien verwendet wird.

Was die Anrede in Kreisen des A. angeht, ist schließlich noch eine nahezu epidemische Verwendung von Spitznamen zu beobachten. Zahlreiche edle Vornamen mit Ahnenbezug werden zu einer Verniedlichung destilliert, die oftmals an ein Plüschtier erinnern, z. B. »Gaudi«, »Jojo«, »Hubsi« und »Ferdi«. Wer diesen Code nicht kennt, gehört nicht...